Schlecht bezahlt, in der Krise gefragt
Sie schuften in Handel, Heimen, Kliniken. Der Lohn: zwischen 2000 und 2900 Euro brutto. Ausgerechnet für Dienste am Menschen zahlt man aus historischen Gründen wenig. Durch die Corona-Krise könnte sich das ändern.
DÜSSELDORF Sie schuften im Handel und beim Paketdienst, sie versorgen Kranke und pflegen Alte trotz Infektionsgefahr. Und trotzdem werden viele Dienstleister schlecht bezahlt. Das macht eine Auswertung des Forschungsinstitutes der Böckler-Stiftung (lohnspiegel.de) deutlich: Demnach bekommt eine Kassiererin im Handel durchschnittlich lediglich 2060 Euro im Monat brutto – für eine Vollzeitstelle. Eine Altenpflegerin kommt auf 2640 Euro, eine Krankenschwester auf
2860 Euro.
„Dienstleistungsberufe sind im Vergleich zur Industrie traditionell schlecht bezahlt“, sagt Dorothea Voss, Abteilungsleiterin
Forschung der Böckler-Stiftung. Das hat
Gründe: Zum einen geht es um Branchen, für deren Angebote Kunden nur wenig zahlen. Zum anderen liegt es an den Arbeitsbewertungssystemen, so Voss: „Diese haben einen blinden Fleck – sie stellen auf die Führungsverantwortung (Zahl der Mitarbeiter) ab, aber nicht auf die Verantwortung für Psyche oder Körper von anderen.“Physische Belastungen wie das Arbeiten in Hitze (Stahlkocher) würden zu Recht hoch bewertet, psychische Belastungen müssten ebenso anerkannt werden, fordert sie.
Die Entwicklung hat historische Gründe: „Soziale Dienstleistungen wurden früher von Frauen in den Familien unentgeltlich mitgemacht, nun wachsen sie mit zunehmender Arbeitsteilung in die Erwerbsarbeit hinein, angemessene Entlohnung muss aktiv eingefordert werden“, sagt Voss. Das geht leichter, wenn die Tarifbindung hoch ist. Doch im Bereich Altenpflege liegt diese bei privaten Trägern nur bei mageren 20 Prozent, im Einzelhandel bei 36 Prozent. Hier spielt auch der hohe Frauenanteil eine Rolle. Viele Frauen arbeiten Teilzeit, und Teilzeit erschwert Tarifpolitik.
Warum wählen trotzdem viele Frauen Pflege- und Erziehungsberufe? „Der Sinngehalt der Arbeit ist hoch, das ist vielen wichtiger als hohe Entlohnung. Allerdings müssen wenigstens Arbeitszeit und Gesundheitsschutz stimmen“, sagt Voss. „Grundgedanke des Pflegepersonals ist es, anderen Menschen zu helfen“, sagt Katharina von Croy vom Berufsverband für Pflegeberufe. Viele zeichneten sich durch Hilfsbereitschaft und Leidensfähigkeit aus. Und das wird bisweilen von Arbeitgebern und Kunden ausgenutzt. Dabei, so von Croy, sei Pflege ein Pfeiler der Gesellschaft.
Aber es könnte sich etwas ändern. „Die Corona-Krise ist ein Weckruf. Sie zeigt, welche Berufe für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft unerlässlich sind“, sagt Voss. Dazu passt eine unveröffentlichte Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW ): Darin werden 501 versorgungsrelevante Berufe ausgemacht. „Die größte Corona-Fachkräftelücke liegt bei Gesundheitsund Krankenpflegeberufen vor“, heißt es. Hier fehlten bis zu 840.000 Kräfte bei aktuell 3,7 Millionen sozialversichungspflichtig Beschäftigten. Groß ist auch die Lücke in Erziehungsberufen (217.000) und bei Transport&Verkehr (370.000).
Was kann der Staat tun? „Lohnfindung ist Sache der Tarifpartner, die Tarifparteien in den Branchen müssen stärker werden“, sagt Voss. „Schaffen sie es nicht, muss der Staat eingreifen und in mehr Branchen Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären.“So zwinge man Arbeitgeber, wenigstens Untergrenzen einzuhalten. Schon jetzt gibt es eine Allgemeinverbindlichkeits-Erklärung in 13 Branchen wie dem Bau. Womöglich ist die Corona-Krise eine Wende.
„Sie gibt schon mal einen Vorgeschmack auf das, was in 20 Jahren droht“, sagt Voss. Wenn nämlich die Babyboomer zu Pflegefällen werden, gibt es erst recht Probleme. „Nun muss die Gesellschaft sehen, dass sie eine solidarische Antwort findet, oder zulässt, dass sich die Lage weiter polarisiert: Wer Geld hat, heuert eine osteuropäische Helferin an. Wer kein Geld hat, hat das Nachsehen.“
Der Berufsverband fordert für Pflegepersonal mit dreijähriger Ausbildung ein Einstiegsgehalt von 4000 Euro. Pflege müsse als hochspezialisierter Beruf entsprechend bezahlt werden, sagt von Croy. Abendlicher Applaus alleine helfe nicht viel.