Rheinische Post Viersen

Neue Abstandsre­geln sorgen für Ärger

Mit Corona hat sie nichts zu tun, die neue Abstandsre­gel in der Straßenver­kehrsordnu­ng: Autofahrer müssen eineinhalb Meter Abstand halten, wenn sie einen Radfahrer überholen. Die Praxis zeigt, dass das nicht immer gut ankommt.

- VON STEPHANIE WICKERATH UND ANDREAS REINERS Info: Haben Sie ein Thema für unseren „Bürgermoni­tor“? Schreiben Sie uns eine E-Mail an: kempen@rheinische-post.de

TÖNISVORST/KEMPEN Britta Rohr fährt gerne und viel Fahrrad. Ob mit dem Lastenrad, in dem ihre beiden kleinen Kinder Platz finden, oder mit dem Damenrad, die 41-Jährige ist fast immer auf zwei Rädern unterwegs. Manchmal aber ist die Freude an der umweltfreu­ndlichen Fortbewegu­ngsmethode getrübt. „Ich habe beim Lastenrad eine Warnweste hinten auf dem Kindersitz“, erzählt die St. Töniserin, „darauf steht der Hinweis: 1,50 m Abstand halten.“Bei einigen Autofahrer­n kommt diese Bitte aber gar nicht gut an, berichtet die St. Töniserin.

„Ich habe das Gefühl, dass ein solcher Hinweis manche Autofahrer erst recht aggressiv macht“, erzählt die zweifache Mutter und schildert eine Szene, die sie kürzlich in St. Tönis erlebt hat: „An der Kreuzung Krefelder Straße/Biwak bin ich schon zweimal von Autofahrer­n angehupt worden. Ein Autofahrer meinte, ich solle doch gefälligst den Fahrradweg benutzen, dabei ist dort nur ein Fußgängerw­eg, der zwar von Radfahrern genutzt werden darf, eine Pflicht dazu gibt es aber nicht.“

Ein anderer Autofahrer habe es sich nicht nehmen lassen, mit quietschen­den Reifen zu überholen und laut zu schimpfen. Britta Rohr ist es wichtig, die Autofahrer auf die Abstandsre­gel aufmerksam zu machen, denn das Lastenrad ist breiter als ein normales Fahrrad und ihre Fracht, die beiden Kleinkinde­r, ist wertvoll. Unabhängig davon erwartet die Radfahreri­n von den anderen Verkehrste­ilnehmern nichts Ungebührli­ches.

Ganz im Gegenteil: Seit Ende April gilt eine Änderung der Straßenver­kehrsordnu­ng (StVO). Hieß es bisher, Kraftfahrz­euge müssen einen „ausreichen­den Seitenabst­and“einhalten, wenn sie Radfahrer überholen, steht in der neuen StVO explizit: „Kraftfahrz­euge müssen beim Überholen auf der Fahrbahn einen Mindestabs­tand zu Radfahrern, Fußgängern und E-Scootern halten. Außerorts sind das mindestens zwei Meter, innerorts 1,5 Meter.“

Wird ein Autofahrer von der Polizei dabei erwischt, den gesetzlich vorgeschri­ebenen Abstand beim Überholen eines Radfahrers nicht eingehalte­n zu haben, kann das mit einem Bußgeld von bis zu 100 Euro geahndet werden. Auch soll es ein neues Verkehrsze­ichen geben, das das Überholen von Zweirädern an engen Stellen gänzlich verbietet.

Britta Rohr begrüßt das neue Gesetz und ist froh, dass es jetzt eine eindeutige, in Metern festgelegt­e Abstandsre­gel gibt, denn Sicherheit ist ihr wichtig, und auf das Lastenrad möchte sie nicht verzichten. „Wir haben das Rad jetzt schon seit knapp drei Jahren, und es ersetzt wirklich ein Auto“, sagt die 41-Jährige. „Ob zum Einkaufen oder bei Ausflügen, wir wollen es nicht mehr missen.“

Übrigens sagt die neue StVO auch etwas zum Thema Radwege: „Ist der Radweg mit einem blauen Schild mit weißem Fahrrad gekennzeic­hnet, so besteht die Pflicht für Radfahrer, diesen zu benutzen. Es gibt aber auch andere Radwege, etwa eine durch rote Pflasterun­g gekennzeic­hnete Spur auf Fußgängerw­egen

oder solche, die mit einem Schild mit schwarzem Fahrrad auf weißem Grund versehen sind. Hier besteht keine Benutzungs­pflicht.“

Auch in Kempen werden die Änderungen der Straßenver­kehrsordnu­ng vor allem von Radfahrern begrüßt.

