Neue Abstandsregeln sorgen für Ärger
Mit Corona hat sie nichts zu tun, die neue Abstandsregel in der Straßenverkehrsordnung: Autofahrer müssen eineinhalb Meter Abstand halten, wenn sie einen Radfahrer überholen. Die Praxis zeigt, dass das nicht immer gut ankommt.
TÖNISVORST/KEMPEN Britta Rohr fährt gerne und viel Fahrrad. Ob mit dem Lastenrad, in dem ihre beiden kleinen Kinder Platz finden, oder mit dem Damenrad, die 41-Jährige ist fast immer auf zwei Rädern unterwegs. Manchmal aber ist die Freude an der umweltfreundlichen Fortbewegungsmethode getrübt. „Ich habe beim Lastenrad eine Warnweste hinten auf dem Kindersitz“, erzählt die St. Töniserin, „darauf steht der Hinweis: 1,50 m Abstand halten.“Bei einigen Autofahrern kommt diese Bitte aber gar nicht gut an, berichtet die St. Töniserin.
„Ich habe das Gefühl, dass ein solcher Hinweis manche Autofahrer erst recht aggressiv macht“, erzählt die zweifache Mutter und schildert eine Szene, die sie kürzlich in St. Tönis erlebt hat: „An der Kreuzung Krefelder Straße/Biwak bin ich schon zweimal von Autofahrern angehupt worden. Ein Autofahrer meinte, ich solle doch gefälligst den Fahrradweg benutzen, dabei ist dort nur ein Fußgängerweg, der zwar von Radfahrern genutzt werden darf, eine Pflicht dazu gibt es aber nicht.“
Ein anderer Autofahrer habe es sich nicht nehmen lassen, mit quietschenden Reifen zu überholen und laut zu schimpfen. Britta Rohr ist es wichtig, die Autofahrer auf die Abstandsregel aufmerksam zu machen, denn das Lastenrad ist breiter als ein normales Fahrrad und ihre Fracht, die beiden Kleinkinder, ist wertvoll. Unabhängig davon erwartet die Radfahrerin von den anderen Verkehrsteilnehmern nichts Ungebührliches.
Ganz im Gegenteil: Seit Ende April gilt eine Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO). Hieß es bisher, Kraftfahrzeuge müssen einen „ausreichenden Seitenabstand“einhalten, wenn sie Radfahrer überholen, steht in der neuen StVO explizit: „Kraftfahrzeuge müssen beim Überholen auf der Fahrbahn einen Mindestabstand zu Radfahrern, Fußgängern und E-Scootern halten. Außerorts sind das mindestens zwei Meter, innerorts 1,5 Meter.“
Wird ein Autofahrer von der Polizei dabei erwischt, den gesetzlich vorgeschriebenen Abstand beim Überholen eines Radfahrers nicht eingehalten zu haben, kann das mit einem Bußgeld von bis zu 100 Euro geahndet werden. Auch soll es ein neues Verkehrszeichen geben, das das Überholen von Zweirädern an engen Stellen gänzlich verbietet.
Britta Rohr begrüßt das neue Gesetz und ist froh, dass es jetzt eine eindeutige, in Metern festgelegte Abstandsregel gibt, denn Sicherheit ist ihr wichtig, und auf das Lastenrad möchte sie nicht verzichten. „Wir haben das Rad jetzt schon seit knapp drei Jahren, und es ersetzt wirklich ein Auto“, sagt die 41-Jährige. „Ob zum Einkaufen oder bei Ausflügen, wir wollen es nicht mehr missen.“
Übrigens sagt die neue StVO auch etwas zum Thema Radwege: „Ist der Radweg mit einem blauen Schild mit weißem Fahrrad gekennzeichnet, so besteht die Pflicht für Radfahrer, diesen zu benutzen. Es gibt aber auch andere Radwege, etwa eine durch rote Pflasterung gekennzeichnete Spur auf Fußgängerwegen
oder solche, die mit einem Schild mit schwarzem Fahrrad auf weißem Grund versehen sind. Hier besteht keine Benutzungspflicht.“
Auch in Kempen werden die Änderungen der Straßenverkehrsordnung vor allem von Radfahrern begrüßt.
Besonders die nun geltende Abstandsregelung war immer ein Thema bei der Kempener Bürgerinitiative „Fahrradstadt“, die sich für eine deutliche Verbesserung der Verkehrsbedingungen für Radfahrer im Stadtgebiet einsetzt. Da radelten Mitglieder auch schon mal bei den regelmäßigen Fahrraddemos mit so genannten Poolnudeln, wie man sie aus dem Schwimmbad kennt, als Abstandshalter am Gepäckträger, um den motorisierten Verkehrsteilnehmern den Mindestabstand zu signalisieren, den sie beim Vorbeifahren an einem Fahrrad einhalten sollen.
Für Gisela Ditzen und Rainer Clute-Simon von der Kempener Bürgerinitiative sowie Achim Rothe von der Initiative „Fairer Verkehr in St. Hubert“und deren Mitstreiter gibt es aber noch viel mehr Dinge, auf die Autofahrer nun stärker achten müssen.
Da wäre als Beispiel die Vorster Straße zu nennen. Dort sind auf der Fahrbahn jeweils Radspuren in beide Fahrtrichtungen abmarkiert. Doch häufig fahren Autos oder Lieferwagen viel zu dicht am Radler vorbei, wenn sie ihn passieren. Der Sicherheitsabstand werde hier nicht immer eingehalten, lautet eine auch von anderen Kempener Radlern häufig gehörte Kritik.
Ähnlich eng ist es auf innerstädtischen kombinierten Geh- und Radwegen. Da bleibt kaum Platz für den nötigen Abstand. Das hatte bereits zu Diskussionen beim neuen Radverkehrskonzept für die Stadt Kempen
im vergangenen Jahr geführt. Radfahrer fordern ein Umdenken.
Mehr Rücksichtnahme der motorisierten Verkehrsteilnehmer ist das eine, breitere innerstädtische Fahrradstraßen sind das andere. Letztere gehören zum Forderungskatalog der Fahrrad-Initiativen. Auch da bauen sie auf die neue Straßenverkehrsordnung. Sie bietet Kommunen nun die Möglichkeit, analog zu Tempo-30-Zonen auch vermehrt Fahrradzonen anzuordnen. Wie bei Fahrradstraßen gilt dann dort Tempo 30, Radfahrer haben Vorfahrt und dürfen nicht gefährdet oder behindert werden. Unklar ist indes noch, unter welchen Voraussetzungen Fahrradzonen eingeführt werden dürfen.