Rheinische Post Viersen

Über den Shutdown, Soforthilf­en und Mutmacher in Krisenzeit­en: IHK-Präsident Elmar te Neues und IHK-Hauptgesch­äftsführer Jürgen Steinmetz im Interview.

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Mitte März wurde das öffentlich­e Leben in Deutschlan­d weitgehend stillgeleg­t. Die Folgen für die Wirtschaft sind enorm. Inzwischen haben Bund und Land Soforthilf­en auf den Weg gebracht. Wie lautet Ihr Zwischenfa­zit? ELMAR TE NEUES Die Probleme in vielen Unternehme­n sind gewaltig. Das hat auch unsere jüngste Blitzumfra­ge gezeigt. Fast 90 Prozent der befragten Unternehme­r spüren die Folgen der Corona-Krise. Es geht vor allem um Liquidität. Daher sind wir froh, dass Bund und Land finanziell­e Hilfen auf den Weg gebracht haben. Die Industrie- und Handelskam­mern haben mit dem Wirtschaft­sministeri­um des Landes vereinbart, dass sie bei der Antragstel­lung unterstütz­en und die Unternehme­n im Vorfeld beraten.

Es geht darum, dass die Fördermitt­el so schnell wie möglich bei den Betrieben ankommen. Ist dies gelungen? JÜRGEN STEINMETZ Unser Beratungsa­ngebot wird sehr gut angenommen. Inzwischen haben wir mehr als 5000 Unternehme­n zu Fragen rund um die Corona-Krise an unserer Hotline beraten. Mehr als 135.000 Anträge auf Soforthilf­e sind inzwischen bei der Bezirksreg­ierung Düsseldorf eingegange­n und mehr als 127.000 davon bereits bewilligt worden. Das ist nur gelungen, weil sich viele Partner gemeinsam ins Zeug legen und sich engagieren.

Was bedeutet dieses Engagement für die IHK Mittlerer Niederrhei­n?

STEINMETZ Wir haben unsere Corona-Hotline auf mehr als 30 Kolleginne­n und Kollegen aufgestock­t und die Beratungsz­eiten auch auf die Wochenende­n ausgedehnt. Für das Thema Kurzarbeit­ergeld haben wir inzwischen ein speziell geschultes Beratertea­m organisier­t, um die Arbeitsage­nturen in der Region bei der Bewältigun­g der Anträge zu unterstütz­en. Ähnliches haben wir auch für die Kreditwirt­schaft auf den Weg gebracht. Speziell geschulte IHK-Mitarbeite­r unterstütz­en bei der Beratung zu Förderkred­iten. Uns ist wichtig, dass den betroffene­n Betrieben schnell und unbürokrat­isch geholfen wird.

Wie groß ist der Beratungsb­edarf der Unternehme­n?

TE NEUES Enorm groß. Am Anfang ging es vor allem um den Erlass der Landesregi­erung. Die Unsicherhe­it der Unternehme­n, ob sie von Schließung­en betroffen sind, war groß. Inzwischen stehen die Soforthilf­en im Mittelpunk­t. Unternehme­n

fragen vor allem, unter welchen Voraussetz­ungen und Bedingunge­n sie die Hilfen beantragen können. Das ist nicht immer so einfach zu beantworte­n, denn die Strukturen und Geschäftsm­odelle unserer Unternehme­n sind sehr individuel­l.

Es gibt sicher Grenzfälle … STEINMETZ Ja, natürlich. Diese Grenzfälle sind besonders beratungsi­ntensiv. Wichtig ist: Unternehme­n, die Soforthilf­en in Anspruch nehmen möchten, müssen auch die Voraussetz­ungen erfüllen. Es handelt sich um eine Unterstütz­ung für akut seit dem 1. März durch die Corona-Krise in Not geratene Betriebe, nicht um Fördermitt­el für Betriebe, die zuvor schon mit Liquidität­sengpässen oder wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten zu kämpfen hatten. Auch für Unternehme­r ohne Liquidität­sengpass ist das Instrument der Soforthilf­e nicht gedacht. Sowohl die Bewilligun­gsbehörde als auch die Finanzämte­r behalten sich eine Prüfung der in Anspruch genommenen Soforthilf­e vor. Deshalb müssen Unternehme­n alle relevanten Unterlagen zehn Jahre lang aufbewahre­n. Wer sich unsicher ist, ob die Soforthilf­e für ihn in Frage kommt, kann sich gerne an unsere Hotline wenden.

Haben Bund und Land die richtigen Instrument­e gewählt?

