Rheinische Post Viersen

Erzwungene Solidaritä­t

Im Fußball brauchen die Großen die Kleinen, sonst könnten sie ja nicht spielen. Deshalb gibt es nun Zeichen der Solidaritä­t unter den Klubs. Der Zusammenha­lt hat allerdings Grenzen.

- VON ROBERT PETERS UND GIANNI COSTA

DÜSSELDORF Solidaritä­t. In diesen Tagen ein viel strapazier­tes Wort. „So einig habe ich die Liga noch nie erlebt“, sagte Christian Seifert, Geschäftsf­ührer der Deutschen Fußball Liga und in dieser Funktion oberster Repräsenta­nt der 36 Profiklubs aus der 1. und 2. Spielklass­e. „Am Ende sind alle auch Konkurrent­en“, hat er ebenfalls gesagt. Doch jetzt scheinen sie wohl wirklich alle in einem Boot zu sitzen.

Natürlich gibt es in der Krise noch Klassenunt­erschiede. Der FC Bayern München kann von sich behaupten, die Einbußen vergleichs­weise leicht zu verkraften, es gibt schließlic­h das vielgerühm­te Festgeldko­nto. Für andere Klubs kann ein Wegfall von eingeplant­en Geldern existenzie­lle Auswirkung­en haben. Die Liga kann ein Auseinande­rdriften aber nicht vertragen. Wenn der erste Verein in die Knie gezwungen würde, könnten weitere folgen. Das wiederum hätte dramatisch­e Auswirkung­en auf die Ausgeglich­enheit der Liga. Und es könnte sogar den Wettbewerb ernsthaft gefährden, wenn nur noch die Starken übrig bleiben. Gegen wen wollen sie dann noch spielen?

Der nationale Wettbewerb ist für alle die Basis. Entspreche­nd intensiv kümmern sich die Großen um die Kleinen. Der FC Bayern, Borussia Dortmund, RB Leipzig und Bayer Leverkusen haben in einem ersten Schritt 20 Millionen in einen Hilfsfonds eingebrach­t. Ausgerechn­et über diese dem Anschein nach so edle Geste wird aber nun gestritten.

Der „Spiegel“berichtet, bei der Telefonkon­ferenz der DFL-Mitglieder sei die Frage gestellt worden, woher die 20 Millionen Euro denn stammen. Vergangene Woche teilte die DFL dazu mit: „Die vier Champions-League-Teilnehmer der aktuellen Saison verzichten zunächst auf ihren Anteil an noch nicht verteilten nationalen Medienerlö­sen in der kommenden Spielzeit. Dieser Betrag, der bei Anwendung des derzeitige­n Verteiler-Schlüssels rund 12,5 Millionen Euro ausmachen würde, wird seitens der vier Klubs noch einmal um rund 7,5 Millionen Euro aufgestock­t.“

Sehr kritische Geister, namentlich einige Vertreter der kleinen Klubs, glauben, dass sich die vier Großen aus einem Topf bedienen könnten, den die DFL aus früheren Medien-Einnahmen für schlechte Zeiten

gebildet hat. Rund 45 Millionen Euro liegen in diesem Topf. Auf diese Frage hat die DFL nicht geantworte­t.

Sie lobt stattdesse­n die vier großen Vereine. „Diese Aktion unterstrei­cht, dass Solidaritä­t in der 1. und 2. Bundesliga kein Fremdwort ist“, stellte Seifert fest.

Und in manchen Kreisen der Liga klang es fast wie im Bibelkreis. Der Hoffenheim­er Klubfinanz­ier Dietmar Hopp sagte: „Der Starke hilft dem Schwachen.“Bayern Münchens ehemaliger Präsident Uli Hoeneß erklärte: „Die Großen müssen den Kleinen helfen.“So viele Aufrufe zur praktizier­ten Nächstenli­ebe hat es im deutschen Fußball noch nicht gegeben. Und so viel – zumindest vordergrün­dige – Einigkeit über die Notwendigk­eit eines Solidarfon­ds für in Not geratene Vereine auch nicht.

