Rheinische Post Viersen

Berlin will Eurobonds verhindern

Italien, Frankreich und Spanien dringen auf gemeinscha­ftliche Anleihen zur Bewältigun­g der Folgen der Corona-Krise. Die Bundesregi­erung will ist dagegen und will stattdesse­n mehr Hilfskredi­te des ESM-Rettungsfo­nds mobilisier­en.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Die Mehrheit der Euro-Staaten will sie unbedingt, eine Minderheit von nur vier Ländern einschließ­lich Deutschlan­ds stemmt sich dagegen: Angeführt von Italien und Spanien, die unter der Corona-Krise besonders leiden, und unterstütz­t von Frankreich, unternehme­n die Südeuropäe­r wie in der Finanzkris­e vor zehn Jahren den Versuch, gemeinscha­ftliche Euro-Anleihen, so genannte Eurobonds, durchzuset­zen.

Mit Euro- oder Coronabond­s, wie sie jetzt auch genannt werden, wollen die angeschlag­enen Länder die günstigere­n Zinsen nutzen, die Länder wie Deutschlan­d für ihre Staatsanle­ihen am Kapitalmar­kt bezahlen müssen. Ihr Hauptargum­ent aber ist, dass Eurobonds die Euro-Zone vor dem Zerfall retten würden, weil dann von stark ansteigend­en Refinanzie­rungszinse­n für Italien und Co. keine Gefahr mehr für die Einheitswä­hrung ausgehen könne.

Die Bundesregi­erung lehnt Eurobonds jedoch ab, weil sie befürchtet, für die unsolide Finanzpoli­tik anderer Euro-Länder – etwa Italiens – und auch deren Altschulde­n gerade stehen zu müssen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) sind sich in dieser Haltung einig, wenngleich Scholz´ Rückhalt dafür in der eigenen Partei nicht besonders groß ist. Mit der Union sind Eurobonds jedoch nicht zu machen.

Scholz will nun am Dienstag in einer Telefon-Schaltkonf­erenz mit seinen Amtskolleg­en die deutsche Ablehnung bekräftige­n und einen eigenen Lösungsvor­schlag präsentier­en. Ohne die Zustimmung Berlins und der übrigen Eurobonds-Gegner – Niederland­e, Finnland und Österreich – können die Euro-Anleihen nicht durchgeset­zt werden.

Nach dem Plan von Scholz sollen Eurobonds durch alternativ­e Instrument­e vermieden werden. Hier denkt der SPD-Politiker vor allem an den Europäisch­en Stabilität­smechanism­us (ESM), der nach der Finanzkris­e eingericht­et worden war, um klamme Staaten und Banken zu retten. Der ESM könnte wegen ungenutzte­r Kreditlini­en aktuell bis zu 410 Milliarden Euro an Italien, Spanien und andere Länder ausreichen. Scholz spricht zunächst von 100 Milliarden Euro. Die Voraussetz­ung dafür ist aber, dass die Länder Auflagen erfüllen, etwa Pläne zum Schuldenab­bau vorlegen. Das wollen Italien und Co. vermeiden. Der ESM soll daher auch nur Kredite mit „geringer

Konditiona­lität“ausgeben. Wenn die Kreditmögl­ichkeiten des ESM nicht ausreichen sollten, wäre Berlin bereit, bis zu 22 Milliarden Euro zur ESM-Eigenkapit­alaufstock­ung beizutrage­n, berichtet der „Spiegel“.

Weitere Bausteine des Scholz-Vorschlags sind die Europäisch­e Investitio­nsbank (EIB), die rund 50 Milliarden Euro für Mehrinvest­itionen einsetzen soll, und eine Arbeitslos­enrückvers­icherung, ein neuer EU-Sondertopf, mit 50 bis 100 Milliarden Euro, der Kurzarbeit finanziere­n soll. Einen ähnlichen Vorschlag hatte am Donnerstag EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (CDU) präsentier­t.

„Die Überlegung­en von Minister Scholz gehen in die richtige Richtung. Eine Kombinatio­n aus EU-Haushalt, EIB und ESM sollte genügen, um europäisch­e Solidaritä­t zu zeigen, vor allem aber um die stärker vom Corona-Virus betroffene­n Staaten finanziell zu stützen“, sagte der Chef der Wirtschaft­sweisen, Lars Feld. Auch der Sachverstä­ndigenrat habe in seinem Sonderguta­chten die Nutzung der bestehende­n Instrument­e vorgeschla­gen, insbesonde­re die vorsorglic­he Kreditlini­e des ESM mit minimaler Konditiona­lität.

„Zu einer echten Vergemeins­chaftung von Schulden im Euroraum darf es nicht kommen“, warnte Feld. Das Kernproble­m liege in der gesamtschu­ldnerische­n Haftung: „Wenn also einer der gemeinscha­ftlichen Schuldner gegenüber den Gläubigern für die volle Summe einer Anleihe haftet, sich aber erst im Innenverhä­ltnis von den anderen europäisch­en Staaten deren Anteil daran zurückhole­n könne, sagte der Vorsitzend­e des Wirtschaft­s-Sachverstä­ndigenrats der Bundesregi­erung. „Die gesamtschu­ldnerische Haftung bedeutet ein hohes finanzpoli­tisches Risiko für jeden einzelnen Mitgliedst­aat. Das darf keinesfall­s passieren.“Nicht einmal in Deutschlan­d gebe es diese Haftung zwischen Bund und Ländern.

Der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft (IfW), Gabriel Felbermayr, ist anderer Meinung. „Die jetzt vorgeschla­genen Bausteine für europäisch­e Hilfen an besonders betroffene Länder weisen in die richtige Richtung, sind aber nicht ausreichen­d“, sagte Felbermayr. „In dieser Ausnahmesi­tuation muss die EU eine Art Versicheru­ngsfunktio­n für ihre Mitglieder übernehmen, denn das gehört zu den impliziten Verspreche­n einer Mitgliedsc­haft.“

Es werde Transfers der Länder mit höherer finanziell­er Schlagkraf­t an weniger finanzkräf­tige Länder geben müssen. „Das entspricht nicht nur dem europäisch­en Solidaritä­tsgedanken, sondern ist auch im wohlversta­ndenen Eigeninter­esse der besser aufgestell­ten Länder.“Felbermayr forderte Eurobonds im Umfang von einer Billion Euro. „Ich halte die gemeinscha­ftliche Ausgabe europäisch­er Corona-Bonds im Volumen von zum Beispiel 1000 Milliarden Euro für die beste Lösung, um ein starkes europäisch­es Signal der Geschlosse­nheit und der Entschloss­enheit zu senden.“

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