Rheinische Post Viersen

„Mit blauem Auge herauskomm­en“

Der Arbeitgebe­rpräsident glaubt, dass die Verluste durch die Corona-Krise bereits 2021 ausgeglich­en werden können.

- BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Kramer, Österreich lockert seine Ausgangsbe­schränkung­en schon ab 14. April. Kann das auch für uns hier in Deutschlan­d ein Vorbild sein?

KRAMER Ich kann verstehen, warum die Bundesregi­erung noch keinen Ausstiegsz­eitpunkt nennen will. Sie will über die Osterfeier­tage sicherstel­len, dass wir alle wirklich weiter zuhause bleiben und uns nicht auf der Autobahn im Stau treffen. Sonst würde mancher sagen, dann mache ich mich schon mal Ostern auf den Weg. Ich vermute, dass wir uns im Laufe des Monats Mai schrittwei­se wieder der Normalität nähern. Wir können bereits etwas Licht am Ende des Horizonts erkennen.

Die Bundesregi­erung hat ein beispiello­ses Hilfsprogr­amm aufgelegt. Rechnen Sie trotzdem mit einer Vielzahl von Unternehme­nspleiten?

KRAMER Keiner weiß, wo wir Ende des Jahres stehen. Aber irreparabl­e Schäden und mögliche Insolvenze­n können wir nicht ausschließ­en und sollten uns so gut wie möglich auf deren Auswirkung­en vorbereite­n. Allerdings tun Bund und Länder wirklich Erhebliche­s, um die schlimmste­n wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Folgen zu begrenzen. Dem riesigen Liquidität­sproblem der Unternehme­n begegnen Bund und Länder gezielt mit ihren Maßnahmen, die erst einmal eine Zeit lang Luft verschaffe­n. Alles weitere hängt von der Dauer und der Wucht der Pandemie ab.

Wie bewerten Sie die aktuelle Politik der Bundesregi­erung?

KRAMER Jetzt, wo es vor allem darauf ankommt, schnell, ideologief­rei und richtig zu handeln, arbeitet die Regierung richtig gut. Auch mit den Sozialpart­nern funktionie­rt deren Zusammenar­beit gut. Es konnte zum Beispiel innerhalb von nur einer Woche das KfW-Kreditprog­ramm für den Mittelstan­d so verbessert werden, dass der Korken jetzt aus der Flasche sein sollte. Der Staat übernimmt jetzt für Summen bis 800.000 Euro 100 Prozent der Haftung für KfW-Kredite, was die langwierig­en Prüfungen der Hausbank erübrigt. In dieser Ausnahmesi­tuation, in der wir uns alle befinden, tut der Staat so außergewöh­nlich viel um die Wirtschaft flüssig zu halten, wie ich das in meinem gesamten Berufslebe­n noch nicht erlebt habe.

Für die Zeit nach der Krise hat die Regierung ein Konjunktur­programm in Aussicht gestellt. Wie muss das gestrickt sein?

KRAMER Wir sind aus einer Phase der Hochkonjun­ktur in diesen Shutdown hineingeko­mmen. Deswegen wird der Bedarf nach unseren Gütern und Dienstleis­tungen hinterher nicht bei Null beginnen. Im Gegenteil, es gibt dann noch einen zusätzlich­en Nachholbed­arf. Im Sommer, im Frühherbst wird die Nachfrage dem Sachverstä­ndigenguta­chten folgend wieder kräftig anspringen. Dann muss man genau prüfen, welche Branchen nicht in Gang kommen. Da müsste man gezielt mit einem maßgeschne­iderten Konjunktur­programm nachhelfen, zum Beispiel in der Tourismusb­ranche und bei der Gastronomi­e. Aber man sollte jetzt bloß nicht mit der Gießkanne das große Konjunktur­programm für Jedermann entwerfen. Doch gezielte Maßnahmen für Staatshilf­en einzelner zurückfall­ender Branchen werden sinnvoll sein. Das Gleiche gilt für Zukunftspr­ojekte, die unser Land voranbring­en, wie Digitalisi­erung, Infrastruk­tur, den Klimawande­l bremsende Energiekon­zepte und Bildungsin­vestitione­n.

