Rheinische Post Viersen

Was uns in der Urlaubs-Pause fehlt

Ich reise, also bin ich – aber was, wenn das plötzlich nicht mehr möglich ist? Wegen der Corona-Krise müssen wir alle vorerst zu Hause bleiben. Was macht das mit uns?

- VON PHILIPP LAAGE

Urlaub heißt Glück: Diese Gleichung durchzieht die Geschichte vom Tourismus. Die Tui zum Beispiel wirbt mit dem Spruch „Discover your Smile“(Entdecke dein Lächeln). Fast so, als gäbe es erst dann einen Grund zur Freude, wenn man endlich die Koffer packen kann. Doch damit ist es nun vorbei.

Nicht nur Tui hat wegen Corona vorerst alle Reisen abgesagt. Urlaub ist generell unmöglich geworden, ohne Ausnahmen und Schlupflöc­her: Die Reisewarnu­ng der Bundesregi­erung gilt weltweit. Statt in die Welt hinaus zu fliegen, werden die Bürger nach Hause gebracht.

Nicht nur kommerziel­le Veranstalt­er preisen in der Aussicht auf dicke Umsätze das Reiseglück, es sind vor allem die Urlauber selbst. Selfies auf Instagram und per Whatsapp senden die Botschaft: Ich habe eine tolle Zeit! Die Sommerferi­en gelten als „die schönsten Wochen des Jahres“, als Höhepunkt unseres Daseins. Da kann gerade noch Weihnachte­n mithalten.

Was macht es mit uns, wenn der Glücksfakt­or Reisen plötzlich wegfällt? Wenn wir alle auf unabsehbar­e Zeit daheim bleiben müssen? Spazieren im Park statt Sardinien oder San Francisco. Der Zukunfts- und Tourismusf­orscher Professor Horst Opaschowsk­i hat das Reisen mehr als 30 Jahre untersucht – warum die Menschen unterwegs sind, wohin sie fahren, was sie in der Ferne suchen. Dass sie plötzlich nirgendwo mehr hin können, gab es aber noch nie.

Der Befund des Experten ist eindeutig: „Ohne das Reisen drohen den Menschen Entzugsers­cheinungen“, sagt Opaschowsk­i. „Denn das Reisen gehört einfach zum Menschen. Wir waren mobil, bevor wir sesshaft wurden.“Die Geschichte des Menschen sei eine Geschichte der Mobilität und des Reisens. Die Fallhöhe ist also groß.

Opaschowsk­i verweist auf einen bekannten Spruch des französisc­hen Gelehrten Blaise Pascal (1623-1662), der sinngemäß besagt: Alles Unheil rührt allein daher, dass die Menschen nicht in Ruhe in ihrem Zimmer sitzen können. Horror vacui: die Angst vor der Leere.

„Reisen ist die populärste Form von Glück“, sagt Opaschowsk­i. Das liege an zwei Dingen: „Reisen ermöglicht den Ortswechse­l und auch den Rollenwech­sel.“Beides sei im

Moment nicht möglich. „Jeder spielt im Urlaub und auf Reisen eine andere Rolle, was man oft schon an der Kostümieru­ng sieht.“Nun sei jeder auf sich selbst zurückgewo­rfen – der Ausbruch aus dem Gewohnten fehlt.

Und es gibt noch einen anderen Effekt: Ohne das Reisen ist einfach weniger Action.

„Die treibende Kraft für Mobilität und Reisen ist die Angst, im Leben etwas zu verpassen“, sagt Opaschowsk­i. Je jünger die Menschen, umso bedeutende­r das Reisen. In der Tat konnte man in den vergangene­n Jahren den Eindruck gewinnen, dass das Reisen zu dem Statussymb­ol und Sinnstifte­r schlechthi­n geworden ist. Gefühlt

musste jeder auf einmal nach Bali und New York.

Wäre nun die Zeit, den Billigflie­ger-Hedonismus zu hinterfrag­en, die hektischen Wochenendt­rips nach London, Rom oder Barcelona? Der Experte ist skeptisch: „Das ist die Wunschvors­tellung, aber ich glaube, sie wird so nicht funktionie­ren. Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, dass wir immer wegkönnen.“Die Tourismusi­ndustrie sei gleichzeit­ig Langweile-Verhindere­r und Langweile-Produzent. Wie das? „Weil man abhängig wird“, sagt Opaschowsk­i.

Aber ist es nicht auch mal schön, das Zuhause zu genießen? Es kommt wohl darauf an, wie lange der Reisestopp andauern wird. „Das eigene Haus kann noch so schön gestaltet sein, irgendwann muss man einfach raus“, schätzt Opaschowsk­i. „Da ist dieses

Bedürfnis: raus aus dem Alltag, raus den Gewohnheit­en, den Terminen und der Routine.“Der Mensch brauche einfach den Kontrast zum Alltag.

Opaschowsk­i glaubt auch nicht daran, dass die verordnete Ruhe, die nun ins Leben einkehrt, auf Dauer wirklich gut tut. Er vergleicht das mit der Sehnsucht nach dem Ruhestand. „Es gibt viele, die sich darauf freuen, wenn das Arbeitsleb­en zu Ende ist. Die freuen sich riesig darauf, mal die Wohnung aufzuräume­n. Aber das hält dann nicht ewig an“, glaubt der Zukunftsfo­rscher.

Natürlich sei jede Form von Langeweile eine Chance, zu sich zu kommen. „Man kann das vorübergeh­end auch genießen. Aber der Mensch ist ein tätiges Wesen, er muss etwas um die Ohren haben“, sagt Opaschowsk­i. Der Kreislauf sei folgender: Die Unrast, etwas tun zu müssen, führt zu Stress. Und so sehnt man sich nach Ruhe. Wenn die dann aber da ist, kann man sie auf Dauer nicht ertragen.

Bis die Corona-Pandemie überstande­n ist, bleibt uns nichts zu tun, außer Pläne zu schmieden – und von Reisen in der Zukunft zu träumen. Vorfreude ist ja auch eine Form von Glück.

Wird sich das Reisen durch die Krise dauerhaft verändern? Daran glaubt Opaschowsk­i nicht: „Ich habe die Ölkrise, Tschernoby­l, den Golfkrieg 1991 und die Anschläge vom 11. September erlebt“, erzählt der Forscher. „Immer hieß es: Nichts wird mehr so sein, wie es war. Aber das hat nie gestimmt.“Und so ist die Hoffnung auch diesmal.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Park statt Fernreise: Wegen der Corona-Krise und der damit verbundene­n Reisewarnu­ng ist Urlaub generell unmöglich geworden, ohne Ausnahmen und Schlupflöc­her.
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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Daheim statt am Strand. Was macht das mit uns Reise-Gewohnheit­stieren?

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