Die Tipps der 1,0er-Abiturienten
Rund 100 Top-Absolventen hat der Haaner Schüler Tim Nießner nach ihren Tipps für ein Spitzen-Abitur gefragt – und daraus ein Buch geschrieben. Der Zwölftklässler hat seinen Notendurchschnitt selbst enorm verbessert.
HAAN Lehrer sind auch nur Menschen. Diese auf den ersten Blick eher harmlose Erkenntnis hat Tim Nießner die Augen geöffnet, wie er sagt. Dazu muss man wissen: Nießner ist Schüler, und die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern verläuft oft eher heikel bis holprig. „Viele Schüler betrachten Lehrer als Feinde, aber das ist ein großer Fehler“, sagt der 18-Jährige, der in Haan lebt, aber in Solingen die 12. Klasse der Friedrich-Albert-Lange-Schule besucht. Vor allem, wenn man zu den Besten gehören will, wie er selbst. Deshalb, und um anderen den Weg zu erleichtern, hat er landauf landab an die 100 1,0er-Abiturienten gefragt, wie sie das geschafft haben, und daraus ein Buch gemacht: „Die geheimen Tricks der 1,0er-Schüler“. Als da eben wäre: Ziehe den Lehrer auf deine Seite.
Tim Nießner war nicht immer ein guter Schüler. Seine beiden Drillings-Geschwister lieferten bessere Noten ab. In der 6. Klasse reichte es bei ihm gerade für einen Schnitt von 3,0. Das wurmte ihn, und es weckte seinen Ehrgeiz. Ein Jahr später hielt er ein Zeugnis mit 1,9er-Schnitt in den Händen, in der 10. Klasse lag er bei 1,3. „Danach wollte ich noch besser werden“, erzählt der Haaner. „Aber ich wusste nicht wie.“Seine Idee: Warum nicht die fragen, die es wissen müssen? Nießner schrieb 2200 Schulen an, am Ende willigten rund 100 Spitzen-Abiturienten ein, mit ihm zu sprechen – der Beste hatte einen Abi-Schnitt von 0,69. „Ich habe mich aber nicht auf die Hyperintelligenten fokussiert, denen alles zufliegt“, sagt Nießner, „sondern auf die, denen es mit Tricks und harter Arbeit gelungen ist.“
Wochenlang wertete der Schüler Interviews aus, und dabei kristallisierte sich heraus, was diese Überflieger gleichermaßen beherzigt hatten, welchen Regeln sie folgten. Nicht pädagogisch ausgewogenen, sondern rein subjektiven. Was zum anderen gleich die Struktur des Buches vorgab – von der Motivation über die Auswahl der Freunde und Sitznachbarn bis zur Lehrer-Schüler-Beziehung und dem effektivsten Lernen. Konsequent aus Schülersicht unter der Maßgabe betrachtet, welches Verhalten wohl das bestmögliche Ergebnis nach sich zieht.
Ganz vorne rangiert demnach die mündliche Mitarbeit. Zwar müssen mündliche und schriftliche Leistung jeweils zu 50 Prozent gewertet werden, sagt Nießner, die 1,0er-Schüler hätten aber festgestellt, dass das Verhältnis
eher bei 70 zu 30 zugunsten der mündlichen Mitarbeit liege. Zudem würde derjenige, der sich rege beteilige, rund 80 Prozent des Stoffes bereits im Unterricht verstehen – das erleichtere das Lernen. „Und wenn man sowieso anwesend sein muss“, sagt Nießner, „kann man sich in dieser Zeit auch anstrengen.“Zudem sei es wichtig, Fragen zu stellen. Viele Schüler würden davor zurückschrecken, weil sie denken, dass sie das schlecht aussehen lasse. Ein fataler Irrtum, sagt Nießner. Denn so bringe man den Lehrer dazu, ein spezifisches Problem zu erklären. „Eine Frage ist dazu der einzige Beitrag, der nicht falsch sein kann.“
Auch die wichtige Lehrer-Schüler-Beziehung profitiere auf diese
Weise. Laut Nießner empfehlen die 1,0er-Kandidaten, mit Lehrern das Gespräch auch jenseits des Schulstoffs zu suchen, aber nicht zu schleimen. Das gehe nach hinten los. Beim Lernen sei ein wichtiger Tipp, sagt Tim Nießner, zusätzlich Erklärvideos auf Youtube zu nutzen, etwa von MrWissen2Go oder simpleclub. Der 18-Jährige streift in seinem Buch auch die Psychologie des Lernens – es gehe darum, sein persönliches Warum zu finden. Die Motivation, sich anzustrengen. Nur so werde Energie freigesetzt. Nießner wollte erst besser sein als seine Geschwister, dann ein 1,0er-Abi hinlegen. „Weil ich mir beruflich alle Türen offen halten will“, sagt er.
Dass er neben der Schule noch ein
Buch geschrieben hat, ohne bei den Noten abzusacken, zeigt, dass seine Tipps für ihn zu funktionieren scheinen. Jeder könne das schaffen, sagt er. Aber zu viel Ehrgeiz schade. „Mir ist aufgefallen, dass viele permanent lernen, das artet in Stress aus. Die 1,0er-Abiturienten haben sich alle auch anderweitig stark engagiert, sportlich oder politisch.“Ausgleich sei wichtig, mindere den Druck.
Dieser ist gerade in Corona-Zeiten hoch. Aber auch dafür hat der 18-Jährige Tipps parat. Dem Lehrer eine E-Mail zu schreiben zum Beispiel und ihn zu fragen, wie man besser werden kann. Eine Stunde pro Tag zu nutzen, um sein Grundlagenwissen aufzufrischen. Mit den Eltern einen Vertrag einzugehen, der erreichte Lernziele belohnt. Und sich an einen halbwegs geregelten Tagesablauf zu halten. Für Nießner könnten die Tage aber ohnehin nicht lang genug sein. Er arbeitet daran, sein Buch in einen Videokurs zu verwandeln. Weil viele Jugendliche nicht gerne Bücher lesen, wie er sagt, aber Filmchen gucken. Bis zum Sommer will er fertig sein. Die Zahl der 1,0er-Abiturienten könnte also demnächst deutlich steigen.