So geht es in den Kitas weiter
Seit Mitte März sind die Kitas in NRW geschlossen. Am Donnerstag dürfen einige Vorschulkinder in die Einrichtungen zurückkehren, die Betreuung soll schrittweise ausgeweitet werden. Viele Fragen sind jedoch noch offen.
DÜSSELDORF Seit sieben Wochen sind die Kitas in NRW nun geschlossen – ab Donnerstag dürfen aber Vorschulkinder mit einem besonderen Förderbedarf und Kinder mit Behinderung zurück in ihre Einrichtungen. Zuletzt wurden landesweit knapp 15 Prozent der insgesamt knapp 711.000 Betreuungsplätze in Anspruch genommen, heißt es aus dem Familienministerium. Laut Ministerium befindet man sich derzeit in der zweiten Phase eines Vier-Stufen-Modells, an dessen Ende der vollständige Regelbetrieb steht. Vor dem Herbst wird das jedoch wohl nicht möglich sein.
Plan Auch Kindertagespflegen „mit ihrem familiennahen und überschaubaren Betreuungsangebot“, wie es in einem Info-Schreiben des Familienministeriums heißt, sind jetzt wieder für Zwei- und Dreijährige geöffnet. Zudem wird auch die von Eltern privat organisierte Betreuung unter Auflagen erlaubt. Ab dem 28. Mai können alle weiteren Vorschulkinder zurückkommen – und ab Juni sollen alle Kinder wenigstens an zwei Tagen vor den Sommerferien die Kita besuchen dürfen. Experten schätzen, dass so Ende Mai ungefähr die Hälfte der Kinder in NRW wieder in einer Kita betreut werden kann.
Sommerferien Viele Kitas schließen in den Sommerferien üblicherweise für mehrere Wochen – auch in diesem Jahr. „Eine Notbetreuung muss, über die regelhafte Betreuung hinaus, die in diesen Fällen auch im Regelbetrieb angeboten wird, in dieser Zeit nicht stattfinden“, schreibt das Familienministerium. Wie die Kitas dies im Einzelnen regeln, hängt wie sonst auch vom jeweiligen Träger beziehungsweise der Einrichtung ab.
Laut Martin Künstler, Fachgruppenleiter Kinder und Familie beim Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW, können die Urlaubsansprüche der Beschäftigten arbeitsrechtlich nicht ignoriert werden – auch wenn die Nöte der Eltern bekannt seien. „Glücklicherweise ist die Zahl der Kitas, die das ganze Jahr geöffnet haben, gestiegen“, sagt Künstler. In diesen werde auch im Sommer eine reduzierte Betreuung angeboten.
Gebühren In NRW ist die Festsetzung der Kita-Gebühren den Kommunen beziehungsweise Trägern überlassen. Auch Faktoren wie das Haushaltseinkommen und die Zahl der Geschwister, die die Kita bereits besuchen, spielen eine Rolle. Im April und Mai mussten Eltern, deren Kinder eine öffentlich geförderte Kita besuchen, keine Gebühren zahlen. Die Kosten teilen sich Land und Kommunen. Wie es mit den Gebühren im Juni, Juli und August weitergeht, steht noch nicht fest. Familienminister Joachim Stamp (FDP) zufolge hängt das davon ab, welche Betreuung im Juni wieder möglich ist.
Rund fünf Prozent der Kitas in NRW werden laut dem Geschäftsführer des Kitaverbands NRW, Klaus Bremen, von sozialunternehmerisch tätigen Trägern betrieben, darunter auch eine Reihe privatgewerblicher Kitas. Ihre Situation hält Bremen für schwierig: Sie finanzieren sich aus Beiträgen der Eltern, die nicht für eine geschlossene Kita zahlen wollen. „Diese Kitas hat der Minister leider nicht im Blick.“
Personal Viele Kitas müssen trotz der Ausweitung der Betreuung weiter auf Personal verzichten. Es gibt zwar kein Arbeitsverbot für Angehörige von Risikogruppen, also etwa Erzieherinnen über 60 Jahre, diese können aber nicht wie sonst eingeplant werden. Rund 20 bis 30 Prozent der Mitarbeiter gehören Schätzungen zufolge dazu. „Wir weichen schon jetzt teils deutlich von den eigentlich geltenden Betreuungsstandards ab“, sagt Martin Künstler. Es sei zu erwarten, dass sich dies noch verstärke, um zumindest der Aufsichtspflicht nachkommen zu können. „Da fällt uns jetzt natürlich auch der eklatante Fachkräftemangel, den es schon vorher gab, auf die Füße“, sagt Künstler.
