Die EU quält sich mit Corona-Hilfen
Der Streit um ein Milliarden-Rettungspaket gegen die Rezession in Europa ist noch nicht ausgestanden. Umstrittene gemeinsame Anleihen sind offenbar vom Tisch. Aber ein Vorstoß der Niederländer empört Franzosen und Italiener.
BRÜSSEL Auch Video-Schalten können endlos dauern. Das haben die 27 Finanzminister der EU-Staaten am Dienstag erfahren. Mit kurzen Unterbrechungen starrten die Minister in der Nacht zu Mittwoch in ihren Büros acht Stunden lang auf die Bildschirme. Und schafften trotzdem nicht den Durchbruch bei der Frage, wie die gemeinsame Antwort der Finanzpolitiker auf die kommende Rezession lauten soll.
Die Minister haben sich auf Donnerstag vertagt. Es geht um eine fundamentale Weichenstellung für die Zukunft. Die Ressortchefs ringen darum, in welchem Ausmaß die Mitgliedstaaten sich finanziell an der Bewältigung der akuten Krise in den besonders betroffenen Ländern sowie an den nationalen Rettungsprogrammen beteiligen. Vordergründig geht es um komplizierte Instrumente am Finanzmarkt, letztlich stehen dahinter Belastungen in Form hoher Euro-Beträge, die auf die nationalen
Haushalte zukommen. Die EU-Verträge sehen vor, dass die Entscheidungen einstimmig getroffen werden. Wenn sich die Finanzminister einig sind, müssen die Beschlüsse in einer Runde der Staats- und Regierungschefs bestätigt werden.
Die Bundesregierung kann mit dem Verlauf der Verhandlungen bisher zufrieden sein. Daraus machte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) kein Hehl, als er am Morgen danach Zwischenbilanz zog: Drei Vorschläge, für die sich die Bundesregierung starkgemacht hat, standen demnach im Mittelpunkt. Die Investitionsförderbank der EU (EIB) soll zinsgünstige Darlehen im Volumen von 200 Milliarden Euro an kleine und mittlere Unternehmen ausgeben. Der Euro-Rettungsschirm ESM soll Kredite bis zu 200 Milliarden Euro an Mitgliedstaaten vergeben können, die Rettungspakete für ihre Wirtschaft schnüren. Damit soll hochverschuldeten Mitgliedstaaten erspart werden, hohe Risikoaufschläge an den Finanzmärkten zahlen zu müssen. Außerdem sollen 100 Milliarden Euro als Darlehen der Europäischen Union für Mitgliedstaaten verfügbar gemacht werden, damit diese in ihren Ländern Kurzarbeiter-Regelungen zur Sicherung qualifizierter Jobs auflegen können.
Der ESM wäre innerhalb von wenigen Tagen und Wochen einsatzbereit; für das Kreditprogramm bei der EIB und für das Kurzarbeitergeld müssten die Mitgliedstaaten zuvor noch finanzielle Garantien aussprechen.
Insgesamt geht es um Hilfen von rund 500 Milliarden Euro – „eine gewaltige Summe“, wie Scholz feststellt. Die Frage ist, ob das Geld ausreicht. Die Kommission befürchtet, dass die Wirtschaftsleistung dieses Jahr um bis zu zehn Prozent einbrechen könnte. Die Europäische Zentralbank schätzt, dass Hilfen im Volumen von 1,5 Billionen Euro nötig werden.
Scholz sagte, die Minister seien sich „sehr weit einig geworden – aber eben nur fast“. Streit gibt es offenbar, weil die Niederlande die Gewährung von Hilfskrediten über den ESM an weitergehende Bedingungen knüpfen wollen. Frankreich und Italien müssten im Gegenzug bereit sein, etwa das Renteneintrittsalter heraufzusetzen und die
Arbeitsmärkte zu liberalisieren. Das ist für die betroffenen Länder ein Affront. Die Bundesregierung ist hier, wie Scholz sagte, „völlig im Einklang mit Ländern wie Frankreich, Portugal und Spanien“. Die berüchtigten Troika-Besuche, wie es sie etwa in Griechenland in der Staatsschuldenkrise gab, sowie die Pflicht zu Strukturreformen seien „weder zielführend noch angemessen“.
Scholz zeigte sich optimistisch, dass am Donnerstag Einvernehmen hergestellt wird: „Für die verbleibende eine Frage haben wir den ganzen Donnerstag Zeit. Das sollte klappen.“Gesamtschuldnerische Anleihen, die zuvor neun Mitgliedstaaten gefordert hatten, die sogenannten Corona-Anleihen, die Deutschland, Niederlande, Österreich und Finnland kategorisch ablehnen, seien kein Thema gewesen: Es gebe Einvernehmen, dass der Wiederaufbau nach der akuten Gesundheitskrise „mit den klassischen Instrumenten der EU finanziert werden soll“, so Scholz weiter.