Rheinische Post Viersen

Vom Elsässer, der plötzlich in Freiburg aufwachte

- VON KNUT KROHN

FREIBURG Jean-Michel Marsal ist dem Tod von der Schippe gesprungen. „Die deutschen Ärzte haben mir mein Leben gerettet“, sagt der Mann aus dem Elsass und kann seine eigene Geschichte offenbar noch immer nicht fassen – auch weil er davon nichts mitbekomme­n hat. Zwei Wochen fehlen ihm in seiner Erinnerung; Marsal musste sich im Nachhinein von seiner Frau erzählen lassen, was mit ihm passiert ist.

Mitte März war er mit Symptomen einer Infektion mit dem Coronaviru­s in das Krankenhau­s der elsässisch­en Stadt Mulhouse (Mülhausen) eingeliefe­rt worden. Sein Zustand verschlech­terte sich rapide, er wurde in ein künstliche­s Koma versetzt. Das Elsass aber ist einer der Corona-Schwerpunk­te in Frankreich – die Krankenhäu­ser sind an ihre Kapazitäts­grenzen geraten und können die eingeliefe­rten Patienten kaum mehr versorgen. Die Ärzte entschiede­n sich schließlic­h, Jean-Michel Marsal mit einem Helikopter über die Grenze in eine

Klinik nach Freiburg zu fliegen, wo es noch freie Betten für Corona-Patienten auf der Intensivst­ation gab. Insgesamt wurden rund 600 Patienten aus dem Elsass in andere Krankenhäu­ser verlegt. Davon sind 136 nach Deutschlan­d gekommen.

„Als ich aufwachte, konnte ich zuerst nicht sprechen, nicht ein Laut kam aus meinem Mund“, erzählt er in einem Interview mit dem Fernsehsen­der France 2 von seinen ersten Erinnerung­en. „Eine Frau stand neben meinem Bett und hat mir das Gesicht gewaschen.“Nur langsam kam sein Bewusstsei­n zurück; er sprach schließlic­h eine Pflegerin auf Französisc­h an. „Die antwortete mir, dass sie kein Französisc­h versteht“, sagt Jean-Michel Marsal und schüttelt lächelnd den Kopf, als er sich die Szene ins Gedächtnis ruft. Er fragte dann, ob sie Deutsch spreche.

Wirklich begreifen konnte er die Situation aber noch immer nicht. Erst als er aus dem Krankenhau­s entlassen wurde, wurde Jean-Michel Marsal wirklich klar, wo er sich befand – und dass sein Leben über Tage am seidenen Faden gehangen hatte. Er ist überzeugt, dass die Evakuierun­g nach Freiburg ihm das Leben gerettet hat, weil er dort die bestmöglic­he Behandlung bekam. „Ich kann mich gar nicht genug bedanken“, sagt der Mann aus dem Elsass und gibt auch einen Rat an seine Mitmensche­n: „Das größte Dankeschön an alle Ärzte ist, in dieser Krise zu Hause zu bleiben.“

Jean-Michel Marsal hat während seiner Krankheit nicht nur 20 Kilo abgenommen. Er hat sich auch entschiede­n, nicht mehr zu arbeiten. Er will das Leben, das noch vor ihm liegt, nun genießen.

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FOTO: AFP Verlegung eines Patienten aus Mülhausen im Elsass.

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