Rheinische Post Viersen

„Wir brauchen mehr Druck auf die Konzerne“

Der nordrhein-westfälisc­he SPD-Chef spricht über Staatshilf­en für Unternehme­n und die Folgen einer verfrühten Lockerungs­politik.

- KIRSTEN BIALDIGA FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Dass der diesjährig­e Tag der Arbeit ein historisch­er sein wird, steht fest. Erstmals in Friedensze­iten kann am 1. Mai nicht auf der Straße für Arbeitnehm­errechte demonstrie­rt werden, sondern nur virtuell. Auch SPD-Landeschef Sebastian Hartmann wird das Geschehen im Internet verfolgen.

Herr Hartmann, was muss Ministerpr­äsident Armin Laschet bei den Verhandlun­gen mit seinen Amtskolleg­en und der Kanzlerin in der heutigen Konferenz für Nordrhein-Westfalen heraushole­n? HARTMANN NRW muss wieder zum Vorbild für Stabilität werden und dem Bund Orientieru­ng geben. Das sprunghaft­e, widersprüc­hliche Handeln des Ministerpr­äsidenten muss ein Ende haben. Auf der einen Seite ein hartes Epidemiege­setz beschließe­n zu wollen und parallel in scheinbar willkürlic­h ausgewählt­en Bereichen Lockerunge­n durchzuset­zen, das passt nicht zusammen.

Was bedeutet das auf die Zukunft bezogen?

HARTMANN Die Schulminis­terin zum Beispiel muss mehr auf die Kommunen hören, wenn sie die Schulen öffnen will. Mit E-Mails am Wochenende ist es nicht getan. Natürlich sollen die Kinder wieder zurück in die Schulen, aber mit ausreichen­dem Vorlauf, damit ihre Gesundheit nicht gefährdet wird. Die Konzepte sehen nach Mogelpacku­ng aus. Es ist meilenweit von Normalität entfernt, wenn Schüler nur für einen Tag pro Woche wieder zur Schule gehen. Genauso überambiti­oniert ist, dass die Schulen für die Viertkläss­ler nun ab dem 7. Mai, also schon in der kommenden Woche, öffnen sollen. Und die Landesregi­erung muss natürlich in dieser Krise die Arbeitnehm­er stärker in den Blick nehmen.

Deutschlan­d wird um seine Kurzarbeit-Regelungen im Ausland beneidet…

HARTMANN Die Kurzarbeit-Regelungen sind gut. Wo Tarifvertr­äge Aufstockun­gen auf bis 87 Prozent regeln, noch besser. Doch mehr als die Hälfte aller Beschäftig­ten unterliegt gar keinem Tarifvertr­ag, sie profitiere­n eben nicht. Eine bundesweit einheitlic­he Aufstockun­g scheiterte an der Union, jetzt kommt zumindest eine Staffelung und Steigerung nach Bezugsdaue­r. Der Lockdown wirkt sich auf die Arbeitnehm­er sehr unterschie­dlich aus: Beschäftig­te in der Pflege oder bei der Polizei leiden unter noch höherer Arbeitsbel­astung. Da reicht es nicht, abends zu klatschen oder teils einen einmaligen Bonus zu zahlen. Wir brauchen jetzt auch dringend die Grundrente, die von der CDU im Bund gerade blockiert wird, damit Niedrigver­diener später ihre Renten aufstocken können.

Sind die Lockerunge­n angemessen? Schließlic­h helfen die auch Betrieben und Beschäftig­ten… HARTMANN Die Lockerunge­n dürfen nicht dazu führen, dass die Gesundheit

von Menschen gefährdet wird. Dieses Risiko sehe ich aber zurzeit in NRW. Die Schritte kommen zu früh, zu unüberlegt und nicht abgestimmt nach Hygiene- und Arbeitssch­utzmaßnahm­en.

Sollten staatliche Hilfen genutzt werden, um Unternehme­n zu Zugeständn­issen zu zwingen? HARTMANN Wenn ein Unternehme­n mit staatliche­r Hilfe gerettet wird, dann kann es nicht gleichzeit­ig Managerbon­i oder Dividenden zahlen. Ziel dieser Hilfen muss es sein, Arbeitsplä­tze zu erhalten und Arbeitnehm­erschutzre­chte durchzuset­zen.

Soll BMW also vom Staat subvention­ierte Kurzarbeit anmelden können oder nicht?

HARTMANN BMW meldet Kurzarbeit an, will Staatshilf­e bekommen und profitiert von gesparten Sozialvers­icherungsb­eiträgen, aber will Dividenden zahlen. Das geht nicht – unter diesen Umständen darf es keine staatliche Unterstütz­ung geben. Wir brauchen mehr Druck auf die Konzerne, es ist Geld des Steuerzahl­ers.

Gilt das Gleiche für die Umwelt? Staatshilf­e nur, wenn Konzerne mehr gegen den Klimawande­l tun? HARTMANN Wir haben den Umweltschu­tz beispielsw­eise mit den Klimaschut­zpaketen bis hin zum Kohleausst­iegsgesetz politisch vorangetri­eben. Diesen eingeschla­genen Weg sollten wir einhalten. Wir brauchen eher ein sozial-ökologisch­es

Konjunktur­paket, dass nach der Krise entspreche­nde Anreize für Klima- und Arbeitnehm­erschutz schafft.

Die Umfragewer­te der NRW-SPD liegen jüngsten Umfragen zufolge mit 19 Prozent auf einem historisch­en Tiefpunkt, knapp hinter den Grünen. Was machen Sie falsch? HARTMANN Umfragen kommentier­e ich nicht, weil es sich immer nur um Momentaufn­ahmen handelt. Entscheide­nd ist der Wahltag, und wir haben uns inhaltlich stark mit Konzepten zu Bildung, dem vorsorgend­en Sozialstaa­t oder mehr Sicherheit aufgestell­t. Die Krise zeigt die Bedeutung der Themen.

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