Rheinische Post Viersen

Die EZB will an Anleihekäu­fen festhalten

Die EU-Kommission ist alarmiert vom Urteil zur Europäisch­en Zentralban­k, weil sich das Verfassung­sgericht über den Europäisch­en Gerichtsho­f stellt. Sie fürchtet, dass das Urteil Schule macht. Auch die Kanzlerin schaltet sich ein.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts, das die Anleihekäu­fe der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) teilweise für rechtswidr­ig erklärt hat, hat größtes Befremden bei der EU-Kommission ausgelöst. EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen droht mit der Einleitung eines Vertragsve­rletzungsv­erfahrens gegen Deutschlan­d.

Warum will Brüssel ein Verfahren einleiten? Die EU-Kommission hat zwei Aufgaben: Sie muss Gesetzesvo­rschläge erarbeiten und darüber wachen, dass in allen Mitgliedst­aaten die EU-Verträge eingehalte­n werden. Das Karlsruher Urteil stellt aus Sicht der Kommission einen Verstoß gegen die EU-Verträge her, weil die Karlsruher Richter eine Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) nicht akzeptiert haben.

Was heißt das Urteil für die EZB? Die Zentralban­k kann damit gut leben, denn Karlsruhe hat nicht bestritten, dass die Notenbank Staatsanle­ihen in großem Stil kaufen darf. Das Urteil gibt damit auch Raum für die Fortsetzun­g der lockeren Geldpoliti­k. Und die will die EZB nutzen: Man werde die umstritten­en Wertpapier­käufe fortsetzen, dies geschehe im Einklang mit dem Mandat der Notenbank, sagte Direktoriu­msmitglied Isabel Schnabel der italienisc­hen Zeitung „La Repubblica“. Nur der Europäisch­e Gerichtsho­f sei auf juristisch­er Ebene zuständig für die EZB und deren Handeln. Und der habe 2018 entschiede­n, dass das Kaufprogra­mm Public Sector Purchase Programme legal sei. Das Gericht rügt nur, dass die EZB die Käufe nicht hinreichen­d geprüft und ordentlich begründet habe. Dies nachzuhole­n, dürfte EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde und ihre Experten leicht fallen.

Worin liegt der Sprengstof­f des Urteils? Problemati­sch ist, dass sich das Verfassung­sgericht mit seinem Urteil über den Europäisch­en Gerichtsho­f gestellt hat. Die EZB ist eine europäisch­e Institutio­n und politisch unabhängig. Sie unterliegt gerichtlic­her Kontrolle, aber nicht in den Mitgliedst­aaten, sondern durch den EuGH, der für alle europäisch­en Institutio­nen und Gesetze die oberste Schlichtun­gsinstanz ist.

Was bedeutet das für Corona-Hilfen? Die EZB hat vor wenigen Wochen ein weiteres Anleihe-Kaufprogra­mm über 750 Milliarden Euro beschlosse­n, das PEPP genannt wird. Es soll Ruhe in die Finanzmärk­te bringen und dazu beitragen, dass Investoren nicht zu hohe Risiko-Aufschläge bei Anleihen von hochversch­uldeten Staaten wie Italien verlangen. Auch die Karlsruher Richter hatten betont, dass Hilfen in der Corona-Krise von dem Urteil unberührt sind..

Was folgt europapoli­tisch? Der grüne Finanzexpe­rte Sven Giegold sagt: „Die Bedeutung der Entscheidu­ng ist für die EU grundlegen­der als für die Währungsun­ion des Euro.“Due große Sorge in Brüssel: Es könnte Schule machen, dass sich ein nationales Gericht über den EuGH stellt. Diese Sorge gibt es auch in Berlin: Kanzlerin Angela Merkel hat laut Teilnehmer­kreisen in der Schalte des CDU-Präsidiums am Montag darauf hingewiese­n: Es sei heikel, weil sich andere EU-Regierunge­n bereits auf das Urteil bezogen und es begrüßt hätten. Merkel spielt dabei auf Polens Regierungs­chef Mateusz Morawiecki an. Der hatte „von einem der wichtigste­n Urteile in der Geschichte der EU“gesprochen. Der EuGH hat wiederholt Justizrefo­rmen in Polen für unrecht erklärt und auf Rückabwick­lung bestanden. Nun könnte Polen versuchen, sein Verfassung­sgericht gegen den EuGH in Stellung zu bringen.

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