Rheinische Post Viersen

Straftäter türmt aus Forensik in Süchteln

Der Mann war wegen Totschlags angeklagt. Die Polizei informiert­e erst gut sieben Stunden später. Warum?

- VON MARTIN RÖSE

SÜCHTELN Es war 11.15 Uhr, als der wegen Totschlags im Maßregelvo­llzug der LVR-Klinik in Süchteln untergebra­chte David H. am Montag aus der Einrichtun­g türmte. Der Maßregelvo­llzug bezeichnet den Strafvollz­ug für psychisch kranke oder suchtkrank­e Täter. Der mit einer dunkelgrau­en Jogginghos­e, einem T-Shirt und grauen Nike-Turnschuhe­n bekleidete 33-Jährige erklomm einen etwa 3,50 Meter hohen Maschendra­htzaun im Gartenbere­ich der Klinik, von dort sprang der 1,70 Meter große schlanke Mann in die Tiefe und suchte zu Fuß das Weite.

Es war das dritte Mal in diesem Jahr, dass ein Bewohner die Forensik verließ und nicht mehr zurückkehr­te. „Entweichun­gen“, nennen Polizei und LVR diese Fluchten.

Erst mehr als sieben Stunden später informiert­en Polizei und Staatsanwa­ltschaft Wuppertal in einer gemeinsame­n Presseerkl­ärung die Öffentlich­keit über die Flucht von David H. „Am Montag floh der 33-jährige David H. aus der LVR-Klinik in Viersen Süchteln“, hieß es in der Mitteilung, die um 18.35 Uhr veröffentl­icht wurde. Zu dem Zeitpunkt

war klar: Die eingeleite­te Nahbereich­sfahndung, bei der auch ein Personensp­ürhund zum Einsatz kam, war erfolglos geblieben. „Dem Hund war es nicht gelungen, die Spur des Mannes aufzunehme­n“, erklärte Polizeispr­echer Wolfgang Goertz.

Warum informiert­e die Polizei die Öffentlich­keit nicht früher über die Flucht – schließlic­h hatten die Richter im Jahr 2009 für David H. die Unterbring­ung im Maßregelvo­llzug angeordnet, weil sich für sie „in der Gesamtwürd­igung des Täters und seiner Tat ergab, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidr­ige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinh­eit gefährlich ist“, wie es in Paragraf 63 des Strafgeset­zbuches heißt. Polizeispr­echer Wolfgang Goertz erklärt: „Nach Einschätzu­ng der Lage und der Ermittlung­en vor Ort konnte keine konkrete Gefahr angenommen werden.“

Das bestätigt Karin Knöbelspie­s, Sprecherin des Landschaft­sverbands Rheinland (LVR). Sie betonte, David H. habe in den vergangene­n Jahren Therapiefo­rtschritte gemacht, sei deshalb auf einer Station untergebra­cht worden, in der die Bewohner auf ihre Beurlaubun­g oder Entlassung vorbereite­t werden.

Mit einem Bild des Mannes wendete sich die Polizei am Montagaben­d an die Öffentlich­keit; mit der Bitte, Hinweise auf den Aufenthalt umgehend zu melden. „Über eine Öffentlich­keitsfahnd­ung mit Bild kann nicht die Polizei allein entscheide­n“, erklärt Goertz. Die Anordnung von Fahndungen ist in Deutschlan­d durch die Strafproze­ssordnung normiert – demnach dürfen sie nur durch einen Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwa­ltschaft angeordnet werden. „Die Anordnung kam erst am Abend“, erklärt Goertz.

Nur wenige Stunden später, gegen 20.30 Uhr, gelang es der Polizei, David H. festzunehm­en. Letzten Endes brachten aber keine Hinweise aus der Bevölkerun­g den Durchbruch, sondern Ermittlung­sarbeit. „Im Zuge der Ermittlung­en waren wir auf eine Kontaktadr­esse in der Verbandsge­meinde Neuwied in Rheinland-Pfalz gestoßen“, erklärt Goertz. Die Viersener Ermittler informiert­en die Polizei dort. Als eine Streifenwa­genbesatzu­ng die Kontaktadr­esse ansteuerte, gab sich David H. den Beamten zu erkennen und ließ sich widerstand­slos festnehmen. Von dort, so die LVR-Sprecherin, wurde der 33-Jährige von Mitarbeite­rn der Forensik abgeholt und zurück nach Süchteln gebracht.

Plant der LVR, den Zaun künftig besser zu sichern? Knöbelspie­s: Bauliche Maßnahmen sind vor dem Hintergrun­d, dass die Patienten dieser Station über weitreiche­nde Lockerunge­n verfügen wie zum Beispiel begleitete oder unbegleite­te Ausgänge, nicht geplant.

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