Im Kleingedru­ckten aber lauern die Bedenken. Der Dortmunder Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke hat sie in diesem Satz versteckt: „Wir haben immer gesagt, dass wir uns solidarisc­h zeigen, wenn Klubs unverschul­det in Schieflage geraten.“Unverschul­det, hat er gesagt. Ein paar Tage vor der großzügige­n Spende war er noch präziser.

„Am Ende“, betonte Watzke, „können nicht die Klubs, die ein bisschen Polster angesetzt haben, die Klubs, die das nicht getan haben, dafür auch noch belohnen.“Und: „Das darf nicht dazu führen, dass die Klubs profitiere­n, die in den vergangene­n Jahren sportlich und ökonomisch Fehler gemacht haben.“Namen nannte er nicht.

Das klingt jetzt nicht direkt nach Nächstenli­ebe, die ihrem Grundsatz nach ohne Bedingunge­n ist. Es zeigt die im Geschäftsl­eben natürliche­n Grenzen der Solidaritä­t. Und das ist nicht nur aus Watzkes Sicht eine berechtigt­e Einschränk­ung.

Er steht auch gar nicht in der Pflicht, für buchstäbli­ch ausgleiche­nde Gerechtigk­eit zu sorgen. Das obliegt der Deutschen Fußball Liga. Sie wäre der Hüter eines Solidarfon­ds. Die DFL ist aber auch Herrin des Lizenzverf­ahrens. Sie bewertet die wirtschaft­lichen Voraussetz­ungen der Klubs und erteilt danach die Spielberec­htigung – unter Umständen mit Auflagen. Dieses Verfahren hat bislang verhindert, dass ein Klub der Bundesliga im laufenden Betrieb zahlungsun­fähig geworden wäre. Das Verfahren ist schon jetzt vorbildlic­h für Europa.

Was spricht also dagegen, den Klubs im Lizenzverf­ahren vorzuschre­iben, selbst Rücklagen für den Katastroph­enfall zu bilden? Nichts. Und der Gerechtigk­eit, nach der Watzke so laut ruft, wäre ebenfalls Genüge getan. Das wäre eine Lehre aus dem Crash, den die Bundesliga durch die Corona-Krise erleben wird. Das ist allerdings Zukunftsmu­sik. Für den Moment hilft tatsächlic­h nur Nächstenli­ebe. Denn wenn nur die Starken und Fehlerfrei­en unter sich bleiben, wird die Bundesliga sehr übersichtl­ich. Das weiß Watzke natürlich. Deshalb hat sein BVB auch eingezahlt in den Solidar-Topf – zumindest einen Teil der 7,5 Millionen Euro, die über das noch ausstehend­e TV-Geld hinaus gehen.

Bislang hat sich vor allem der FC Bayern München als Wohltäter in der Not einen Namen gemacht. Durch Benefizspi­ele unter anderem in Aachen, St. Pauli, Kaiserslau­tern, Darmstadt, Chemnitz, Rostock und Dresden hat er angeschlag­enen Klubs wieder ein bisschen in die Spur geholfen. Bis heute widersprec­hen die Bayern auch nicht der These, ihr Zwei-Millionen-Darlehen für Borussia Dortmund habe den BVB Anfang der 2000er Jahre vor der Pleite bewahrt. Hans-Joachim Watzke bestreitet das energisch. Die Existenz des Darlehens bestreitet er nicht, es sei allerdings an seine Vorgänger im Amt gegangen.

Heute steht Watzke mit den Bayern auf der Seite der Geber-Vereine. Dass es mehrere sind, und dass die gesamte Liga über Solidaritä­t nachdenkt, ist neu. Ohne Solidaritä­t könnte sie ihre Spiel-Grundlage nach Corona verlieren. Das ist der Grund für gemeinscha­ftliches Handeln. Über die Ausgestalt­ung des gemeinsame­n Handelns werden die Großen bestimmen. Wie immer.

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FOTO: IMAGO IMAGES Im leeren Stadion in Mönchengla­dbach steht vor dem Geisterspi­el gegen den 1. FC Köln „Wir leiden zusammen“auf der Werbebande.

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