„Wir brauchen mehr Druck auf die Konzerne“
Der nordrhein-westfälische SPD-Chef spricht über Staatshilfen für Unternehmen und die Folgen einer verfrühten Lockerungspolitik.
DÜSSELDORF Dass der diesjährige Tag der Arbeit ein historischer sein wird, steht fest. Erstmals in Friedenszeiten kann am 1. Mai nicht auf der Straße für Arbeitnehmerrechte demonstriert werden, sondern nur virtuell. Auch SPD-Landeschef Sebastian Hartmann wird das Geschehen im Internet verfolgen.
Herr Hartmann, was muss Ministerpräsident Armin Laschet bei den Verhandlungen mit seinen Amtskollegen und der Kanzlerin in der heutigen Konferenz für Nordrhein-Westfalen herausholen? HARTMANN NRW muss wieder zum Vorbild für Stabilität werden und dem Bund Orientierung geben. Das sprunghafte, widersprüchliche Handeln des Ministerpräsidenten muss ein Ende haben. Auf der einen Seite ein hartes Epidemiegesetz beschließen zu wollen und parallel in scheinbar willkürlich ausgewählten Bereichen Lockerungen durchzusetzen, das passt nicht zusammen.
Was bedeutet das auf die Zukunft bezogen?
HARTMANN Die Schulministerin zum Beispiel muss mehr auf die Kommunen hören, wenn sie die Schulen öffnen will. Mit E-Mails am Wochenende ist es nicht getan. Natürlich sollen die Kinder wieder zurück in die Schulen, aber mit ausreichendem Vorlauf, damit ihre Gesundheit nicht gefährdet wird. Die Konzepte sehen nach Mogelpackung aus. Es ist meilenweit von Normalität entfernt, wenn Schüler nur für einen Tag pro Woche wieder zur Schule gehen. Genauso überambitioniert ist, dass die Schulen für die Viertklässler nun ab dem 7. Mai, also schon in der kommenden Woche, öffnen sollen. Und die Landesregierung muss natürlich in dieser Krise die Arbeitnehmer stärker in den Blick nehmen.
Deutschland wird um seine Kurzarbeit-Regelungen im Ausland beneidet…
HARTMANN Die Kurzarbeit-Regelungen sind gut. Wo Tarifverträge Aufstockungen auf bis 87 Prozent regeln, noch besser. Doch mehr als die Hälfte aller Beschäftigten unterliegt gar keinem Tarifvertrag, sie profitieren eben nicht. Eine bundesweit einheitliche Aufstockung scheiterte an der Union, jetzt kommt zumindest eine Staffelung und Steigerung nach Bezugsdauer. Der Lockdown wirkt sich auf die Arbeitnehmer sehr unterschiedlich aus: Beschäftigte in der Pflege oder bei der Polizei leiden unter noch höherer Arbeitsbelastung. Da reicht es nicht, abends zu klatschen oder teils einen einmaligen Bonus zu zahlen. Wir brauchen jetzt auch dringend die Grundrente, die von der CDU im Bund gerade blockiert wird, damit Niedrigverdiener später ihre Renten aufstocken können.
Sind die Lockerungen angemessen? Schließlich helfen die auch Betrieben und Beschäftigten… HARTMANN Die Lockerungen dürfen nicht dazu führen, dass die Gesundheit
von Menschen gefährdet wird. Dieses Risiko sehe ich aber zurzeit in NRW. Die Schritte kommen zu früh, zu unüberlegt und nicht abgestimmt nach Hygiene- und Arbeitsschutzmaßnahmen.
Sollten staatliche Hilfen genutzt werden, um Unternehmen zu Zugeständnissen zu zwingen? HARTMANN Wenn ein Unternehmen mit staatlicher Hilfe gerettet wird, dann kann es nicht gleichzeitig Managerboni oder Dividenden zahlen. Ziel dieser Hilfen muss es sein, Arbeitsplätze zu erhalten und Arbeitnehmerschutzrechte durchzusetzen.
Soll BMW also vom Staat subventionierte Kurzarbeit anmelden können oder nicht?
HARTMANN BMW meldet Kurzarbeit an, will Staatshilfe bekommen und profitiert von gesparten Sozialversicherungsbeiträgen, aber will Dividenden zahlen. Das geht nicht – unter diesen Umständen darf es keine staatliche Unterstützung geben. Wir brauchen mehr Druck auf die Konzerne, es ist Geld des Steuerzahlers.
Gilt das Gleiche für die Umwelt? Staatshilfe nur, wenn Konzerne mehr gegen den Klimawandel tun? HARTMANN Wir haben den Umweltschutz beispielsweise mit den Klimaschutzpaketen bis hin zum Kohleausstiegsgesetz politisch vorangetrieben. Diesen eingeschlagenen Weg sollten wir einhalten. Wir brauchen eher ein sozial-ökologisches
Konjunkturpaket, dass nach der Krise entsprechende Anreize für Klima- und Arbeitnehmerschutz schafft.
Die Umfragewerte der NRW-SPD liegen jüngsten Umfragen zufolge mit 19 Prozent auf einem historischen Tiefpunkt, knapp hinter den Grünen. Was machen Sie falsch? HARTMANN Umfragen kommentiere ich nicht, weil es sich immer nur um Momentaufnahmen handelt. Entscheidend ist der Wahltag, und wir haben uns inhaltlich stark mit Konzepten zu Bildung, dem vorsorgenden Sozialstaat oder mehr Sicherheit aufgestellt. Die Krise zeigt die Bedeutung der Themen.