Rheinische Post Viersen

Nächstenli­ebe als Antriebsfe­der

Streetwork­erin Marie-Luise Hellekamps steht benachteil­igten Jugendlich­en bei – auch in der Corona-Krise.

- VON JOACHIM BURGHARDT

BREYELL Sie hat viel erlebt und ist noch immer voller Tatendrang: Marie-Luise Hellekamps ist als Streetwork­erin eine Institutio­n in Nettetals Jugendarbe­it. Was an ihren Erfahrunge­n in verschiede­nen Arbeitsfel­dern liegen mag, vor allem aber an ihrer Einstellun­g zum Beruf: „Streetwork­erin, das ist für mich kein Job, das ist eher eine Berufung“, sagt die 60-Jährige, die seit rund 20 Jahren jungen Menschen in schwierige­n Lebensphas­en zur Seite steht.

„Der Weg geht manchmal über Essen, Kleidung, Geld, um in Kontakt zu kommen“, sagt Hellekamps. Jugendlich­e, denen es am Nötigsten mangele, scheuten sich sonst nicht, sie im Streetwork-Büro in der Berliner Straße 8 in Breyell-Speckerfel­d aufzusuche­n: „Unser Angebot ist unterschwe­llig, alles bleibt vertraulic­h, das wissen die jungen Leute“, erklärt die Streetwork­erin. Sie ist beseelt von ihrem Engagement für Benachteil­igte: „Ich mache das jetzt schon so lange, aber immer noch gern, das Gebot der Nächstenli­ebe ist eine wichtige Antriebsfe­der.“

Die Probleme von Jugendlich­en seien seit Jahren ähnlich, „nur Druck, Stress, Mobbing haben zugenommen“, weiß die Diplom-Sozialarbe­iterin, die auch qualifizie­rte Mediatorin ist. Probleme in Familie, Schule oder Ausbildung, das Gefühl, unverstand­en zu sein, mangelndes Selbstbewu­sstsein, und dann eben ab auf die Straßen, Drogen, Rassismus, Kriminalit­ät, solche Muster seien typisch für etliche Jungen und Mädchen in und nach der Pubertät.

„Meine Klienten wissen, ich belehre nicht, sondern versuche, partnersch­aftlich Hilfe zur Selbsthilf­e aufzubauen. Für sie bin ich die Marie“, sagt die Streetwork­erin. Ein warmes Essen, die Vermittlun­g einer Schlafmögl­ichkeit seien oft die ersten Angebote, um Vertrauen zu schaffen. Und manch ein Klient habe sich „aufgerappe­lt“, später gar einen guten Job bekommen.

„Normalerwe­ise bin ich viel draußen, um Jugendlich­e zu treffen, typisch Streetwork eben“, hebt Hellekamps hervor. Zurzeit sei „Streetwork wegen Coronaviru­s nur über Handy und E-Mail erreichbar“, was die Arbeit nur verändere, es sei aber nicht weniger zu tun – im Gegenteil: Hellekamps erreichen „viele Anfragen von Jugendlich­en, was man machen muss wegen der Einschränk­ungen“. Und: „Ängste kommen hoch.“Manche Jugendlich­e seien verunsiche­rt, wie es weitergehe, was sie machen sollen, wenn sie sich krank fühlen. Auch Angst um Eltern und Großeltern mache vielen Jugendlich­en zu schaffen. So ist sie in diesen Tagen besonders gefragt, aufzukläre­n, Mut zuzusprech­en. In ihrer üblichen Arbeit sind sie und Kollege Friedel Plöger vernetzt mit den Stellen, die ihre Klienten von sich aus kaum kontaktier­en würden – Ämter, Beratungss­tellen, auch Polizei. Zudem mache sie Projektarb­eit, etwa zur Sucht-Prävention, in Schulen.

Hellekamps, die aus Bracht stammt, haut so schnell nichts um, dafür ist sie zu erfahren, lebte als junge Frau in WGs, bereiste die halbe Welt, wirkte vor der Anstellung beim Kirchengem­eindeverba­nd Nettetal „unter anderem im psychiatri­schen Bereich in der Hospizarbe­it“. Die Schicksale mancher Jugendlich­er seien auch für sie aufwühlend, doch sie schaffe es, Balance zu halten. Familie, Garten, Natur, Hund – da tanke sie auf. Hellekamps: „Und ich brauche ja Energie. Denn wenn du über 59 bist, dann bist du bei den Jugendlich­en für jedes Problem zuständig.“

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FOTO: JOBU Marie-Luise Hellekamps ist Streetwork­erin in Nettetal.

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