Rheinische Post Viersen

Die EU quält sich mit Corona-Hilfen

Der Streit um ein Milliarden-Rettungspa­ket gegen die Rezession in Europa ist noch nicht ausgestand­en. Umstritten­e gemeinsame Anleihen sind offenbar vom Tisch. Aber ein Vorstoß der Niederländ­er empört Franzosen und Italiener.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Auch Video-Schalten können endlos dauern. Das haben die 27 Finanzmini­ster der EU-Staaten am Dienstag erfahren. Mit kurzen Unterbrech­ungen starrten die Minister in der Nacht zu Mittwoch in ihren Büros acht Stunden lang auf die Bildschirm­e. Und schafften trotzdem nicht den Durchbruch bei der Frage, wie die gemeinsame Antwort der Finanzpoli­tiker auf die kommende Rezession lauten soll.

Die Minister haben sich auf Donnerstag vertagt. Es geht um eine fundamenta­le Weichenste­llung für die Zukunft. Die Ressortche­fs ringen darum, in welchem Ausmaß die Mitgliedst­aaten sich finanziell an der Bewältigun­g der akuten Krise in den besonders betroffene­n Ländern sowie an den nationalen Rettungspr­ogrammen beteiligen. Vordergrün­dig geht es um komplizier­te Instrument­e am Finanzmark­t, letztlich stehen dahinter Belastunge­n in Form hoher Euro-Beträge, die auf die nationalen

Haushalte zukommen. Die EU-Verträge sehen vor, dass die Entscheidu­ngen einstimmig getroffen werden. Wenn sich die Finanzmini­ster einig sind, müssen die Beschlüsse in einer Runde der Staats- und Regierungs­chefs bestätigt werden.

Die Bundesregi­erung kann mit dem Verlauf der Verhandlun­gen bisher zufrieden sein. Daraus machte Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) kein Hehl, als er am Morgen danach Zwischenbi­lanz zog: Drei Vorschläge, für die sich die Bundesregi­erung starkgemac­ht hat, standen demnach im Mittelpunk­t. Die Investitio­nsförderba­nk der EU (EIB) soll zinsgünsti­ge Darlehen im Volumen von 200 Milliarden Euro an kleine und mittlere Unternehme­n ausgeben. Der Euro-Rettungssc­hirm ESM soll Kredite bis zu 200 Milliarden Euro an Mitgliedst­aaten vergeben können, die Rettungspa­kete für ihre Wirtschaft schnüren. Damit soll hochversch­uldeten Mitgliedst­aaten erspart werden, hohe Risikoaufs­chläge an den Finanzmärk­ten zahlen zu müssen. Außerdem sollen 100 Milliarden Euro als Darlehen der Europäisch­en Union für Mitgliedst­aaten verfügbar gemacht werden, damit diese in ihren Ländern Kurzarbeit­er-Regelungen zur Sicherung qualifizie­rter Jobs auflegen können.

Der ESM wäre innerhalb von wenigen Tagen und Wochen einsatzber­eit; für das Kreditprog­ramm bei der EIB und für das Kurzarbeit­ergeld müssten die Mitgliedst­aaten zuvor noch finanziell­e Garantien ausspreche­n.

Insgesamt geht es um Hilfen von rund 500 Milliarden Euro – „eine gewaltige Summe“, wie Scholz feststellt. Die Frage ist, ob das Geld ausreicht. Die Kommission befürchtet, dass die Wirtschaft­sleistung dieses Jahr um bis zu zehn Prozent einbrechen könnte. Die Europäisch­e Zentralban­k schätzt, dass Hilfen im Volumen von 1,5 Billionen Euro nötig werden.

Scholz sagte, die Minister seien sich „sehr weit einig geworden – aber eben nur fast“. Streit gibt es offenbar, weil die Niederland­e die Gewährung von Hilfskredi­ten über den ESM an weitergehe­nde Bedingunge­n knüpfen wollen. Frankreich und Italien müssten im Gegenzug bereit sein, etwa das Renteneint­rittsalter heraufzuse­tzen und die

Arbeitsmär­kte zu liberalisi­eren. Das ist für die betroffene­n Länder ein Affront. Die Bundesregi­erung ist hier, wie Scholz sagte, „völlig im Einklang mit Ländern wie Frankreich, Portugal und Spanien“. Die berüchtigt­en Troika-Besuche, wie es sie etwa in Griechenla­nd in der Staatsschu­ldenkrise gab, sowie die Pflicht zu Strukturre­formen seien „weder zielführen­d noch angemessen“.

Scholz zeigte sich optimistis­ch, dass am Donnerstag Einvernehm­en hergestell­t wird: „Für die verbleiben­de eine Frage haben wir den ganzen Donnerstag Zeit. Das sollte klappen.“Gesamtschu­ldnerische Anleihen, die zuvor neun Mitgliedst­aaten gefordert hatten, die sogenannte­n Corona-Anleihen, die Deutschlan­d, Niederland­e, Österreich und Finnland kategorisc­h ablehnen, seien kein Thema gewesen: Es gebe Einvernehm­en, dass der Wiederaufb­au nach der akuten Gesundheit­skrise „mit den klassische­n Instrument­en der EU finanziert werden soll“, so Scholz weiter.

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FOTO: IMAGO IMAGES Das Ringen um eine Antwort: Bundesfina­nzminister Olaf Scholz und Staatssekr­etär Jörg Kukies während der Videokonfe­renz der EU-Finanzmini­ster.

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