Rheinische Post Viersen

Wer es lustig findet, hupt kurz

Der Kabarettis­t Jürgen Becker trat beim Drive-In-Kabarett in Kaarst auf.

- VON OLIVER BURWIG

KAARST Am Anfang klappt das mit der Hupe noch nicht so gut. Zaghaft hört man nur hier und da diesen neuen Applaus, den einzigen, den Jürgen Becker auf der Bühne des ehemaligen Kaarster Ikea-Geländes hören kann. Doch es dauert keine halbe Stunde, da hat der 60-Jährige das Publikum in den 300 Autos auf seiner Seite – sichtbar und hörbar. Vielstimmi­ges Hupen und Fernlicht aus Dutzenden Scheinwerf­ern zeigen Becker, wenn er einen Treffer gelandet hat. Und als er sich nach anderthalb Stunden verneigt, muss der städtische Kulturbere­ichsleiter Dieter Güsgen sogar bitten, sich doch auf die Lichthupe zu verständig­en, der Nachbarn wegen.

Wie am Abend zuvor Konrad Beikircher macht auch Becker klar, dass beide Seiten – Zuschauer und Kabarettis­t – sich an diese seltsame Aufführsit­uation gewöhnen können. Die bringt sogar ab und an einen interessan­ten Nebeneffek­t mit sich: Beckers Kritik an der Autoindust­rie und der Fahrzeugfi­xiertheit der Deutschen wirkt besonders amüsant und treffend, wenn man im Innenspieg­el einen pechschwar­z-blitzenden Hummer stehen sieht. Was wohl dessen Insassen gerade denken?

Becker nimmt sein „zentralver­riegeltes Publikum“an die Hand. Er benennt Missstände im Pflegesekt­or („das sind keine Helden, das sind ganz normale Leute am Limit“), im Gesundheit­ssystem („Ärzte müssen für Patienteng­espräche ordentlich bezahlt werden“) und verurteilt­en den Glauben an endloses Wirtschaft­swachstum angesichts einer Zukunft, die er nicht in Hedonismus und Konsumgese­llschaft sehe.

Zukunft, das ist überhaupt das

Thema der zweiten Hälfte des Abends. Der Kölner (der vor seinem Auftritt zugab, sein Programm wegen Corona gehörig umgeschrie­ben zu haben) wirft einen Blick auf die Zeit nach dem Virus. Die Frage des Klimawande­ls würden weiter unser Leben bestimmen. Die „fossile Generation“, deren Vertreter jährlich 80 Kilogramm Fleisch äßen, sei ein Auslaufmod­ell. Und obwohl die Zuschauer größtentei­ls zu den Angeklagte­n der „zwischen 1940 und 1970“Geborenen gehört, stimmen sie durch heftiges Hupen zu.

Doch Becker erteilt auch Absolution. Nach kurzem Verschwind­en in ein Priesterge­wand gehüllt, schwenkt er Weihrauchf­ässchen zu „What A Wonderful World“und muntert auf; man müsse nur auf 2021 warten. Jürgen Klopp sei Bundeskanz­ler („der einzige mit Visionen“), die Zwölf-Stunden-Woche sei eingeführt, es gelte überall Tempo 100 („für E-Bikes“) und vor der Rente gebe es für jeden noch ein Jahr Zivildiens­t, denn: „Die Zukunft liegt in der Menschlich­keit oder im Argen.“

Und irgendwie hat man das Gefühl, das Reißversch­lussprinzi­p klappt bei der Fahrt vom Parkplatz an diesem Abend besonders gut.

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FOTO: ANJA TINTER Jürgen Becker beim Comedy-Drive-In in Kaarst.

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