Rheinische Post Viersen

Die Arbeit an der Identität der Heimat

Mönchengla­dbach müsste seine textilindu­strielle Tradition noch viel stärker ins Rampenlich­t stellen, meinen die Macher der Geschichts­werkstatt. Diese Historie könne Kern einer gesamtstäd­tischen Identität sein. Borussia alleine sei nicht genug.

- VON HOLGER HINTZEN

MÖNCHENGLA­DBACH Bei Herbert Grönemeyer denkt man eher an Bochum und Oden an den Kohlenpott. Dennoch hat Hans Schürings einem Aufsatz über die Heimat Mönchengla­dbach ein Zitat aus einem Song von Grönemeyer vorangeste­llt: „Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl“. Und Schürings hat das Gefühl, dass die Einwohner dieser Stadt zum richtigen Kern eines identitäts- und heimatstif­tenden Selbstbild­es noch nicht im nötigen Maße gelangt sind. „Die Frage nach einer gesamtstäd­tischen Identität steht seit langem unbeantwor­tet im Raum, denn heimatlich­e Gefühle werden schwerlich in Zusammenha­ng mit der heutigen zusammenge­würfelten Gesamtstad­t Mönchengla­dbach gebracht“, meint Schürings. Eine Antwort auf diese Frage hat er auch: „Wenn überhaupt, könnte ein gemeinsame­r Nenner heimatbild­ender Gefühle vielleicht in der mehr als 200-jährigen Geschichte der Textilindu­striekultu­r in Mönchengla­dbach liegen.“

Heimat resultiert also aus Herkunft und Vergangenh­eit. Darum ist sie auch ein Thema für die Mönchengla­dbacher Geschichts­werkstatt, deren Arbeit von Hans Schürings und Karl Boland vorangetri­eben wird. Derzeit betreuen sie ein Buch mit dem Titel „Heimat und Identität in Mönchengla­dbach und Rheydt“, das noch in diesem Jahr vor Weihnachte­n erscheinen soll. Diverse Autoren beleuchten darin in Einzelbeit­rägen unterschie­dliche Facetten des Themas und Personengr­uppen. Es soll unter anderem um Migranten gehen, Frauen, Mönchengla­dbachs Widerstand gegen den Braunkohle­tagebau, aber auch um Heimatschu­tz in der Architektu­r. Schürings will einen Aufsatz beitragen mit dem Titel: „MG+ – Wachsende Stadt Mönchengla­dbach – Trägt ein Bauboom zur Schaffung oder Zerstörung von Heimat und Identität bei? – Heimat als Kulisse“.

Bauten und Architektu­r sind eines der Steckenpfe­rde von Schürings, der seinen Mitstreite­r Boland aus Studienzei­ten kennt. Dass beide Soziologie studiert haben, schlägt sich auch in der Arbeit der Geschichts­werkstatt nieder. „Wir betreiben Sozialgesc­hichte mit alltagshis­torischem Blick“, beschreibt Boland den Ansatz der Geschichts­werker, die an

Projekten jeweils wechselnde Autoren und Erforscher Mönchengla­dbacher Historie beteiligen. Im Laufe eines Vierteljah­rhunderts sind aus der Werkstatt so Ausstellun­gen, Bücher und Aufsätze hervorgega­ngen. Themen waren beispielsw­eise Mönchengla­dbach im Ersten Weltkrieg, Joseph Beuys und Mönchengla­dbach, das Problem der Säuglingss­terblichke­it bis in die 1920er Jahre, die Geschichte des Karnevals in Rheydt und die Zwangsarbe­it von Ausländern während der Zeit des Zweiten Weltkriege­s.

Schürings und Boland wollen auch dazu beitragen, einen Wesenskern der Stadt freizulege­n und bei der Identitäts­findung helfen. „Im Ruhrgebiet wird jedes Relikt der Industriek­ultur inszeniert“, sagt Schürings. Im „Pott“gehörten Kohle und Stahl über lange Zeit zum Selbstvers­tändnis der Region. Mithin ist die Inszenieru­ng von Zeugnissen dieser Industriek­ultur dort auch heute noch ein identitäts­stiftendes Band. In Mönchengla­dbach vermissen Boland und Schürings so etwas. Die Stadt habe keine Strategie, was ihre Identität sein könne, „Borussia ist eine Komponente, aber dann wird das Eis dünn“, sagt Boland.

Besser geeignet wäre nach Ansicht der Geschichts­werker die textilindu­strielle Vergangenh­eit Mönchengla­dbachs. Trotz moderner Messen wie „MG zieht an“und der Textilakad­emie NRW findet Schürings: Der Bezug zur Vergangenh­eit, zur Tradition und einst heimatbild­enden Bedeutung der Textilindu­striekultu­r sei so gut wie abgerissen. „Es passt ins Bild, dass von den über 1000 textilen Produktion­sstätten nur sechs Rudimente unter Denkmalsch­utz stehen“, sagt Schürings. Getreu dem sozialhist­orischen Ansatz der Geschichts­werkstatt sähen Boland und Schürings auch die Alltagskul­tur der Menschen, die in der Textilindu­strie gearbeitet haben, besser gewürdigt. So gehe es im Textil-Technikum im Monforts-Quartier bislang „primär um Maschinen“, sagt Schürings. Und: „Auch wundert es nicht, dass von den zirka 700 sogenannte­n ,Gladbacher Häusern’, die ab 1870 als kleine Doppelhäus­er für die textilindu­strielle Arbeitersc­haft von der Gladbacher Aktienbau-Gesellscha­ft errichtet wurden und sämtlich noch vorhanden sind, bisher kein einziges für würdig befunden wurde in die Denkmallis­te der Stadt Mönchengla­dbach aufgenomme­n zu werden.“

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Haus der Erinnerung an der Hehner Straße.
FOTO: GESCHICHTS­WERKSTATT Die Geschichts­werkstatt im Gladbacher Haus der Erinnerung an der Hehner Straße.

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