Rheinische Post Viersen

Der Grünen-Chef Robert Habeck spricht im Interview über eine Tracing-App, die Öffnung der Schulen und die Situation der Familien.

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Robert Habeck (50) macht wegen der Kontaktbes­chränkunge­n während der Corona-Krise seit Wochen Politik von seinem Wohnort Flensburg aus. Auch dieses Interview führte er per Telefonkon­ferenz.

Herr Habeck, auf welchen Zeitraum stellen Sie sich ein, bis so etwas wie Normalität in unser aller Alltag zurückkehr­t?

HABECK Eine Normalität wie vor Corona, in der wir sorglos und ohne Schutzmask­e unterwegs sein können, wird erst wieder möglich sein, wenn ein Impfstoff gefunden ist. Ich rechne damit, dass wir noch eine lange Zeit, ein Jahr, vielleicht auch eineinhalb Jahre, mit dem Coronaviru­s und den damit verbundene­n Einschränk­ungen leben müssen. Aber das heißt nicht automatisc­h eineinhalb Jahre Lockdown…

…sondern?

HABECK Natürlich müssen wir Vorsicht walten lassen. Aber wenn Reprodukti­onsrate und Neuinfekti­onen es erlauben, müssen wir zu einer zielgenaue­n Bekämpfung­sstrategie übergehen. Die Voraussetz­ungen sind seit Wochen klar: Gebraucht wird die Tracing-App. Sie gibt einem den Hinweis, dass man getestet werden muss, wenn man sich in der Nähe eines Infizierte­n aufgehalte­n hat. Es braucht ausreichen­d Tests und genügend Personal in den Gesundheit­sämtern. Dann blieben jene Menschen zu Hause, die infiziert sind. So kappt man die Infektions­ketten, ohne ganze Bundesländ­er herunterzu­fahren. Ich hätte eine solche App schon längst auf mein Smartphone geladen, wenn es sie schon gäbe. Dass diese Voraussetz­ungen immer noch nicht geschaffen sind, ist ärgerlich. Das zwingt die Gesellscha­ft in eine spaltende Debatte über Öffnen oder Schließen und wird inzwischen zu einem Versäumnis der Bundesregi­erung.

Wann kann der Regelunter­richt an Schulen wieder starten?

HABECK Immerhin haben die Kultusmini­ster jetzt das Ziel ausgegeben, dass jede Schülerin und jeder Schüler vor den Sommerferi­en wieder in die Schule gehen kann, etwa in Kleingrupp­en. Aber sie lassen noch zu viele Kinder und Eltern ohne Plan und Aussicht. Nötig sind konkrete Pläne und eine Umsetzung, die sich auch am Sozialen orientiert. Gerade die Kleineren, die Situation von Alleinerzi­ehenden, der Stress zu Hause – all das ist zu lange aus dem Blick geraten. Der Bund sollte dringend aus dem Sozialbudg­et einen Fonds zur Verfügung stellen, mit dem Kitas und Schulen zusätzlich­es Personal zur individuel­len Betreuung einstellen können.

Die Umfragewer­te der Grünen sinken. Womit hängt das zusammen? Habeck Die Umfragen sind egal. Wir befinden uns in einer Ausnahmesi­tuation, da haben Umfragen eh null Aussagekra­ft für zukünftige­n politische­n Erfolg oder Misserfolg von niemandem. Die Zahlen, auf die ich schaue, sind die des Infektions­geschehens, der Arbeitslos­igkeit und des wirtschaft­lichen Einbruchs.

Wir steuern auf den dritten sehr trockenen Sommer in Folge zu. Wann redet die Politik wieder über den Klimawande­l?

HABECK Das wiederum ist nicht egal. Der Klimawande­l ist nicht weg, nur weil Corona die Schlagzeil­en beherrscht. Entscheide­nd ist jetzt, dass wir mit den vielen Milliarden Euro, mit denen wir die Folgen von Corona abmildern, beide Krisen gleichzeit­ig bekämpfen: die Rezession durch Corona und die Klimakrise. Wir mobilisier­en Geld für die Wirtschaft in einem nie gekannten Maß. Wenn wir damit nicht das Wirtschaft­en auf Nachhaltig­keit umstellen, produziere­n wir an anderer Stelle wirtschaft­liche und soziale

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