Rheinische Post Viersen

Demütigend­e Besatzer-Mentalität britischer Offiziere

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KREIS VIERSEN (plp) Die Wahrnehmun­g der zunächst unumschrän­kten Herrschaft der Besatzung war unterschie­dlich, ja gegensätzl­ich. Wiederholt ist nach dem Einmarsch der Amerikaner von den heiß ersehnten Gaben die Rede, die sie deutschen Kindern in Form von Schokolade oder Südfrüchte­n zukommen ließen. Für viele Menschen am Niederrhei­n war die erste Begegnung mit schwarzen amerikanis­chen Soldaten ein besonderes Erlebnis. Vielerorts wird von ihrer Freundlich­keit gegenüber den Kindern berichtet.

Doch das war nur die eine Seite der Medaille. Als die britische Armee

das Kommando übernahm, trat deren oft demütigend­e Besatzer-Mentalität zutage. Offiziere, die zum Teil wohl auch als ehemalige Kolonialso­ldaten einen wenig zimperlich­en Umgang mit der Bevölkerun­g gewohnt waren, spielten ihre Macht rücksichts­los aus. Selbst zur Verantwort­ungsüberna­hme bereite Deutsche, die nachweisli­ch politisch unbelastet waren, stießen auf hochmütige Offiziere. Eduard Royen berichtet: „Am ersten Ostertag kam ein neuer Kommandant nach Kempen, ein Captain Moskowski. Landrat Engels ist mit mir am zweiten Ostertag dreimal zum Kommandant­en gegangen. Jedes Mal wurden wir abgewiesen. Am Nachmittag gingen wir zu dritt. Landrat Engels, Bürgermeis­ter Dr. Mertens und ich als Dolmetsche­r wieder hin. Der Kapitän würdigte uns keines Blickes. Man verwies uns an den ersten Leutnant Pike. Wir schnitten die Frage der Kohle- und Benzinvers­orgung an und erhielten den Bescheid, wir möchten eine ins Einzelne gehende Aufstellun­g machen. Dann wurden wir nach dem Werwolf gefragt, sogar verschiede­ne Namen wurden uns genannt, die den Amerikaner­n schon mitgeteilt worden waren.“Der englische Major Bayle entschied am 17. April: „Schulen könnten vorerst noch nicht eröffnet werden. Die Schüler sollten entweder zu den Bauern aufs Feld gehen oder den Schutt wegräumen.“

Der „on a temporary basis“, also vorläufig, zum Landrat ernannte Druckereib­esitzer K.W. Engels bemühte sich nach Kräften, die Kreisverwa­ltung wieder arbeitsfäh­ig zu machen, die vor dem Einmarsch aus der Kreisstadt auf umliegende Höfe verteilt worden war. Royen: „Es fehlte zunächst an allem Nötigen, an Tischen, Stühlen, Schränken, vor allem an Schreibmas­chinen. Meine eigene Tätigkeit beschränkt­e sich zunächst auf Übersetzun­gsarbeiten. Verlangt wurden durch die Militärreg­ierung Berichte über Hausund

Grundbesit­z der NSDAP in den einzelnen Gemeinden und über die Konten sämtlicher Parteiform­ationen.“

Das Sagen hatten in allem die Engländer. Und noch 1947 notierte der Oberkreisd­irektor Feinendege­n unverblümt, dass das Verhältnis zu den Briten schlecht war. Betrachtet man freilich die Gesamtsitu­ation, wie sie sich nach dem Einmarsch der Alliierten darstellte, die in jeder Hinsicht katastroph­ale Lage, muss man allen Verantwort­ungsträger­n im Nachhinein Respekt zollen, dass es zu einem weitgehend geordneten Wiederbegi­nn des öffentlich­en Lebens kam.

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FOTO: KREISARCHI­V An den Schulen werden Nazi-Bilder abgehängt.

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