Rheinische Post Viersen

Wehmütiger Abschied von der „Lindenstra­ße“

Die letzte Folge läuft am Sonntag um 18.50 Uhr in der ARD. Unsere Autorin hat ihr halbes Leben mit dieser Serie verbracht.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Sie haben es noch einmal getan. In der vorletzten Folge der „Lindenstra­ße“spricht Markus Söder in Klaus Beimers Wohnzimmer aus dem Radio von Bayerns „historisch­er Bewährungs­probe“. Immobilien­unternehme­r Wolf ist im „Homeoffice“, und als ein Passant an der Linde niest, sagt Murat: „Hoffentlic­h kein Corona.“

Dass die „Lindenstra­ße“zum Abschied ein letztes Mal mit ihrer Spezialitä­t auftrumpft, das aktuelle Lebensgefü­hl ihrer Zuschauer aufzunehme­n, ist nicht deshalb bemerkensw­ert, weil beim letzten Drehtag am 20. Dezember das Virus selbst in China noch unbekannt war – eine Serie, in der drei Jahrzehnte lang an Wahlsonnta­gen verlässlic­h die Hochrechnu­ngen diskutiert wurden, die erst eine Stunde alt waren, kann so was. In solchen Fällen war ich immer fast so etwas wie stolz auf „meine“Serie.

Besonders sind die aktuellen Verweise auf die Pandemie deshalb, weil Mutter Beimer eben kein Klopapier

hamstert und Dr. Brooks ihre Praxis nicht wegen fehlender Desinfekti­onsmittel schließt. Das geht gar nicht, weil es keine Drehtage und keine Kulissen mehr gibt. Und trotzdem, in den letzten Zügen der längsten deutschen Seriengesc­hichte macht sich das Team – genauer: das, was noch übrig ist – die Mühe, mit den allerletzt­en, wenn auch kärglichen Mitteln den Standard zu verteidige­n, die aktuellste Serie im deutschen Fernsehen zu sein.

Das ist klasse. Sozusagen großes Fernsehen. Sonst aber ist lange schon nichts mehr, wie es einmal war. Spätestens seit das Ende verkündet wurde, wirkte so mancher Handlungss­trang der „Lindenstra­ße“eben nicht mehr wie ein Abbild deutscher Wirklichke­it. Autoren und Regisseure schienen angesichts des absehbaren Finales noch mal so richtig auf- und dabei auch zu überdrehen. Anleihen aus David Lynchs Thriller-Kiste bis hin zur „Twin Peaks“-Melodie. Von Jack, die mehrere Wochen im Krankenhau­s war und erst danach entdeckte, dass sie schwanger ist, will ich erst gar nicht reden. Das hätte bei mir schon vor Bekanntwer­den des Serienende­s fast zum Ausstieg geführt.

Bei der „Lindenstra­ße“, die zu deutlich mehr als nur der Hälfte meines Lebens gehörte, dulde ich keine Logikfehle­r. Dass ich es am Ende dann doch widerwilli­g getan habe, lag vermutlich schon am angekündig­ten Serien-Aus. Ich mag keine unvollstän­digen Buchreihen

oder Bilderseri­en und ertrage nur schwer, dass in meinem Silberbest­eck ein Messer fehlt. Nach über drei Jahrzehnte­n ausgerechn­et die letzten Folgen einer Serie nicht zu sehen, hätte mich deshalb wohl noch mehr verstört, als der allsonntäg­liche Ärger über Jaquelines amnesiegeb­orenes Überraschu­ngskind und das noch unlogische­re Verhalten seines Vaters.

Ungefähr zwölf Millionen Menschen sind nicht so wie ich. So viele Zuschauer hat die „Lindenstra­ße“seit ihrem Sendestart verloren. Vor allem die in meinem Alter haben Kinder bekommen, Häuser gebaut und sonntagsab­ends andere Dinge wichtig gefunden. Sie sind der „Lindenstra­ße“eher davongeleb­t, so wie auch mir ein paar Leute von einst im Lauf der Jahre abhanden gekommen sind. So gesehen kann ich wohl sagen, dass meine Beziehung zu Klaus, Vasily und Andy Zenker länger dauerte, als die meisten anderen, 35 Jahre. Und jetzt ist also Schluss.

Die Zeichen stehen auf Abschied. Neyla hat gepackt, Johannes ist schon ausgezogen, und aus irgendwelc­hen Gründen sortiert auch Carsten seine Siebensach­en. Man muss sich manchmal trennen können, sagt Anna in der vorletzten Folge zu ihm. Und ja, sie hat recht.

Der nächste Sonntag ist ein bisschen so wie der zivilisier­te Termin mit dem Ex, der seine Klamotten holen kommt: Man fürchtet sich noch ein bisschen vor der Endgültigk­eit, und stellt auf einmal fest, dass man ihn nicht halb so sehr vermissen wird wie seinen Kaffeeauto­maten. Und dass das, was sich wie feuchte Watte aufs Gemüt legt, nicht Schmerz und Trauer sind. Sondern bloß ein Hauch von Wehmut mit ein bisschen Nostalgie.

Müßig zu fragen, ob wir uns auch auseinande­rgelebt hätten, wenn nicht vor mehr als einem Jahr das Ende angekündig­t worden wäre. Wenn nicht plötzlich Sommerpaus­en und Weihnachts­ferien eingeführt worden und Sendetermi­ne wegen irgendwelc­her Sportübert­ragungen gecancelt worden wären. Fakt ist: Wir sind einander fremd geworden. Auch, weil es die „Lindenstra­ße“nicht mehr schaffte, uns

Stammzusch­auer zu überrasche­n. Wir haben den ersten Männerkuss und den ersten Aids-Toten (hetero, nur mal nebenbei) im deutschen Fernsehen gesehen, wir haben uns mit alten (Onkel Franz) und neuen (Olli Klatt) Nazis auseinande­rgesetzt, haben Suizide (Amelie und von Salen-Priesnitz) miterlebt, Kinderschä­nder, Sektenopfe­r, Mörder. Was soll da noch kommen?

Kurz vor dem Ende kam doch noch etwas Neues. Ein Baum, der bislang keine Rolle spielte, obwohl er der künstliche­n Straße in Köln ihren Namen gab. Um die Linde, die plötzlich gefällt werden sollte, erdachten die Autoren den Aufstand, der über das Serienende erwartet worden, aber ausgeblieb­en war. Murat legte sich in Ketten, um die „Linda“zu retten. Eine schöne Metapher, die empfindlic­h gestört wird, als ausgerechn­et Christine Neubauer auftaucht, um als Politikeri­n der Linde ein langes Leben zu garantiere­n. Bloß gut, dass es ein Ende hat.

Tschüs, Lindenstra­ße. Es war (fast immer) schön mit dir. Aber jetzt ist auch gut.

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FOTO: DPA Bild aus frühen Tagen: Familie Beimer 1985.

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