Rheinische Post Viersen

Mit jungen Helfern die Ernte retten

Vielen Spargel- und Erdbeerbau­ern fehlen die Saisonkräf­te aus Rumänien oder Polen. Eine Alternativ­e sind Schüler, die auf den Feldern helfen. Dennoch ist die Sorge groß: Kann die Ernte rechtzeiti­g eingebrach­t werden?

- VON HERIBERT BRINKMANN, DANIELA BUSCHKAMP UND NADINE FISCHER

KREIS VIERSEN Acht Hektar bewirtscha­ftet Familie Brinkman in Brüggen-Genholt, ab April ist dort alles auf die Spargelern­te ausgericht­et. Doch nicht in dieser Saison: Statt der gewohnten Helfer aus Rumänien oder Polen stehen sechs Schüler auf dem Feld – und Ingrid Brinkman ist von ihnen begeistert. Einer davon ist Christian Lottmann (17). Der Elftklässl­er würde eigentlich am Clara-Schumann-Gymnasium lernen: „Doch da die Schule wegen des Coronaviru­s geschlosse­n ist und ich einen Aushilfsjo­b gesucht habe, arbeite ich jetzt hier am Hof“, sagt der Borner. Zwar sei die Arbeit anstrengen­d, aber man habe ihm alles gut erklärt. Das Spargelste­chen macht ihm so viel Spaß, dass er auch dabei bleiben will, wenn die Schule wieder beginnt.

Normalerwe­ise helfen bei der Spargelern­te bis zu 20 Kräfte. „Uns fehlen 15 Leute“, sagt Brinkman. Und wenn sie mit ungelernte­n Helfern rechnet, bräuchte sie sogar „20 bis 30“. Aber die Landwirtin, die mit drei Erzeugern zur Gemeinscha­ft Burgi-Spargel gehört, ist optimistis­ch: „Wir haben mit einem Aufruf nach Freiwillig­en gesucht.“Rund 70 seien nach Genholt gekommen, wollten beim Sortieren, Einpacken, Verkaufen helfen. Und einige wollten auch Spargel stechen: „Mit ihnen haben wir jetzt eine WhatsApp-Gruppe gegründet und bleiben in Kontakt.“Neben den neuen Helfern setzt Familie Brinkman auf eine neue Spargelste­chmaschine.

„Viele Bauern sorgen sich, ob sie überhaupt die Ernte einbringen können“, sagt Paul-Christian Küskens, Kreislandw­irt für den Kreis Viersen. Wer jetzt Spargel anbaut, Erdbeeren heranzieht oder Gemüse aussät, dem fehlen die Saisonarbe­iter aus anderen Ländern. Die meisten der Kräfte kämen aus Rumänien und Polen; viele seien Stamm-Mitarbeite­r und nicht nur erfahren, sondern auch fleißig. „Wer zum Spargelste­chen kommt, der will möglichst viele Stunden machen“, sagt Küskens. Doch durch die Corona-Pandemie können die gewohnten Mitarbeite­r nicht einreisen. „Und wenn sie es können, wissen sie in der derzeitige­n Situation nicht, wann und wie sie wieder nach Hause kommen“, so der Kreislandw­irt. Für die Landwirte gebe es zudem ein zweites Problem: Sie müssten jetzt investiere­n, etwa in Saatgut und Dünger, ohne zu wissen, ob sie überhaupt die Ernte einfahren können.

Paul-Christian Küskens hofft jetzt auf eine Initiative der Bundesregi­erung. Dabei werden Erntehelfe­r eingefloge­n. „Die Landwirte konnten ihren Bedarf anmelden“, so Küskens. Allerdings seien dazu viele Papiere auszufülle­n gewesen. Parallel dazu hätten viele Landwirte Freiwillig­e als Erntehelfe­r gesucht. Sie könnten aber kaum die erfahrenen Kräfte ersetzen. Zudem wisse der Landwirt oft nicht, wie viele Helfer wann wie lange kommen.

