Polen will europäisches Gerichtsurteil nicht umsetzen
LUXEMBURG/WARSCHAU Polens stellvertretender Justizminister Sebastian Kaleta schien auf die Steilvorlage nur gewartet zu haben. „Dies ist ein Akt der Usurpation, der die Souveränität Polens verletzt“, twitterte er am Mittwoch. Kurz zuvor hatte der Europäische Gerichtshof im Streit um die polnischen Justizreformen einem Antrag der EU-Kommission auf einstweilige Verfügung stattgegeben. Die Regierung in Warschau muss demnach ein Gesetz zur Richterdisziplinierung unverzüglich aussetzen. Kaleta dagegen betonte: „Der EuGH hat gar nicht die Kompetenz für eine solche Bewertung.“
Damit scheint Polen im Rechtsstaatsstreit mit der EU-Kommission einen Konfrontationskurs steuern zu wollen. Bislang hatte die nationalkonservative Regierung in Warschau alle EuGH-Urteile zur Justizreform weitgehend akzeptiert und sie nach eigener Auslegung umgesetzt, was meist weitere Klagen nach sich zog. An der Richterdisziplinierung will die Regierungspartei PiS aber offenbar festhalten.
Im aktuellen Streit geht es um eine von der PiS-Regierung installierte Disziplinarkammer im Gerichtswesen. Sie ist größtenteils mit regierungstreuen Juristen besetzt und hat das Recht, alle Verfahren im Land zu überprüfen und Richterinnen und Richter bei Fehlverhalten mit erheblichen Strafen zu belegen, bis hin zur Amtsenthebung. Zugleich untersagt ihnen eine in Polen „Maulkorbgesetz“genannte Regelung jede Kritik an der Justizpolitik im Land oder an den Urteilen anderer Gerichte. Auch darüber wacht die Disziplinarkammer, die ihre Tätigkeit nach dem Willen des EuGH nun einstellen muss.
Im Kern geht es allerdings um noch mehr. Denn der Streit berührt die gesamte institutionelle Reformpolitik der PiS-Regierung. Nach ihrem doppelten Triumph bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2015 hatte die Partei des autoritären Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski nicht nur das Verfassungsgericht und die staatlichen Medien auf Regierungslinie gebracht. Sie ging vor allem gegen die Unabhängigkeit der Justiz vor. Zu viele Richter stammten noch aus kommunistischer Zeit, hieß es.
Nach dem EuGH-Urteil vom Mittwoch könnte nun der Moment der Wahrheit gekommen sein. Ignoriert Warschau den Luxemburger Richterspruch, wäre das eine Kampfansage an die EU-Institutionen als Ganzes. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kündigte in einer ersten Reaktion an, man werde nun das polnische Verfassungsgericht fragen, ob das EuGH-Urteil für Polen relevant sei. Da das Gericht jedoch von PiS-nahen Juristen beherrscht ist, dürfte die Entscheidung letztlich in der Parteizentrale fallen.
„Der EuGH hat dafür gar nicht die Kompetenz“Sebastian Kaleta
Polnischer Vize-Justizminister