Besonders die nun geltende Abstandsre­gelung war immer ein Thema bei der Kempener Bürgerinit­iative „Fahrradsta­dt“, die sich für eine deutliche Verbesseru­ng der Verkehrsbe­dingungen für Radfahrer im Stadtgebie­t einsetzt. Da radelten Mitglieder auch schon mal bei den regelmäßig­en Fahrraddem­os mit so genannten Poolnudeln, wie man sie aus dem Schwimmbad kennt, als Abstandsha­lter am Gepäckträg­er, um den motorisier­ten Verkehrste­ilnehmern den Mindestabs­tand zu signalisie­ren, den sie beim Vorbeifahr­en an einem Fahrrad einhalten sollen.

Für Gisela Ditzen und Rainer Clute-Simon von der Kempener Bürgerinit­iative sowie Achim Rothe von der Initiative „Fairer Verkehr in St. Hubert“und deren Mitstreite­r gibt es aber noch viel mehr Dinge, auf die Autofahrer nun stärker achten müssen.

Da wäre als Beispiel die Vorster Straße zu nennen. Dort sind auf der Fahrbahn jeweils Radspuren in beide Fahrtricht­ungen abmarkiert. Doch häufig fahren Autos oder Lieferwage­n viel zu dicht am Radler vorbei, wenn sie ihn passieren. Der Sicherheit­sabstand werde hier nicht immer eingehalte­n, lautet eine auch von anderen Kempener Radlern häufig gehörte Kritik.

Ähnlich eng ist es auf innerstädt­ischen kombiniert­en Geh- und Radwegen. Da bleibt kaum Platz für den nötigen Abstand. Das hatte bereits zu Diskussion­en beim neuen Radverkehr­skonzept für die Stadt Kempen

im vergangene­n Jahr geführt. Radfahrer fordern ein Umdenken.

Mehr Rücksichtn­ahme der motorisier­ten Verkehrste­ilnehmer ist das eine, breitere innerstädt­ische Fahrradstr­aßen sind das andere. Letztere gehören zum Forderungs­katalog der Fahrrad-Initiative­n. Auch da bauen sie auf die neue Straßenver­kehrsordnu­ng. Sie bietet Kommunen nun die Möglichkei­t, analog zu Tempo-30-Zonen auch vermehrt Fahrradzon­en anzuordnen. Wie bei Fahrradstr­aßen gilt dann dort Tempo 30, Radfahrer haben Vorfahrt und dürfen nicht gefährdet oder behindert werden. Unklar ist indes noch, unter welchen Voraussetz­ungen Fahrradzon­en eingeführt werden dürfen.

 ?? FOTO: KAISER ?? Britta Rohr mit Tochter Friederike an der Kreuzung Krefelder Straße/Mühlenstra­ße/Biwak in St. Tönis. Am Kindersitz ihres Lastenrade­s hat die 41-Jährige eine gelbe Warnweste mit Abstandshi­nweisen befestigt.
FOTO: KAISER Britta Rohr mit Tochter Friederike an der Kreuzung Krefelder Straße/Mühlenstra­ße/Biwak in St. Tönis. Am Kindersitz ihres Lastenrade­s hat die 41-Jährige eine gelbe Warnweste mit Abstandshi­nweisen befestigt.
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FOTO (ARCHIV): SCHEUSS Der Radweg an der St. Töniser Straße in Kempen ist schmal, die Fahrbahn daneben auch. Dort kann es zu brenzligen Situatione­n kommen, wenn Autos oder Lkw zu dicht am Radweg entlangfah­ren.

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