Kliniken sollen wieder mehr operieren
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will zur Regelversorgung zurückkehren. Planbare Eingriffe sollen ab Freitag wieder häufiger stattfinden.
DÜSSELDORF Der Klinikalltag in Deutschland war zuletzt doch etwas merkwürdig. Da gab es manche Häuser, auf deren Intensivstationen gleich mehrere Corona-Patienten lagen und Pfleger wie Ärzte am Rande des Belastbaren arbeiteten. Dann gab es aber auch Kliniken, in denen es kaum Corona-Infizierte gab und in denen auch sonst nicht allzu viel los war, weil geplante Operationen ja abgesagt werden sollten, um Platz für die Corona-Patienten zu schaffen. In der Summe war es so, dass sich die Kliniken nicht an der Kapazitätsgrenze bewegten. Das ist auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nicht verborgen geblieben.
In einem Schreiben an die Landesgesundheitsminister weist er nun darauf hin, dass die Kapazitäten aktuell nicht vollständig genutzt würden, „obwohl in der Woche nach Ostern der erste Höhepunkt des intensivmedizinischen Bedarfs in der ersten Welle der Corona-Epidemie erreicht wurde“. Die Zahl der Neuinfektionen entwickle sich derzeit linear, was es zulasse, ab Mai nach fast sechs Wochen Aufschub und Absage verschiebbarer planbarer Operationen auch für die Kliniken einen neuen Alltag zu entwickeln.
Spahn empfiehlt: Die freizuhaltende Intensivkapazität für Covid-19-Patienten soll auf 25 Prozent der insgesamt vorhandenen Intensivbetten festgelegt werden. 70 Prozent der geplanten Operationen sollen wieder durchgeführt werden. Je nach Pandemieverlauf sollen die Kliniken aber binnen 72 Stunden weitere Intensivplätze bereithalten. Sobald wieder 90 Prozent der planbaren Operationen durchgeführt werden, soll die Intensivbetten-Reserve in Fünf-Prozent-Schritten alle 21 Tage angepasst werden. Dem ist vorausgesetzt, dass die Zahl der täglichen Neuninfektionen nicht wieder steigt.
Für Patienten ergibt sich vor allem die Frage: Wer darf denn jetzt operiert werden? Auch darauf versucht Spahn eine Antwort zu geben. So sollen Operationen bei schnell fortschreitenden Erkrankungen bevorzugt werden. Darunter fällt etwa die Behandlung von Krebsleiden. Aber der Einsatz von Hüft- und Kniegelenken soll eben auch wieder hochgefahren werden. Die Entscheidung, welcher Eingriff stattfindet und welcher nicht, obliege dem jeweiligen Arzt, schreibt Spahn.
Die Länder fordert er auf, die Verordnungen, die in Bezug auf die Kliniken erlassen wurden, zu überarbeiten. NRW hat damit bereits begonnen. Für den Frankfurter Medizinrechtler Thomas Schlegel ein notwendiger Schritt, um den Verordnungsdschungel zu lichten. „In Hessen etwa sollen Behandlungen ausgesetzt werden, die ,nicht dringend medizinisch notwendig‘ sind. Im Saarland sollen pauschal ,planbare Aufnahmen reduziert oder ausgesetzt‘ werden. Da kann der Eindruck entstehen, alle sogenannten elektiven Behandlungen sollen gestoppt werden“, sagte Schlegel im „Tagesspiegel Background“. „Wenn ein Krankenhaus genügend Kapazitäten für Covid-19-Patienten bereithält, kann es auch durchaus einen Herzkatheter-Eingriff oder eine Halswirbel-OP durchführen. Das ist nirgendwo verboten.“
Die Patienten würden nun zumeist von den jeweiligen Kliniken über einen neuen OP-Termin informiert, sagt Jochen Brink, Präsident der Krankenhausgesellschaft NRW. Umgekehrt könnten die Patienten aber auch in den Klinken anrufen und nachfragen. Ein erhöhtes Ansteckungsrisiko bestehe in den Kliniken zudem nicht, betont Brink: „Die parallele Behandlung von Patienten mit ansteckenden Krankheiten und nicht infizierten Patienten gehört für uns zum regelhaften Versorgungsauftrag. So werden Covid-19-Patienten in der Regel getrennt von allen anderen Patienten behandelt.“Auch Medizinrechtler Schlegel meint: „Der Infektionsschutz in einem Krankenhaus mit Isolierstation ist höher als in einem Bau- oder Supermarkt.“Brink gab jedoch zu bedenken, dass die Verfügbarkeit von Schutzausrüstung stets sichergestellt sein müsse. Zudem brauche es besondere Teststrategien in den Kliniken zum Schutz von Patienten und Mitarbeitern.