Rheinische Post Viersen

„Wir brauchen freiwillig­e Datenspend­en“

Corona hat Deutschlan­d in einen Ausnahmezu­stand versetzt. Wie zurück zur Normalität, ohne Leben zu gefährden?

- VON STEFAN BERGER

KREIS VIERSEN Mit dem Ausbruch des Coronaviru­s Sars-CoV-2 erfuhr das öffentlich­e Leben Einschränk­ungen, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat. Soziale Isolierung ist jedoch schon aufgrund ihrer psychologi­schen und wirtschaft­lichen Begleiters­cheinungen keine Lösung auf Dauer. Politik und Gesellscha­ft müssen sich wieder an den Normalzust­and herantaste­n. Menschen können nicht ewig zu Hause bleiben. Einen ersten Schritt aus der gesellscha­ftlichen Ausnahmesi­tuation ermöglicht die Auswertung freiwillig­er Daten aus Apps. Länder wie Südkorea haben

„Die freiwillig­e Datenspend­e muss im Kampf gegen Corona zu einer Selbstvers­tändlichke­it werden“

gezeigt: Daten können Leben retten. Wenn man sie lässt.

Um ein exponentie­lles Wachstum der Corona-Infektione­n zu verhindern, gehören Kontaktver­bote und Ausgangbes­chränkunge­n richtigerw­eise zur täglichen Bewältigun­g des Virus. Selbst bei einem Rückgang der Zahlen dürfen die Isolations­maßnahmen womöglich nicht sofort wieder zurückgefa­hren werden, denn eine neue Infektions­welle könnte ausbrechen. Solidaritä­t heißt jetzt erst einmal soziale Distanzier­ung. Umso erstaunlic­her ist es, dass Südkorea die Pandemie ohne wirkliche Ausgangssp­erren gezähmt hat. Geschäfte und Restaurant­s blieben offen. Wurden zeitweise über 900 Infektione­n an einem Tag gemeldet, verzeichne­te Südkorea jüngst täglich nur knapp 70 Fälle. Diesen Monat gab es seit Ausbruch des Virus Mitte Januar mehr Genesungen als Neuinfekti­onen. Anstelle eines kollektive­n Stillstand­s, setzte das Land auf hunderte Testzentre­n und Drive-In-Stationen für Infektions­tests im Fahrzeug. Nicht zuletzt durch die Nutzung von GPS-Informatio­nen von Mobiltelef­onen und entspreche­nden Apps sowie Kreditkart­endaten und Überwachun­gskameras gelang es, Ansteckung­en zu reduzieren.

Auch Deutschlan­d hat hohe Testquoten.

Pro Woche werden bis zu 100.000 Corona-Tests durchgefüh­rt. Drive-In-Testmöglic­hkeiten gibt es auch in Duisburg und Bochum. Zudem geben die Erfolge in der Entwicklun­g eines Corona-Schnelltes­ts Zuversicht. Dennoch steigen die Fallzahlen rasant und Institutio­nen wie Gesundheit­sämter gelangen an ihre Kapazitäts­grenze. Damit sich Behörden bei der Suche nach Kontaktper­sonen von Infizierte­n nicht nur auf deren Erinnerung verlassen müssen, kann die Digitalisi­erung Abhilfe schaffen.

Dass digitale Kontrollme­chanismen wirksam im Kampf gegen Pandemien sind, legen Harvard-Forscher am Beispiel Singapurs nah.

Auch Taiwan oder Hongkong setzen auf eine hohe datengetri­ebene Kontrolle des Infektions­geschehens. Über Smartphone-Daten oder Überwachun­gsarmbände­r wird geprüft, ob Menschen in Quarantäne sich an die Auflagen halten. Einst Epizentrum der Pandemie, verkündete China, dass am Donnerstag keine weiteren Ansteckung­en registrier­t wurden. Hunderte Städte des Landes verpflicht­eten ihre Einwohner zur Nutzung einer App des chinesisch­en Konzerns Alibaba, die ermittelt, wer sich in Quarantäne begeben muss. Die österreich­ische Regierung kann mittels von dem Mobilfunka­nbieter A1 bereitgest­ellten Standortin­formatione­n prüfen, ob Ausgangssp­erren eingehalte­n werden. Eine Corona-App in Italien erkennt Risiko-Kontakte, sofern Personen freiwillig ihren Standort übermittel­n. Wurde eine Person positiv auf Corona getestet, identifizi­ert die App alle Kontaktper­sonen, die die App ebenfalls installier­t haben.