Die Erzieherinnen, die nicht direkt in die Betreuung eingebunden seien, würden sich aber auf andere Art und Weise einbringen – etwa über Kontakte mit Kindern und Eltern per Videochat, Post oder Begegnungen auf Distanz. Klar ist aber, dass das nicht die benötigte Entlastung für Familien, insbesondere zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ist, die das System sonst bereit stellt“, sagt Künstler.
Eingewöhnung Für viele Kinder stünde eigentlich im August die Eingewöhnung an. Wie dies ablaufen soll, wenn die Kitas nicht im Regelbetrieb geöffnet sind, steht ebenfalls bislang nicht fest. Für Klaus Bremen vom Kitaverband NRW ist derzeit nicht absehbar, ob in allen Einrichtungen die nötigen Voraussetzungen dafür geschaffen werden können. „Eingewöhnung ist ja nur sinnvoll, wenn die Kinder auch tatsächlich betreut werden“, sagt er. „Gerade in der Phase der Eingewöhnung ist es wichtig, die Hygiene-Regeln einzuhalten.“Üblicherweise hielten sich die Eltern dazu aber in der Nähe des Kindes und oft auch in Kita-Räumen auf.
„Mit Fantasie und Engagement lassen sich da sicher Wege finden“, sagt Martin Künstler. Das hänge aber auch stark von den dann geltenden Rahmenbedingungen wie den Infektionszahlen und der Größe der jeweiligen Kita ab. Gleichwohl müsse alles getan werden, um der Perspektive der Kinder auf eine Betreuung gerecht zu werden. „Deshalb prüft der Paritätische unter anderem, ob und in welchem Umfang die Beschäftigung
von Bundesfreiwilligendienstlern zu einer Verbesserung der Personalsituation beitragen kann“, erklärt Künstler.
Kritik In einem offenen Brief von Eltern und Elternvertretern des Landeselternbeirats NRW kritisieren diese die Pläne der Landesregierung. Es gebe immer noch zu viele Familien, die die Betreuung ihrer Kinder bis nach den Sommerferien selbst organisieren müssten, heißt es darin – „vielen Dank für die schallende Ohrfeige“. Zudem fordern die Eltern mehr Kreativität bei der Organisation der Betreuung, zum Beispiel könnten leerstehende Turnhallen, Gemeindesäle oder Sportplätze sowie Parks, Wälder und Spielplätze genutzt werden, um das Angebot auszuweiten. Es sei absurd, dass unter anderem Friseure und Möbelhäuser in NRW wieder eröffnen dürften, Familien in der Krise aber im Stich gelassen würden.
Diesen Frust kennt auch Klaus Bremen als Geschäftsführer eines Kita-Trägers in Essen. Nach der Bekanntgabe der Pläne der Landesregierung hätten viele verärgerte Eltern angerufen. „Diese Familien haben bis zum Herbst keinerlei Betreuungsperspektive und sind wütend.“Eine befriedigende Antwort habe er ihnen nicht geben können – man sei von den Entscheidungen der Landesregierung abhängig.
Für Bremen ist die Corona-Situation ein Brennpunkt für bestehende strukturelle Probleme der Kita-Betreuung: So verschärfe etwa das Fehlen der älteren Mitarbeiter den Fachkräftemangel. Er sorgt sich aber auch um den Rechtsanspruch, dass jedes Kind Anspruch auf Förderung durch Kita- oder Tagespflege hat: „Damit wir Eltern besser unterstützen können, braucht es deutlich mehr Flexibilität in der Kita-Versorgung.“
Der Geschäftsführer des Städtetags NRW, Helmut Dedy, warnte vor zu großen Erwartungen, die die Landesregierung bei den Eltern allein schon mit dem Ziel geweckt habe, dass bis zur Sommerpause alle Kinder stunden- oder tageweise in die Kitas kommen könnten. „Wir müssen aufpassen, dass solche Erwartungen nicht enttäuscht werden.“Der Druck der Eltern werde größer. „Hier steht das Land im Wort: Das gemeinsame Konzept darf nicht voreilig über Bord geworfen werden“, sagte Dedy.