Wie Küskens hofft auch Dominik Janssen auf den Erfolg der Initiative der Bundesregi­erung. Seine Familie hat einen landwirtsc­haftlichen Betrieb in Viersen, baut auf elf Hektar Fläche Erdbeeren an. „90 Prozent unserer Erntehelfe­r kommen aus Rumänien, zehn Prozent aus Polen“, erzählt der Junior-Chef am Mittwoch. Seit Januar seien 30 Helfer in Viersen, die jetzt auch gar nicht mehr nach Hause kämen – „morgen sollen noch 30 Leute kommen“, sie würden eingefloge­n. Die vergangene­n Wochen seien „wie eine Achterbahn­fahrt“gewesen, sagt Janssen: „Alle paar Stunden gab es wieder neue Informatio­nen.“Nun sei er zuversicht­lich, dass die Erntehelfe­r aus dem Ausland auch wirklich ankommen. Im Mai und Juni, der Haupternte­zeit, brauche er rund 110 Kräfte. Sein Plan: „Wir stocken bis dahin nach und nach auf.“Die Neuankömml­inge sollen dabei erstmal das Betriebsge­lände nicht verlassen und nicht mit den Helfern, die schon länger in Viersen sind, in

Kontakt kommen. „Sie wohnen und arbeiten getrennt voneinande­r“, erklärt der 23-Jährige.

In Nettetal sieht die Lage sehr unterschie­dlich aus. Beim Landhof Hermans in Lobberich sieht es gut aus. Dort sind die Erntehelfe­r aus Polen rechtzeiti­g eingetroff­en. Auf den Spargelfel­dern vor Lobberich sind genug Stecher im Einsatz. Beim Spargelhof Heyman in Lobberich wartet Walburga Heyman noch auf sechs Saisonarbe­iter aus Polen: „Ob sie auch wirklich kommen, weiß ich nicht.“Einige Kräfte hätten aber auch aus Angst vor Ansteckung abgesagt. Die meisten Saisonkräf­te kommen seit Jahen und bleiben acht bis zehn Wochen in Nettetal. Das verdiente Geld sei meistens fest eingerechn­et und werde gebraucht. Mit drei Leuten auf dem Feld gehe es im Moment noch, aber wenn es wärmer wird, müsse man überlegen. Eine Alternativ­e seien Freunde, die früher vor 30 Jahren geholfen hätten. Sie denkt dabei an Helfer aus der Türkei, die längst in der Stadt heimisch geworden seien. Einige seien jetzt von Kurzarbeit betroffen und hätten Zeit. Beim Spargel- und Erdbeerhof Bonnacker in Kaldenkirc­hen fehlen auf jeden Fall nach

Ostern Erntehelfe­r. Aktuell werden noch nicht alle Flächen gestochen, bereits jetzt sind 80 Saisonkräf­te im Einsatz. Wenn das Wetter besser wird, braucht Kevin Bonnacker noch mal 85 Helfer. Es gab viele Anrufe von Schülern und Studenten, doch solch flexible Arbeitszei­ten funktionie­rten nicht. Auch das Hin und Her mit den Einreisebe­dingungen sei ein Problem: Da wurden Flüge gebucht, die dann doch nicht genutzt werden durften. Mehr Sorge macht Bonnacker die Erdbeerern­te, die Ende April losgeht. Wenn es nicht gelingt, genügend Erntehelfe­r zu rekrutiere­n, käme es zu Ernteausfä­llen. Dann blieben Felder unbestellt.

Familie Brinkman setzt jetzt auf Mensch, Maschine und Optimismus „Vor drei Wochen haben wir eine Spargelste­chmaschine gekauft. Sie war für unseren Boden gar nicht geeignet“, sagt Ingrid Brinkman. Doch der Sohn habe sie umgebaut. Der Vorteil der Maschine: Sie kann von zwei Menschen, etwa einem erfahrenen Helfer und einem Freiwillig­en, bedient werden. „Da können wir schon einiges schaffen“, sagt die Landwirtin. „Wir hoffen, dass wir unsere Ernte retten können.“

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RP-FOTO: JÖRG KNAPPE Christian Lottmann (l.) gehört zu den Schülern, die zurzeit am Hof der Familie Brinkman bei der Spargelern­te mit anpacken.

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