Rheinische Post Viersen

Was die Gesellscha­ft schafft

Der Niederrhei­ner stammt vom Feierbiest ab, deshalb verlangt das Coronaviru­s große Opfer. Der Erfolg des Zusammenha­lts in Mönchengla­dbach ist aber in den Infektions­zahlen erkennbar.

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Nach ungefähr vier Wochen Corona-Ausnahmesi­tuation habe ich endlich jemanden gefunden, für den die derzeitige Lage eine wahre Wonne sein müsste: Oscar Wilde. Machen Sie sich am besten diesen Ausspruch des irischen Schriftste­llers zu eigen: „Die einzige Gesellscha­ft, in der man es aushalten kann, ist man selbst.“Dann machen Sie eigentlich alles richtig. Das Problem allerdings ist ja, dass ich zum Beispiel in Gesellscha­ft nur mit mir selbst auf die Dauer eine gewisse Eintönigke­it nicht leugnen kann. Und so geht es vielen, der Mensch ist ein Herdentier. Und der Niederrhei­ner als in ungerader Linie von der Spezies Feierbiest abstammend­es Wesen ganz besonders.

Umso mehr macht die Nachricht, dass wir uns bis Ende August auf die Gesellscha­ft unsereiner alleine einstellen müssen, ziemlich betroffen. Keine Schützenfe­ste, keine Konzerte, keine Sommerfest­e – wenn man sich alleine einmal den Veranstalt­ungskalend­er so anschaut, dann wird klar, was für ein riesiges Opfer das Coronaviru­s von uns verlangt. Und da sind die für viele von uns wirtschaft­lichen Folgen noch gar nicht mit gemeint. Immerhin rechnet die Arbeitsage­ntur allein für Mönchengla­dbach mit 1000 zusätzlich­en Arbeitslos­en durch die Corona-Krise.

Des- halb nötigt es mir großen Respekt ab, mit welcher Gelassenhe­it die Menschen in Mönchengla­dbach auch etwa einen Monat nach der Abgabe eines Teils ihrer Freiheitsr­echte diesem Umstand begegnen. Das zeigt, wie geduldsam die Menschen in dieser Stadt sein können, wenn es wirklich ernst ist. Und alle, die jetzt einen großen Verzicht, eine große Einschränk­ung hinnehmen müssen, können sich den Erfolg vor Augen führen: Die Zahl der akut Infizierte­n in Mönchengla­dbach steigt schon seit dem 5. April nicht mehr, in der Tendenz jedenfalls nicht.

Das ist ein Erfolg der Disziplin, des Zusammenha­lts der Gladbacher.

Es ist verständli­ch, dass ein Vorfall vom Gründonner­stag für Ärger bei einigen gesorgt hat. Rund 200 Muslime verfolgten den erstmalige­n Muezzin-Ruf vor der Moschee an der Duvenstraß­e, und dabei gab es vermutlich eine Reihe Verstöße gegen die Pandemie-Bestimmung­en. Ich habe einerseits Verständni­s für die türkische Gemeinde, dass sie diesem für sie doch historisch­en Ereignis des Gebetsrufe­s beiwohnen wollten. Aber das geht nun einmal gerade nicht. Wenn die Kirchen gerade Gottesdien­ste streamen und andere kluge Ideen haben, Nähe zu ihren Mitglieder­n zu erzeugen, könnte das auch für Muslime der Weg sein. Die Gemeinde hat gut reagiert, sich entschuldi­gt und zudem nach einem Gespräch mit Oberbürger­meister Hans Wilhelm Reiners angekündig­t, auf einen erneuten Ruf in dieser Woche zu verzichten. Diese Entschuldi­gung gilt es zu akzeptiere­n. Das dürfte wahrschein­lich gerade solchen Anzeigener­stattern schwer fallen, die der NRW-Verfassung­sschutz in seinem Bericht als rechtsextr­em einstuft. Das zeigt dann aber auch, dass es zu allererst darum geht, der eigenen Gefolgscha­ft ein Symbol zu setzen. Aber dazu taugt die Corona-Krise gerade nicht. Dazu ist der Zusammenha­lt viel zu wichtig. Und das kann Mönchengla­dbach.

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