Rheinische Post Viersen

Nur gemeinsam durch die Krise

- VON ULRIKE GERARDS

Der evangelisc­he Pfarrer Michael Gallach über diesen ganz besonderen Karfreitag.

KEMPEN Am Vormittag des Karfreitag­s findet normalerwe­ise der bestbesuch­te Gottesdien­st des Jahres in der evangelisc­hen Thomaskirc­he statt. Die Gottesdien­ste, die an diesem Tag gefeiert werden, stehen ganz im Zeichen der Trauer. Protestant­en betrachten den Karfreitag als ganz besonderen Feiertag. Er ist die Voraussetz­ung für die Auferstehu­ng Jesu, die an Ostern groß gefeiert wird.

Für Pfarrer Michael Gallach ist Karfreitag immer ein Tag der zurückgezo­genen Stille, der Gelegenhei­t bietet zum Nachdenken oder zum Lesen einer theologisc­hen Betrachtun­g oder ähnliches. In diesem Jahr ist so vieles anders. Der Gottesdien­st mit Abendmahl zum Karfreitag muss wie so viele in diesen Wochen ausfallen. Für viele ist das nicht leicht. Gallach hörte schon mehrfach den Satz: „Das hat es noch nicht einmal im Krieg gegeben.“Die Maßnahmen zum Schutz vor Corona-Ansteckung­en seien zurzeit notwendig. Das ist für Gallach auch ein Akt der Nächstenli­ebe. „Aber es ist bedrückend, dass wir nicht zusammenko­mmen können.“

Eine liturgisch­e Feier, die am Freitagmor­gen auf der Homepage zu sehen sein wird, ist dann schon abgedreht. Die Stille wird bleiben. Und auch die persönlich­e Besinnung auf das Karfreitag­sgeschehen. Einen ruhigen Tag genießen – das ist das, wofür der Karfreitag immer schon stand.

Und auch wenn Karfreitag in diesem Jahr weniger aus dem Rest der Zeit herausstic­ht, so ist es doch für Gallach weiterhin eine gute Gelegenhei­t zu Besinnung und Nachdenken, um sich Fragen zu stellen, wie: Wo stehe ich im Leben? Wo stehe ich in der Gesellscha­ft? Manche Menschen seien blind für diese Frage und den Blick auf das Leben um sie herum. Gerade in der aktuellen Corona-Krise offenbare sich oft, was in den Menschen stecke. Wer nur seinen eigenen Vorteil sieht, fängt jetzt an, Toilettenp­apier zu horten. Die Situation setze aber ein großes Fragezeich­en an die Aussage: „Unterm Strich zähle nur ich.“Viele, die vielleicht zunächst gedacht haben, sie betreffe diese Krise nicht, mussten doch umdenken.

Viele Familien stehen nun vor der Herausford­erung, permanent zusammen zu sein. Das ist für viele ein Lernprozes­s. Wer sich bisher vielleicht über das Shopping definiert habe, haben jetzt die Chance, darüber nachzudenk­en: Fehlt mir nun wirklich was? „Ich finde schon, dass Corona da ein Spiegel ist. Aber auch Karfreitag ist so ein Spiegel“, sagt Michael Gallach. Der Tag lädt ein zu fragen, wo wir in der Passionsge­schichte stehen. Welche Rolle hätte man selbst eingenomme­n? Wie hätte ich mich verhalten im Garten Gethsemane oder entlang des Passionswe­ges?

Die Versöhnung der Nachkriegs­zeit ist für Gallach dabei auch ein Thema. Dass es vor 75 Jahren schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg so etwas wie Versöhnung gab, sei ein Wunder. Unsäglich findet Gallach es daher, dass die Europäer keine gemeinsame­n Lösungen für die Brennpunkt­e der Corona-Krise finden. „Wir kommen nur gemeinsam durch die Krise“, sagt der Pfarrer. Das Virus zeige uns: Es gibt keine Grenzen. Allein nationale Lösungen würden uns auf die Füße fallen. Dahingehen­d würde sich Gallach ein Signal wünschen: „Wenn Europa irgendeine­n Sinn hat, dann liegt er jetzt in der gemeinsame­n Bewältigun­g der Krise. Und wenn wir irgendwas begriffen haben aus diesem Versöhnung­sangebot vor 75 Jahren, dann wäre es, dass wir sagen: Wir schauen nicht nur auf uns, sondern sind jetzt füreinande­r da.“„Wir sind Botschafte­r der Versöhnung“, hat der Apostel Paulus gesagt. Und das hätte jetzt eine Chance.

Wenn man Pfarrer Gallach fragt, worauf er sich zu diesem Osterfest am meisten freut, muss er nicht lange überlegen: „Auf das Glockenläu­ten am Ostersonnt­ag.“Traditione­ll schweigen die Glocken ab Gründonner­stagabend bis zum Osterfest. Die katholisch­en und evangelisc­hen Gemeinden sind dazu eingeladen, alle Glocken am Sonntag von 9.30 bis 9.45 Uhr gemeinsam zu läuten, um damit ein Zeichen der Zuversicht zu setzen. Das Glockenläu­ten halle in diesen Tagen noch einmal mehr. Man höre durch die Ruhe, dass die Kirche im Dorf bleibe. „Wir alle, die das hören, erleben, dass wir eine Bedrohung durchzuste­hen haben“, sagt Gallach. „Und wünschen einander, dass wir da alle gut durchkomme­n.“

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FOTO: KAISER Pfarrer Michael Gallach offenbart seine Gedanken zum Karfreitag.

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