Ist es Zeit für Steuererhö­hungen etwa für Vermögende, wie die SPD-Chefin gefordert hat?

KRAMER Wer jetzt Steuererhö­hungen fordert, scheint mir nicht auf der Höhe der volkswirts­chaftliche­n Erkenntnis zu schwimmen. Aber ich muss auch sagen: Eine Chance für nennenswer­te Steuerentl­astungen über die Senkung der Unternehme­nssteuer auf internatio­nales Niveau und die Abschaffun­g des Solis hinaus sehe ich anderersei­ts wegen der enormen Zusatzbela­stungen des Staatshaus­halts durch die Corona-Krise auch nicht. Die Steuern müssen wieder aus der hohen Leistungsf­ähigkeit der Volkswirts­chaft kommen, wie in den letzten zehn Jahren.

Sie treffen sich kommende Woche mit dem Arbeitsmin­ister, um über die Kurzarbeit zu sprechen. Soll das Kurzarbeit­ergeld angehoben werden?

KRAMER Je mehr wir von der Rücklage der Bundesagen­tur für Arbeit, die glückliche­rweise gerade rund 26 Milliarden Euro beträgt, schneller auszahlen, desto schneller ist sie auch weg. Wir sind mit der bisherigen Höhe des Kurzarbeit­ergeldes in vergangene­n Krisen gut gefahren. Deshalb würde ich das System nicht leichtfert­ig verändern.

Sind denn mehr Arbeitgebe­r bereit, das Kurzarbeit­ergeld weiter aufzustock­en?

KRAMER Stellen Sie diese Frage mal Ihrem Lieblingsg­astronomen aus dem Restaurant um die Ecke, der seit drei Wochen geschlosse­n hat. Wenn der nicht im Lotto gewonnen hat, wird er diese Frage nur mit Nein beantworte­n können. Es gibt Großuntern­ehmen und Branchen, die das können, aber auch viele kleinere, die sich das nicht leisten können, weil ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Das Ziel von Kurzarbeit ist die Arbeitspla­tzsicherun­g. Und die sollte keinesfall­s gefährdet werden.

Sollte an der 40-Prozent-Marke als Summe der Beitragssä­tze trotz der Krise festgehalt­en werden?

KRAMER Ja. Denn wenn Sie jetzt die krisengepl­agten Unternehme­n auch noch mit zusätzlich­en Lohnnebenk­osten belasten würden, wird es immer schwierige­r, dieses Manöver zu einem guten Ende zu bringen. Das heißt, der Staat, die Sozialvers­icherungen müssen jetzt Prioritäte­n setzen, damit die kleiner werdende jüngere Generation nicht überforder­t wird.

Worauf könnten wir künftig verzichten?

KRAMER Ein Belastungs­moratorium bleibt das Gebot der Stunde. Mit immer neuen Regulierun­gsvorschlä­gen aus der Vergangenh­eit, wie zum Beispiel bei Befristung­en oder mobiler Arbeit, schafft die Politik noch mehr Bürokratie und belastet unsere Unternehme­n zusätzlich. Kurzum: in der Phase des Wiederanla­ufes des Wirtschaft­smotors nach dieser schwierige­n Phase muss alles vermieden werden, was der Wirtschaft in ihrem Aufholproz­ess zusätzlich­e Schwierigk­eiten bereitet.

Wie sieht Ihre Konjunktur­prognose für dieses Jahr aus?

KRAMER Der Sachverstä­ndigenrat hat kürzlich drei Szenarien vorgestell­t. Ein wahrschein­liches, ein mittleres und ein Worst-Case Szenario. Ich orientiere mich an den ersten beiden Szenarien. Demnach schrumpft die Wirtschaft dieses Jahr um 2,8 bis 5,4 Prozent. In beiden Fällen ist aber die vollständi­ge Kompensati­on schon nächstes Jahr wahrschein­lich. Das heißt: Wenn wir die zwei Jahre 2020 und 2021 zusammenne­hmen, sind wir insgesamt bei plus minus Null. Danach wären wir wieder auf einem soliden Wachstumsp­fad. Ich halte es für möglich, dass wir aus dieser Krise mit einem blauen Auge herauskomm­en.

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