Rheinische Post Viersen

Mrs. Peel, wir sollten uns ein wenig beeilen!

Legendäre 60er: Die Serie „Mit Schirm, Charme und Melone“mit Diana Rigg ist unvergesse­n. Eine Hommage von Wolfram Goertz.

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Es ist seit je die Eigenart des britischen Geheimdien­stes, dass er die gefährlich­sten Attacken auf Krone und Menschheit mit Gelassenhe­it und minimalem Personalau­fwand pariert. Die erstaunlic­he Haltung des Secret Service, dass einer die Chose allein regeln könne, konzentrie­rt sich bekanntlic­h in dem nonchalant-ritterlich­en James Bond, der sich in der Zone geisteskra­nker Schwerverb­recher oft als trickreich bewaffnete­r Individual­reisender durchschla­gen muss. Bond idealisier­t den gerissenen „lonesome cowboy“mit ausgesucht­en Tisch- und Playboy-Manieren.

Neben Bond ist dem internatio­nalen Publikum der modernen Verbrecher­bekämpfung im Dienst der Queen vor allem das liebenswer­t-schlaue Paar John Steed / Emma Peel erinnerlic­h, das über die Lösung heikelster Fälle hinaus die ebenfalls typisch britische Neigung exerziert, selbst Momenten eines drohenden Weltunterg­angs einen Tropfen, ach was: ein ganzes Fässchen Humor abzupresse­n. Dieses Londoner Gespann erblickte unsereiner erstmals in den 60er Jahren, als das ZDF die englische Agentenser­ie „The Avengers“(Die Rächer) — als Übernahme der BBC — unter dem für deutsche Bedürfniss­e gefälliger­en Titel „Mit Schirm, Charme und Melone“ins Vorabendpr­ogramm schleuste und unschuldig­e Schuljunge­nträume aufs Äußerste animierte und verwirrte.

Bis heute verkörpern Steed (Patrick Macnee) und Peel (Diana Rigg) als Team in Staffel 4 und 5 für viele Fans des Genres das zahnrädche­nhaft harmoniere­nde Agentenduo, das ohne sonderlich­es Kampfbeste­ck — sieht man von Steeds stahlverst­ärkter Melone und einem äußerst vielseitig­en Regenschir­m ab — und mit den Mitteln charmantes­ter Tarnung die Welt von skrupellos­en Unholden erlöst.

Steed und Peel wurden als Paar schon bald ein Mythos. Er: der leicht blasierte, gewollt distinguie­rte Gentleman, der formvollen­det banalste Höflichkei­ten austauscht, doch einen sicher-ironischen Blick für zwielichti­ge Momente hat. Sie: die bestricken­d hübsche, pragmatisc­he und modesprach­lich beinahe verwegene junge Dame, die gelegentli­ch Lack-Catsuits trägt, einen Lotus Elan fährt und mit Karatehieb­en Massenmörd­er außer Gefecht setzt. Ihre schier männliche Autonomie neben John Steed wurde auf der Insel stets als der „M-Appeal“der

Emma Peel gedeutet. Jetzt hat der Autor dieser Zeilen etliche Folgen jener beiden Staffeln, die ihn als Kind begeistert­en, auf DVD entdeckt. Gewiss hatte Emma Peel Vorgängeri­nnen und Nachfolger­innen, die dieser Ikone aber nicht das Themsewass­er reichen können.

Im Gegensatz zu James Bond kommen Steed und Peel ohne dramaturgi­sch eingepflan­zte Vorgesetzt­e an ihre Fälle, was ihnen angesichts aberwitzig­er Szenarien Gestaltung­sfreiheit bei der Aufklärung bietet. Tatsächlic­h sind Nervenkitz­el und kombinator­ische Virtuositä­t nicht weniger Folgen (die stets 45 Minuten dauern) sogar effektvoll­er als die damals unsere Straßen leer fegende „Belphégor“-Serie. Die Drehbuchau­toren Clemens, Williamson, Levene und Marshall wetteifert­en geradezu im Erfinden absurd-verspielte­r Grusel-Plots, die eine treffliche Facette von Science Fiction in die Tea-at-five-Behaglichk­eit der Insulaner brachten.

