Erzwungene Solidarität
Im Fußball brauchen die Großen die Kleinen, sonst könnten sie ja nicht spielen. Deshalb gibt es nun Zeichen der Solidarität unter den Klubs. Der Zusammenhalt hat allerdings Grenzen.
DÜSSELDORF Solidarität. In diesen Tagen ein viel strapaziertes Wort. „So einig habe ich die Liga noch nie erlebt“, sagte Christian Seifert, Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga und in dieser Funktion oberster Repräsentant der 36 Profiklubs aus der 1. und 2. Spielklasse. „Am Ende sind alle auch Konkurrenten“, hat er ebenfalls gesagt. Doch jetzt scheinen sie wohl wirklich alle in einem Boot zu sitzen.
Natürlich gibt es in der Krise noch Klassenunterschiede. Der FC Bayern München kann von sich behaupten, die Einbußen vergleichsweise leicht zu verkraften, es gibt schließlich das vielgerühmte Festgeldkonto. Für andere Klubs kann ein Wegfall von eingeplanten Geldern existenzielle Auswirkungen haben. Die Liga kann ein Auseinanderdriften aber nicht vertragen. Wenn der erste Verein in die Knie gezwungen würde, könnten weitere folgen. Das wiederum hätte dramatische Auswirkungen auf die Ausgeglichenheit der Liga. Und es könnte sogar den Wettbewerb ernsthaft gefährden, wenn nur noch die Starken übrig bleiben. Gegen wen wollen sie dann noch spielen?
Der nationale Wettbewerb ist für alle die Basis. Entsprechend intensiv kümmern sich die Großen um die Kleinen. Der FC Bayern, Borussia Dortmund, RB Leipzig und Bayer Leverkusen haben in einem ersten Schritt 20 Millionen in einen Hilfsfonds eingebracht. Ausgerechnet über diese dem Anschein nach so edle Geste wird aber nun gestritten.
Der „Spiegel“berichtet, bei der Telefonkonferenz der DFL-Mitglieder sei die Frage gestellt worden, woher die 20 Millionen Euro denn stammen. Vergangene Woche teilte die DFL dazu mit: „Die vier Champions-League-Teilnehmer der aktuellen Saison verzichten zunächst auf ihren Anteil an noch nicht verteilten nationalen Medienerlösen in der kommenden Spielzeit. Dieser Betrag, der bei Anwendung des derzeitigen Verteiler-Schlüssels rund 12,5 Millionen Euro ausmachen würde, wird seitens der vier Klubs noch einmal um rund 7,5 Millionen Euro aufgestockt.“
Sehr kritische Geister, namentlich einige Vertreter der kleinen Klubs, glauben, dass sich die vier Großen aus einem Topf bedienen könnten, den die DFL aus früheren Medien-Einnahmen für schlechte Zeiten
gebildet hat. Rund 45 Millionen Euro liegen in diesem Topf. Auf diese Frage hat die DFL nicht geantwortet.
Sie lobt stattdessen die vier großen Vereine. „Diese Aktion unterstreicht, dass Solidarität in der 1. und 2. Bundesliga kein Fremdwort ist“, stellte Seifert fest.
Und in manchen Kreisen der Liga klang es fast wie im Bibelkreis. Der Hoffenheimer Klubfinanzier Dietmar Hopp sagte: „Der Starke hilft dem Schwachen.“Bayern Münchens ehemaliger Präsident Uli Hoeneß erklärte: „Die Großen müssen den Kleinen helfen.“So viele Aufrufe zur praktizierten Nächstenliebe hat es im deutschen Fußball noch nicht gegeben. Und so viel – zumindest vordergründige – Einigkeit über die Notwendigkeit eines Solidarfonds für in Not geratene Vereine auch nicht.
Im Kleingedruckten aber lauern die Bedenken. Der Dortmunder Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hat sie in diesem Satz versteckt: „Wir haben immer gesagt, dass wir uns solidarisch zeigen, wenn Klubs unverschuldet in Schieflage geraten.“Unverschuldet, hat er gesagt. Ein paar Tage vor der großzügigen Spende war er noch präziser.
„Am Ende“, betonte Watzke, „können nicht die Klubs, die ein bisschen Polster angesetzt haben, die Klubs, die das nicht getan haben, dafür auch noch belohnen.“Und: „Das darf nicht dazu führen, dass die Klubs profitieren, die in den vergangenen Jahren sportlich und ökonomisch Fehler gemacht haben.“Namen nannte er nicht.
Das klingt jetzt nicht direkt nach Nächstenliebe, die ihrem Grundsatz nach ohne Bedingungen ist. Es zeigt die im Geschäftsleben natürlichen Grenzen der Solidarität. Und das ist nicht nur aus Watzkes Sicht eine berechtigte Einschränkung.
Er steht auch gar nicht in der Pflicht, für buchstäblich ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen. Das obliegt der Deutschen Fußball Liga. Sie wäre der Hüter eines Solidarfonds. Die DFL ist aber auch Herrin des Lizenzverfahrens. Sie bewertet die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Klubs und erteilt danach die Spielberechtigung – unter Umständen mit Auflagen. Dieses Verfahren hat bislang verhindert, dass ein Klub der Bundesliga im laufenden Betrieb zahlungsunfähig geworden wäre. Das Verfahren ist schon jetzt vorbildlich für Europa.
Was spricht also dagegen, den Klubs im Lizenzverfahren vorzuschreiben, selbst Rücklagen für den Katastrophenfall zu bilden? Nichts. Und der Gerechtigkeit, nach der Watzke so laut ruft, wäre ebenfalls Genüge getan. Das wäre eine Lehre aus dem Crash, den die Bundesliga durch die Corona-Krise erleben wird. Das ist allerdings Zukunftsmusik. Für den Moment hilft tatsächlich nur Nächstenliebe. Denn wenn nur die Starken und Fehlerfreien unter sich bleiben, wird die Bundesliga sehr übersichtlich. Das weiß Watzke natürlich. Deshalb hat sein BVB auch eingezahlt in den Solidar-Topf – zumindest einen Teil der 7,5 Millionen Euro, die über das noch ausstehende TV-Geld hinaus gehen.
Bislang hat sich vor allem der FC Bayern München als Wohltäter in der Not einen Namen gemacht. Durch Benefizspiele unter anderem in Aachen, St. Pauli, Kaiserslautern, Darmstadt, Chemnitz, Rostock und Dresden hat er angeschlagenen Klubs wieder ein bisschen in die Spur geholfen. Bis heute widersprechen die Bayern auch nicht der These, ihr Zwei-Millionen-Darlehen für Borussia Dortmund habe den BVB Anfang der 2000er Jahre vor der Pleite bewahrt. Hans-Joachim Watzke bestreitet das energisch. Die Existenz des Darlehens bestreitet er nicht, es sei allerdings an seine Vorgänger im Amt gegangen.
Heute steht Watzke mit den Bayern auf der Seite der Geber-Vereine. Dass es mehrere sind, und dass die gesamte Liga über Solidarität nachdenkt, ist neu. Ohne Solidarität könnte sie ihre Spiel-Grundlage nach Corona verlieren. Das ist der Grund für gemeinschaftliches Handeln. Über die Ausgestaltung des gemeinsamen Handelns werden die Großen bestimmen. Wie immer.