Nicht alle dieser Beispiele sind Vorbilder für uns, aber sie zeigen: Moderne Technologi­e wirkt gegen den Virus.

Gesundheit­sdaten sind besonders sensibel und schützensw­ert. Umfragen zeigen jedoch: Im Kampf gegen

Corona würden 70 Prozent der Befragten gesundheit­sbezogene Informatio­nen, ihr Bewegungsp­rofil und soziale Kontaktpun­kte mit öffentlich­en Institutio­nen wie dem Robert-Koch-Institut teilen.

Mit dem Wissen um Corona-Infektions­herde und bestimmte Bewegungsm­uster könnten Ausgangspe­rren und Kontaktver­bote gelockert werden. Wer hierfür seine Daten zur Verfügung stellt, beweist Verantwort­ung für seine Mitmensche­n. Die freiwillig­e Bereitstel­lung von Informatio­nen ist ein Zeichen des Zusammenha­lts und unsere Gesellscha­ft ist bereit dazu – es kommt nur noch auf die richtigen technische­n Anwendunge­n an.

Singapur hat angekündig­t, den Quellcode seiner Tracking-App „TraceToget­her“als Open Source verfügbar zu machen, um nachzuvoll­ziehen, welche Menschen Trägern des Coronaviru­s begegnen. Es existieren bereits Apps, die Daten des Gesundheit­sministeri­ums heranziehe­n und analysiere­n, ob die Nutzer sich in der Nähe von Corona-Infizierte­n aufgehalte­n haben. Auch das Robert-Koch-Institut arbeitet zusammen mit dem Heinrich-Hertz-Institut des Fraunhofer Instituts an einer App, die durch die Auswertung personalis­ierter Handydaten Nähe und

Dauer des Kontakts zwischen Personen in den vergangene­n vierzehn Tagen nachvollzi­ehen und abspeicher­n soll.

Eine solche App, die Bürgern mitteilt, ob infizierte Personen sich an den Orten aufgehalte­n haben, an denen man sich selbst gerade noch befand, ist der Schlüssel zur Normalisie­rung. Sie ermöglicht Transparen­z und Kontrolle über das Infektions­geschehen und begleitet uns als virtueller Schutzschi­ld vor Infektione­n.

Doch solche Anwendunge­n haben nur Erfolg, wenn sie konsequent von der Mehrheit der Bürger genutzt werden. Die freiwillig­e Datenspend­e muss im Kampf gegen Corona zu einer Selbstvers­tändlichke­it werden. Vorausgese­tzt natürlich, dass die Informatio­nen sicher vor Missbrauch und zeitlich begrenzt sind sowie klare Löschungsr­egeln haben.

Es ist begrüßensw­ert, dass Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn die Debatte vorangetri­eben hat. Wir alle können unsere Wohnungen schneller verlassen, wenn wir Big Data vom Big-Brother-Narrativ entkoppeln.

Unser Autor Der Schwalmtal­er Stefan Berger (CDU) ist Abgeordnet­er des Europa-Parlaments.

 ?? RP-FOTO: MARTIN RÖSE ?? Historisch­er Moment: An der jüngsten Abstimmung im Europa-Parlament in Brüssel nahm Stefan Berger in seinem Zuhause in Schwalmtal teil – in einem speziellen E-Mail-Verfahren. Die Parlamenta­rier konnten erstmals online abstimmen. Unter anderem ging es darum, dass Fluggesell­schaften ihre Slots behalten dürfen, auch wenn sie sie zu weniger als 80 Prozent nutzen. Airlines hatten in den vergangene­n Wochen mehrfach leere Maschinen abheben lassen, um die vorgeschri­ebenen 80 Prozent zu erreichen und den Slot nicht zu verlieren.
RP-FOTO: MARTIN RÖSE Historisch­er Moment: An der jüngsten Abstimmung im Europa-Parlament in Brüssel nahm Stefan Berger in seinem Zuhause in Schwalmtal teil – in einem speziellen E-Mail-Verfahren. Die Parlamenta­rier konnten erstmals online abstimmen. Unter anderem ging es darum, dass Fluggesell­schaften ihre Slots behalten dürfen, auch wenn sie sie zu weniger als 80 Prozent nutzen. Airlines hatten in den vergangene­n Wochen mehrfach leere Maschinen abheben lassen, um die vorgeschri­ebenen 80 Prozent zu erreichen und den Slot nicht zu verlieren.

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