„Wir sind die Corona-Abiturienten“
MÖNCHENGLADBACH Felix Kluth ist 18 Jahre alt, besucht das Stift.-Hum.-Gymnasium und bereitet sich gerade auf das Abitur vor. Allerdings ganz anders als Generationen es vor ihm gemacht haben: Felix Kluth sitzt zu Hause, seine Lehrer sieht er nur in Videokonferenzen, die Leistungskurse kommunizieren über WhatsApp-Gruppen, Aufgaben werden über Lernplattformen gelöst. „Viele Themen mussten wir uns in den vergangenen Wochen selbst erarbeiten“, sagt Kluth, „und ich muss sagen: Die Lehrer können das besser.“So sehr er seine Freizeit auch mag, der 18-Jährige wäre vor den Osterferien lieber zur Schule gegangen. Und das würde er auch ab dem 20. April gerne tun. Doch wie und ob das funktioniert, weiß er noch nicht.
Am „Huma“wurden recht früh sehr viele Kurse bei der Lernplattform „moodle“eingerichtet. Auch das Kollegium der Gesamtschule Hardt nutzte die ersten beiden Tage der Schulschließung, um den digitalen Unterricht vorzubereiten. Auch dort sind alle Lehrer auf „moodle“zu erreichen. Notenkonferenzen finden virtuell statt, Informationen werden online gestellt.
Aber auch an der Gesamtschule Hardt hat die Ungewissheit, wie es mit dem Abi weitergeht, viele Schüler nervös gemacht. Das galt vor allem, als die Diskussion entfacht wurde, ob man die Abiturprüfungen angesichts der Pandemie-Folgen überhaupt durchziehen oder lieber Durchschnittsnoten der letzten Halbjahre zugrunde legen sollte. „Für ein Abi ,light’, für das wir 13 Jahre gelernt haben und das am Ende weniger wert wäre, möchte keiner seine Hochschulreife in Frage stellen lassen“, sagen viele. Auch Felix Kluth meint: „Bestimmt würde es dann später heißen: Die hatten ein Abi ohne Prüfungen, das ist unfair.“
Genau das bekam auch CDU-Landtagsabgeordneter Jochen Klenner zu hören, als er bei Schulleitern ein Stimmungsbild am Telefon abfragte. „Viele Abiturienten wollen einen Abschluss mit Prüfungen“, berichtet er. Etliche Schüler hätten auch erklärt, dass sie sich gut vorbereitet fühlen. „Sie hatten wegen der Corona-Schutzvorschriften weniger Ablenkung – keine Feiern, kein Sport – und deshalb mehr Zeit zum Lernen“, sagt der Abgeordnete.
Doch es gibt auch ganz andere Meinungen. Anna Maria Auerbach (18), Abiturientin des Gymnasiums Rheindahlen, glaubt, dass gerade ein ganzer Jahrgang „Burnout-Patienten“herangezogen wird. Wochenlang saß sie zu Hause, während beinah minütlich neue Meldungen eingingen bezüglich der Schulöffnung und auch zum Abitur – „eine Prüfung, die für viele Schülerinnen und Schüler den weiteren Lebenslauf bestimmt“, sagt sie. Auch sie fragt sich, wie es weitergeht: Prüfungen mit Atemschutzmasken? Unterricht in
Schulen, in denen die
Seifenspender stets leer sind, in denen es kein warmes
Wasser und zu wenig Einmal-Handtücher
und Toilettenpapier gibt? „Von den zu großen Klassen bzw. zu kleinen Räumen ganz zu schweigen“, sagt die 18-Jährige. Die hygienischen Zustände erlauben ihrer Ansicht nach keinen „normalen“Ablauf. Sie wäre für ein Durchschnittsabitur, oder die Schüler sollten die Wahl haben, „ob wir antreten möchten oder nicht. Nicht alle können mit diesem Druck umgehen“, sagt Anna Maria Auerbach, die sich eigentlich als belastbaren Menschen sieht. Doch auch sie komme nun an ihre Grenzen.
Auch eine Abiturientin der Gesamtschule Hardt schrieb an ihre Lehrerin: „Wir hatten keine Möglichkeit mehr, Prüfungsthemen im Unterricht zu wiederholen. Unsere Fragen können wir zwar jetzt jederzeit per Mail an unsere Lehrer stellen, aber ich finde den persönlichen Austausch sehr wichtig. Wir sind alle verunsichert, was noch kommt.“An der Gesamtschule boten Lehrer deshalb Videochat-Möglichkeiten an, um im persönlichen Kontakt zu den Schülern zu bleiben. Anna Maria Auerbach glaubt dennoch, dass die Lehrer, wenn die Schule beginnt, erst einmal „Psychologen spielen, Aufbauarbeit leisten und Fragen zu organisatorischen Dingen klären müssen, die sie möglicherweise selber gar nicht beantworten können“, wie sie sagt.
Eines gilt jedoch für alle Abiturienten:
Das Abschlussjahr ist so gar nicht das, wie sie sich es vorgestellt hatten: keinen gemeinsamen
Unterricht, keine
Lehrkraft live vor der Nase, keine Motto-Tage, keine Partys.
„Einige Lehrer haben uns gesagt, dass sie sich an unseren Abi-Jahrgang wohl länger und besser erinnern können als an alle anderen“, sagt Felix Kluth, „wir sind die Corona-Abiturienten.“
Kluth will nach dem Abitur eine Ausbildung als Versicherungskaufmann machen und hatte auch
schon ein Vorstellungsgespräch.
Ob er rechtzeitig sein Zeugnis in der Tasche haben wird, weiß er noch nicht.
Trotz aller Unbequemlichkeiten und Herausforderungen sei die Unterrichtssituation immerhin insbesondere für die Oberstufenschüler eine gute Vorbereitung auf ein selbstständiges und digitales Arbeiten an der Hochschule und im späteren Beruf, findet Lehrerin Dorothee Vollmer, Gesamtschullehrerin in Hardt. Ihre Kollegin Peggy Gennes war auf jeden Fall beeindruckt, dass ein Großteil der Schüler in ihren Online-Kursen schnell die gestellten Aufgaben „wirklich tadellos“bearbeiteten.