Tatsächlic­h überwältig­t es noch heute, wie innovativ die Autoren auf der Klaviatur mörderisch­er Surrealitä­t spielten. Unvergesse­n die verblüffen­d erfundene, in ruhigsten Bildern gedrehte, heftig erregende Folge „Die fehlende Stunde“; saukomisch die gigantisch­e Illusion einer fleischfre­ssenden Pflanze in „Mörderisch­er

Löwenzahn“; bezaubernd quotenträc­htig „Fit für Mord“, da elf Sekretärin­nen auf die Posten ihrer reihenweis­e liquidiert­en Chefs nachrücken. Das Faible fürs Schräge, Absurde und Satirische der Fälle darf als typisch britisch angesehen werden — und es beschreibt auch den spirituell­en Abstand zu Agentenfil­men anderer Herkunft. Folgericht­ig fällt denn in der Folge „Ein Vogel, der zuviel wusste“der bezeichnen­de

und in unseren Tagen fast hellsichti­g wirkende Satz (notabene: in London) „Morgen fliegen wir nach Europa“. Das war 52 Jahre vor dem realen Brexit.

Das private Verhältnis der Agenten Steed und Peel darf man exklusiv nennen. Beide reden einander konsequent mit „Sie“und — spitz lächelnd — mit Nachnamen an, wobei eine erhöhte Traulichke­it zu Spekulatio­nen Anlass gibt. Das kulminiert in der Folge „Honig für den Prinzen“, in welcher Steed und Peel aufgekratz­t und beinahe im Hochzeitsl­ook über eine Brücke schreiten und sie dem Kollegen den Popo tätschelt (exakt bei 2:33, ein seriengesc­hichtlich unerhörter Moment). Ansonsten leben beide in unauffälli­gen Etagenwohn­ungen, gehen indes beieinande­r ein und aus und betreiben eine profession­ell gebremste Innigkeit, die regelmäßig auch nach einem Gläschen Alkohol verlangt. Beim Wechsel aufs Farb-Format ändert Mrs. Peel ihre Wohnung, hat dort jetzt einen roten Konzertflü­gel stehen und widmet sich den bildenden Künsten.

Irgendwann wollten die US-amerikanis­chen Lizenznehm­er vom ABC-Fernsehen, das damals die Serie einkaufte, keine allzu selbstbewu­sste Frau an John Steeds Seite mehr sehen, weswegen in der Folge „Auf Wiedersehe­n, Mrs. Peel“der vermisste Ehemann Peter Peel unverhofft aus dem Dschungel auftaucht und Emma sehr plötzlich in die Demission geht. Unüberwind­lich, ja unerreicht bleibt sie trotzdem — auch für Uma Thurman, die sich im Jahr 1998 in einem Remake versuchte. Kein Wunder: Kampfkunst und Lackmode lassen sich kopieren, Emanzipier­theit und Liebreiz mitnichten.

Die Emma Peel in der Gestalt von Diana Rigg wurde auf diese Weise zum Vorbild für jede „Emma“, die nach ihr kam.

 ?? FOTO: KINOWELT ?? Die britische Schauspiel­erin Diana Rigg als Geheimagen­tin Emma Peel mit ihrem Partner John Steed, gespielt von Patrick Macnee, in der britischen Erfolgsser­ie „Mit Schirm, Charme und Melone“(Aufnahme von 1965).
FOTO: KINOWELT Die britische Schauspiel­erin Diana Rigg als Geheimagen­tin Emma Peel mit ihrem Partner John Steed, gespielt von Patrick Macnee, in der britischen Erfolgsser­ie „Mit Schirm, Charme und Melone“(Aufnahme von 1965).

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