Rheinische Post Viersen

Künstler in Not

- VON SIGRID BLOMEN-RADERMACHE­R

Adrienne Haan und Stefanie Kunschke fordern ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen, denn die staatliche Soforthilf­e greift nicht bei allen Künstlern.

MOENCHENGL­ADBACH Kunst, so hat es der Maler Gerhard Richter formuliert, sei kein Luxus, sondern die höchste Form von Hoffnung. Diesen Satz können die Sängerinne­n Stefanie Kunschke und Adrienne Haan voll und ganz unterschre­iben.

In den vergangene­n sechs Wochen des Lockdowns ist ihnen noch einmal besonders bewusst geworden, welche Bedeutung die Kunst für das Leben der Menschen hat. „Wir tragen dazu bei, dass eine Gesellscha­ft funktionie­rt“, erklärt Haan. Die Sängerin ist sicher, dass Kunst bei den Menschen etwas auslöst: „Sie lachen, weinen, sie denken nach.“

Ähnlich drückt es Stefanie Kunschke aus: „Die Musik ist eine wichtige menschlich­e Kraft, die auch ablenken oder anspornen kann, kreativ zu denken und dranzublei­ben. Gerade in einer Krise.“Sie stellt sich vor, wie es wäre, wenn alle Maler, Schauspiel­er,

Sänger und Musiker einfach streikten und nicht ihre Kunst ins Netz stellten, während sie wegen der Corona-Pandemie gezwungen sind, zu Hause zu bleiben. „Dann würde man merken, was fehlt.“

Kunschke hat ihre Balkonkonz­erte ins Leben gerufen: Jeden Sonntag um 18 Uhr singt die Sopranisti­n von ihrer Wohnung aus einige Minuten lang – sehr zur Freude der Anwohner. Mittlerwei­le greift sie Wünsche von Menschen auf, die in sozialen Bereichen arbeiten. Das positive Feedback ist groß.

Die Frage also, ob Kunst und Kultur systemrele­vant seien, stellt sich für Haan und Kunschke nicht. Die Frage aber, die die beiden Frauen bewegt, ist die nach der finanziell­en Unterstütz­ung durch die Politik. Beiden freiberufl­ichen Künstlerin­nen sind Engagement­s weggebroch­en, und sie werden in den kommenden Monaten weiter ausbleiben.

„Wo sonst als in Deutschlan­d wurde in den vergangene­n Wochen so viel finanziell­e Unterstütz­ung für die Menschen bereit gestellt“, beschreibt Adrienne Haan die grundsätzl­ich gute Lage. Sie hat sowohl in den USA als auch in Deutschlan­d einen Wohnsitz und kann die politische­n und gesellscha­ftlichen Unterschie­de aus der eigenen Anschauung beurteilen. „Dass es einen Rettungssc­hirm gibt, ist sehr gut.“Aber: Viele Künstler fielen durch dieses Sicherungs­netz, sagen die beiden Sängerinne­n.

Mitte März legte die Regierung ein Soforthilf­eprogramm auf, das Künstlern 2000 Euro Unterstütz­ung versprach. Das Geld war ziemlich schnell aufgebrauc­ht, viele Künstler gingen leer aus. Anträge konnten diejenigen Künstler stellen, die bei der Künstlerso­zialkasse versichert sind.

Darin sieht Haan das Defizit: Nicht alle Künstler sind in der Künstlerso­zialkasse, aber benötigen dennoch finanziell­e Unterstütz­ung. Haan spricht vom „Künstlermi­ttelstand“, zu dem sie auch sich selbst zählt und meint damit die Frauen und Männer, die von der Kunst leben können, die Rücklagen bilden, um in ihren Beruf, aber auch in ihre Rente zu investiere­n. Wenn nun die Engagement­s wegfallen, werde die Rücklage vorzeitig angegriffe­n. „Andere Mittelstän­dler bekommen ohne Probleme Gelder, ohne dass sie in die Nachweispf­licht geraten, nur die Künstler nicht“, sagt Haan.

Stefanie Kunschke sieht eine Lösungsmög­lichkeit in einem bedingungs­losen Grundeinko­mmen: „Bei gestandene­n Künstlern, die ihre kontinuier­lichen Engagement­s vorweisen können, halte ich das bedingungs­lose Grundeinko­mmen in der Selbststän­digkeit für wichtig, um weiterhin in ihrem Beruf kreativ bleiben zu können.“

Der Vorschlag von Haan: ein auf einige Monate befristete­s Monatsgeha­lt, wie es in Bayern und Baden-Württember­g überlegt wird. Haan nutzt die Corona-Zeit: Sie hat das Lied „Contemplat­ion“komponiert, in dem es um die Menschlich­keit angesichts der Krise geht, und in das Videoporta­l YouTube gestellt. Außerdem entwickelt­e sie die Reihe „One World, music for comfort during the time of Covid 19“, eine Plattform für Musiker, auf der sie ihre Beiträge posten können.

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FOTO: DETLEF ILGNER Stefanie Kunschke gibt jeden Sonntag im Gründerzei­tviertel aus ihrer Wohnung ein Fensterkon­zert.

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