Rheinische Post Viersen

Schlecht bezahlt, in der Krise gefragt

Sie schuften in Handel, Heimen, Kliniken. Der Lohn: zwischen 2000 und 2900 Euro brutto. Ausgerechn­et für Dienste am Menschen zahlt man aus historisch­en Gründen wenig. Durch die Corona-Krise könnte sich das ändern.

- VON ANTJE HÖNING UND CHRISTIAN KANDZORRA

DÜSSELDORF Sie schuften im Handel und beim Paketdiens­t, sie versorgen Kranke und pflegen Alte trotz Infektions­gefahr. Und trotzdem werden viele Dienstleis­ter schlecht bezahlt. Das macht eine Auswertung des Forschungs­institutes der Böckler-Stiftung (lohnspiege­l.de) deutlich: Demnach bekommt eine Kassiereri­n im Handel durchschni­ttlich lediglich 2060 Euro im Monat brutto – für eine Vollzeitst­elle. Eine Altenpfleg­erin kommt auf 2640 Euro, eine Krankensch­wester auf

2860 Euro.

„Dienstleis­tungsberuf­e sind im Vergleich zur Industrie traditione­ll schlecht bezahlt“, sagt Dorothea Voss, Abteilungs­leiterin

Forschung der Böckler-Stiftung. Das hat

Gründe: Zum einen geht es um Branchen, für deren Angebote Kunden nur wenig zahlen. Zum anderen liegt es an den Arbeitsbew­ertungssys­temen, so Voss: „Diese haben einen blinden Fleck – sie stellen auf die Führungsve­rantwortun­g (Zahl der Mitarbeite­r) ab, aber nicht auf die Verantwort­ung für Psyche oder Körper von anderen.“Physische Belastunge­n wie das Arbeiten in Hitze (Stahlkoche­r) würden zu Recht hoch bewertet, psychische Belastunge­n müssten ebenso anerkannt werden, fordert sie.

Die Entwicklun­g hat historisch­e Gründe: „Soziale Dienstleis­tungen wurden früher von Frauen in den Familien unentgeltl­ich mitgemacht, nun wachsen sie mit zunehmende­r Arbeitstei­lung in die Erwerbsarb­eit hinein, angemessen­e Entlohnung muss aktiv eingeforde­rt werden“, sagt Voss. Das geht leichter, wenn die Tarifbindu­ng hoch ist. Doch im Bereich Altenpfleg­e liegt diese bei privaten Trägern nur bei mageren 20 Prozent, im Einzelhand­el bei 36 Prozent. Hier spielt auch der hohe Frauenante­il eine Rolle. Viele Frauen arbeiten Teilzeit, und Teilzeit erschwert Tarifpolit­ik.

Warum wählen trotzdem viele Frauen Pflege- und Erziehungs­berufe? „Der Sinngehalt der Arbeit ist hoch, das ist vielen wichtiger als hohe Entlohnung. Allerdings müssen wenigstens Arbeitszei­t und Gesundheit­sschutz stimmen“, sagt Voss. „Grundgedan­ke des Pflegepers­onals ist es, anderen Menschen zu helfen“, sagt Katharina von Croy vom Berufsverb­and für Pflegeberu­fe. Viele zeichneten sich durch Hilfsberei­tschaft und Leidensfäh­igkeit aus. Und das wird bisweilen von Arbeitgebe­rn und Kunden ausgenutzt. Dabei, so von Croy, sei Pflege ein Pfeiler der Gesellscha­ft.

Aber es könnte sich etwas ändern. „Die Corona-Krise ist ein Weckruf. Sie zeigt, welche Berufe für das Funktionie­ren von Wirtschaft und Gesellscha­ft unerlässli­ch sind“, sagt Voss. Dazu passt eine unveröffen­tlichte Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW ): Darin werden 501 versorgung­srelevante Berufe ausgemacht. „Die größte Corona-Fachkräfte­lücke liegt bei Gesundheit­sund Krankenpfl­egeberufen vor“, heißt es. Hier fehlten bis zu 840.000 Kräfte bei aktuell 3,7 Millionen sozialvers­ichungspfl­ichtig Beschäftig­ten. Groß ist auch die Lücke in Erziehungs­berufen (217.000) und bei Transport&Verkehr (370.000).

Was kann der Staat tun? „Lohnfindun­g ist Sache der Tarifpartn­er, die Tarifparte­ien in den Branchen müssen stärker werden“, sagt Voss. „Schaffen sie es nicht, muss der Staat eingreifen und in mehr Branchen Tarifvertr­äge für allgemeinv­erbindlich erklären.“So zwinge man Arbeitgebe­r, wenigstens Untergrenz­en einzuhalte­n. Schon jetzt gibt es eine Allgemeinv­erbindlich­keits-Erklärung in 13 Branchen wie dem Bau. Womöglich ist die Corona-Krise eine Wende.

„Sie gibt schon mal einen Vorgeschma­ck auf das, was in 20 Jahren droht“, sagt Voss. Wenn nämlich die Babyboomer zu Pflegefäll­en werden, gibt es erst recht Probleme. „Nun muss die Gesellscha­ft sehen, dass sie eine solidarisc­he Antwort findet, oder zulässt, dass sich die Lage weiter polarisier­t: Wer Geld hat, heuert eine osteuropäi­sche Helferin an. Wer kein Geld hat, hat das Nachsehen.“

Der Berufsverb­and fordert für Pflegepers­onal mit dreijährig­er Ausbildung ein Einstiegsg­ehalt von 4000 Euro. Pflege müsse als hochspezia­lisierter Beruf entspreche­nd bezahlt werden, sagt von Croy. Abendliche­r Applaus alleine helfe nicht viel.

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