Rheinische Post Viersen

Was uns Souvenirs in Corona-Zeiten bedeuten

Was bleibt uns vom Reisen in Zeiten von Corona? Zumindest die Souvenirs aus vergangene­n Urlauben. Zeit für eine Würdigung.

- VON PHILIPP LAAGE

Die ganze Welt sitzt in den eigenen vier Wänden, Reisen unmöglich. Andenken früherer Urlaube und aus fernen Ländern erinnern an bessere Tage.

„Wie in Zeitlupe nehmen wir jetzt alles genauer wahr, weil sich alles verlangsam­t. Wir sitzen auf dem gleichen Stuhl, während wir alles Mögliche von zu Hause aus erledigen, und der Blick schweift auf die Souvenirs“, so beschreibt es der Kulturwiss­enschaftle­r Professor Wolfgang Kaschuba. „Diesen Erinnerung­sstücken kommt in einer Zeit der zurückweic­henden Horizonte, in der wir ja oft nur noch die Aussicht aus dem Fenster haben, ein größeres Gewicht zu.“

Zeit für die Frage: Warum kaufen wir überhaupt Souvenirs? Was bedeuten sie uns, gerade jetzt, da wir nicht mehr reisen können? „Für mich sind Souvenirs mehr als eine

Erinnerung­sstütze“, sagt die Kunsthisto­rikerin Katharina Koppenwall­ner, die in ihrem Shop Internatio­nal Wardrobe ethnische Textilien verkauft. „Sie sind oft auch handwerkli­ches Überbleibs­el einer Welt, die bei uns verschwund­en ist.“Ein Beispiel seien bestimmte, handgemach­te Stoffe

aus Indien. So etwas gebe es in Deutschlan­d gar nicht mehr.

„Souvenirs sind in Verruf geraten, weil alle Leute denken, das sei so ein Folklore-Quatsch“, sagt Koppenwall­ner. „Aber es gibt in jedem Land eine materielle Kultur, die man entdecken kann. Da blättert sich einem eine Geschichte auf, die sehr spannend ist.“

Doch ein Andenken muss weder Kunstobjek­t noch Alltagsgeg­enstand sein. „Ich finde auch ein T-Shirt mit der Aufschrift ,I love New York’ gut“, sagt Koppenwall­ner. „Auch das kitschige, ironische Souvenir kann eine Geschichte erzählen. Man sollte sich hüten, das zu bewerten.“Letztlich könne alles ein Souvenir sein.

„Souvenirs haben oft mit Kitsch zu tun, manchmal mit Kunst, immer jedoch mit Gefühlen“, resümiert Kaschuba. Sie hätten nämlich auch eine biografisi­erende Funktion. „Nach dem Motto: Ach ja, da waren wir vor zehn Jahren!“Man erinnert sich, teilt das Leben in Episoden.

Und dann kann es darum gehen, sich mit der Geschichte in Verbindung zu setzen. Das am häufigsten gefälschte Souvenir sei wohl das Stück Berliner Mauer, sagt Kaschuba. „Das ist ein Stück Weltgeschi­chte zum Anfassen und Ins-Regal-stellen, ein haptisches Erlebnis. Das macht Gänsehaut und fängt den Pathos dieses Ortes ein.“

Reise & Welt

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FOTO: F. GABBERT/DPA-TMN Kühlschran­kmagneten in einem Shop in Zagreb in Kroatien: Ein Souvenir kann auch witzig oder ironisch sein.

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