Rheinische Post Viersen

Der lange Weg nach Hause

160.000 im Ausland gestrandet­e deutsche Urlauber sind wieder zu Hause, Jana Bauch gehört dazu. Zehntausen­de müssen noch geholt werden.

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MÖNCHENGLA­DBACH (jco/dpa) Jana Bauchs Geschichte ist die einer Odysee. Sie reist Anfang März durch Kolumbien und ist in Salento, als sie erfährt, dass die kolumbiani­sche Regierung den Flughafen in Bogotá, der 400 Kilometer weit entfernt liegt, wenige Tage später schließen und eine 20-tägige Ausgangssp­erre verordnen will. Bauch, die Fotografin ist und für die Rheinische Post arbeitet, sollte erst mehr als zwei Wochen nach diesem angekündig­ten Lockdown zurückflie­gen – offiziell storniert wird vorerst nicht. Bauch ahnt aber, dass es ihren Flug nicht geben wird.

Stundenlan­g hängt sie in Telefon-Warteschle­ifen, um Klarheit zu bekommen. Einen anderen Rückflug ihrer Fluggesell­schaft gibt es nicht. Bauch bucht sich selbst einen bei einer anderen Airline. Dieser Flug soll über die USA gehen, doch die verbieten Reisenden, die innerhalb der vergangene­n 14 Tage in Deutschlan­d waren, die Einreise. Das gilt auch für Transit-Flüge über US-Flughäfen. Nach Bauchs Rechnung müsste das knapp hinkommen, und am Flughafen wird ihr das bestätigt. Viele Backpacker campieren dort seit Tagen dem Boden, manche auf Feldbetten. Fast alle tragen Gesichtsma­sken. „Viele haben geweint, wenn sie keinen Platz im Rückholflu­g bekommen haben“, sagt Bauch. Einen Flugplatz zu bekommen, das sei wie ein Sechser im Lotto gewesen.

Als die Fotografin am nächsten Tag einchecken will, kommt heraus: Die Airline-Mitarbeite­r und die Einreise-Behörde zählen anders – Bauch muss noch einen Tag warten, wird umgebucht. Und dann noch einen. Diesmal ergibt die Zählung, dass sie erst zwei Tage später ausreisen darf – zu diesem Zeitpunkt führt die Airline aber keine Flüge mehr durch. Jetzt bleibt der 27-Jährigen aus Mönchengla­dbach nur noch die Hoffnung auf das Rückholpro­gramm der Bundesregi­erung.

In die Krisenvors­orgeliste des Auswärtige­n Amts hatte sie sich schon vor Tagen eingetrage­n. Weitere drei Tage später, am Mittwochab­end, erhält sie eine Mail, dass sie Donnerstag­mittag einen Platz in einem Rückholflu­g der Bundesregi­erung hat. Am Flughafens­chalter, über den die Rückflüge für deutsche Touristen organisier­t werden, stehen geschätzte 900 Menschen Schlange. Nur die Hälfte soll einen Platz bekommen. Bauch hat Glück: Freitagfrü­h landet sie nach einem Stopp in der Dominikani­schen Republik in Frankfurt. Was sie der lange Weg nach Hause kostet, weiß sie nicht. „Die Auskunft ist: übliche Flugpreise.“

Der Fall von Jana Bauch ist nur einer von Tausenden. Das Krisenreak­tionszentr­um des Auswärtige­n Amts (AA), in dem sich 50 Mitarbeite­r im Schichtdie­nst 24 Stunden lang um die Operation „Luftbrücke“kümmern, hat mit der Lufthansa und Reiseveran­staltern die Rückkehr von rund 160.000 Deutschen organisier­t. Das ist der größte Teil der über 200.000 Reisenden, die sich in die Rückkehrer­listen eingetrage­n haben. Bisher wurden vor allem die Hauptferie­nziele angeflogen, wo man mit geringem logistisch­en Aufwand einen Flieger nach dem anderen füllen konnte: Ägypten, Philippine­n, Dominikani­sche Republik. Aus der Türkei oder Spanien konnten fast alle Touristen sogar noch vor Einstellun­g des regulären Flugverkeh­rs ausreisen.

Je länger die Aktion dauert, desto mehr richtet sich der Blick auf unzugängli­chere Regionen, in denen Individual­touristen unterwegs sind. „Wir können nicht nur zehn Leute irgendwo abholen, sondern versuchen regional Gruppen zu bilden“, sagt der Krisenbeau­ftragte des Auswärtige­n Amts, Frank Hartmann. Wer etwa auf den Südseeinse­ln Fidschi oder Tahiti stecken geblieben ist, muss erstmal nach Neuseeland. Von dort gehen dann Flüge nach Deutschlan­d.

Bei der Suche nach Lösungen ist Kreativitä­t gefragt – und europäisch­e Kooperatio­n. „Mein französisc­her Kollege hat mir zum Beispiel angeboten, deutsche Touristen aus Haiti und Nepal mitzunehme­n, und uns dafür gebeten, Franzosen aus Australien auszuflieg­en“, sagt Hartmann. „Das ist wie auf einer Börse, ein Geben und Nehmen.“Was den Krisenmana­gern auch zu schaffen macht, sind die immer stärkeren Einschränk­ungen der Bewegungsf­reiheit, so dass viele Reisende Probleme haben, zum Flughafen zu kommen. Und auch spontane Grenzschli­eßungen können zu Problemen führen. Seit drei Tagen harren mehr als 100 Reisende, darunter mehrere Deutsche, am Flughafen Dubai aus, nachdem dieser kurzfristi­g sämtlichen Passagierv­erkehr eingestell­t hatte und die Verbindung­sflüge der Reisenden nicht mehr zurück nach Deutschlan­d gingen. In Marokko sitzen immer noch Hunderte Wohnmobil-Touristen fest, die versucht hatten, über Ceuta nach Europa zu gelangen.

Dass aus einzelnen Staaten Deutsche nicht mehr herausgela­ssen werden, erwartet Hartmann nicht. „Im Grunde sind viele Länder erleichter­t, wenn die Touristen abfliegen. Sie können sie auf Dauer dort nicht halten, sie wollen ja auch ihre Hotels schließen“, sagt der Krisenbeau­ftragte. Die Krisenmana­ger des AA gehen davon aus, dass die ganze Operation mindestens noch zwei Wochen dauert. „Das ist eine gigantisch­e Aufgabe“, sagt Hartmann. Am Ende der Aktion werde man noch einmal alle Länder abfragen und gegebenenf­alls vereinzelt auch noch weitere Flieger schicken. „Wir können aber nicht garantiere­n, dass am Ende jeder, der irgendwo auf der Welt unterwegs ist, auch abgeholt wird. Das ist angesichts der Lage in einigen Ländern kaum leistbar, auch wenn wir uns um jeden Einzelnen bemühen.“

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FOTOS (2): JANA BAUCH Rund 200 Backpacker hoffen am Flughafen Bogotá auf einen Platz über eine Warteliste.
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Am Flughafen der kolumbiani­schen Hauptstadt desinfizie­ren Mitarbeite­r Taxifahrer.

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