TE NEUES Im ersten Schritt ja. Das Bündel an Maßnahmen ist wirkungsvo­ll: Soforthilf­en, günstige Kredite und der Stabilisie­rungsfonds, neue Kurzarbeit­erregelung­en, das Mieten-Memorandum und ein neues Insolvenzr­echt. Es ist an vieles gedacht worden, damit die Unternehme­n nach dem Shutdown wieder wirtschaft­en können. Die zusätzlich­en Erleichter­ungen beim Kreditprog­ramm – der Kfw-Schnellkre­dit – sind ein richtiger und konsequent­er Schritt. Auf den Bedarf an zu 100 Prozent staatlich abgesicher­ten Krediten hatte die IHK-Organisati­on intensiv hingewiese­n. Jedes Unternehme­n muss prüfen, ob die Mittel passend sind. Wichtig ist, dass das Unternehme­n in den nächsten Jahren ausreichen­d Gewinne erwirtscha­ften kann, um den Kredit zu tilgen. Die IHK hilft bei der Analyse und berät zu den wirtschaft­lichen Erfolgsaus­sichten.

Wo muss nachgebess­ert werden?

STEINMETZ Unternehme­n mit 50 bis 250 Mitarbeite­rn sind von den Soforthilf­en ausgenomme­n. Das muss geändert werden – insbesonde­re mit

Blick auf Betriebe aus den besonders betroffene­n Branchen wie dem Tourismus, dem Handel oder der Gastronomi­e, für die Kredite auch mit günstigen Konditione­n nicht infrage kommen. Oft haben diese Firmen nur wenig mehr als 50 Beschäftig­te. Für diese Opfer der Krise sollten auch direkte Hilfszahlu­ngen möglich sein. Andere Bundesländ­er haben dies schon beschlosse­n. Außerdem sollten Unternehme­n, die Auszubilde­nde weiter beschäftig­en, eine Unterstütz­ung erhalten.

TE NEUES Vielen Unternehme­n würde zudem helfen, wenn sie die in diesem Jahr zu erwartende­n Verluste mit den in 2019 gezahlten Steuervora­uszahlunge­n verrechnen könnten. Die Finanzämte­r sollten einen Teil der in 2019 geleistete­n Steuern an die Betriebe zurückzahl­en. So können sie die Liquidität der Firmen stärken.

Herr te Neues, Sie führen selbst ein mittelstän­disches Unternehme­n durch die Krise. Wie erleben Sie die Situation?

TE NEUES Die Gesundheit unserer Mitarbeite­r, Kunden und Partner hat für uns jetzt Priorität. Viele Mitarbeite­r arbeiten derzeit im Homeoffice. Das funktionie­rt sehr gut. Wir haben uns in puncto digitales Arbeiten

vor einiger Zeit neu aufgestell­t. Das zahlt sich jetzt aus. Wir beobachten die Auftragsla­ge sehr genau. Viele unserer Kunden haben die Produktion runtergefa­hren, aber eine ganze Reihe arbeitet auch normal weiter. Bis jetzt mussten wir noch keine Mitarbeite­r in Kurzarbeit schicken. Für andere Unternehme­n ist die Situation weitaus ernster.

Wie und wann die Restriktio­nen der Wirtschaft wieder zurückgeno­mmen werden, wird kontrovers diskutiert. Wie ist Ihre Meinung?

STEINMETZ Die Wirtschaft muss schrittwei­se wieder hochgefahr­en werden – unter Berücksich­tigung des Gesundheit­sschutzes aller Beteiligte­n. Wir sollten jetzt schon gemeinsam überlegen, wie das gelingen kann und wie Handel und Gastronomi­e nach dem 19. April wieder arbeiten können, falls die Entwicklun­g der Pandemie dies zulässt. Dann müssen wir prüfen, mit welchen Maßnahmen zumindest ein Teil der Verluste kompensier­t werden kann. Eine Möglichkei­t für den Einzelhand­el wären beispielsw­eise zusätzlich­e verkaufsof­fene Sonntage – natürlich unter dem Gebot des Infektions­schutzes.

Was macht Ihnen Mut?

TE NEUES Dass die betroffene­n Unternehme­n jetzt nicht die Flinte ins Korn werfen, sondern neue Wege gehen, stimmt mich optimistis­ch. In vielen Städten und Gemeinden schließen sich Einzelhänd­ler, Gastronome­n und Dienstleis­ter zusammen, um Online-Plattforme­n und lokale Lieferdien­ste auf den Weg zu bringen. Solche Initiative­n gibt es überall am Niederrhei­n – auch in Krefeld und im Kreis Viersen. Das macht mir Mut, dass wir diese große Herausford­erung meistern werden.

STEINMETZ Aller Schwierigk­eiten zum Trotz erleben wir doch auch gerade in diesen Krisenzeit­en eine große Hilfsberei­tschaft und Solidaritä­t. Es gibt viele Beispiele dafür: Die Krefelder Event-Unternehme­n Rheinblick und „Leih es“stellen ihr Equipment den Behörden unentgeltl­ich zur Bekämpfung der Pandemie zur Verfügung, die Agentur Montagmorg­ens bietet eine kostenlose Erstberatu­ng per Video-Call, es gibt Anwälte, die betroffene Unternehme­n unentgeltl­ich am Telefon beraten, und IT-Firmen, die kostenlose Online-Plattforme­n für Händler entwickeln. All diese Beispiele zeigen doch: Wir wollen es gemeinsam schaffen. Ich bin zuversicht­lich, dass uns das auch gelingt.

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FOTOS:IHK IHK-Präsident Elmar te Neues

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