Rheinische Post Viersen

Im Gespräch bleiben

Die „Hygiene-Demos“sind Zeichen für eine Polarisier­ung der Gesellscha­ft in der Corona-Frage. Die Debatte wird härter, mancher Protest wirkt irrational. Umso wichtiger wird respektvol­le Konfrontat­ion.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Nun stecken wir also im Prävention­s-Paradox: Je besser die vorbeugend­en Maßnahmen gegen die Covid-19-Ausbreitun­g wirken, desto übertriebe­ner erscheinen sie vielen Leuten. Das sorgt für Unmut, inzwischen auch auf den Straßen. Menschen protestier­en gegen die Eingriffe in ihre individuel­len Freiheiten. Oder verschaffe­n ihren Sorgen um die Wirtschaft Gehör. Einige tragen aber auch Verschwöru­ngsideen in die Öffentlich­keit, wollen kundtun, dass es das Virus angeblich gar nicht gibt oder dass Weltversch­wörungen im Gang seien, und verstoßen demonstrat­iv gegen die Abstandsre­geln.

Aus dem anfänglich­en „Wir gegen das Virus“entwickelt sich jetzt also ein Gegeneinan­der von Masken-Willigen und Abstands-Verächtern. Die Gesellscha­ft polarisier­t sich – ein weiteres Mal nach Flüchtling­sund Klimadebat­te. Mit neuer Geschwindi­gkeit verhärten sich die Fronten, vergiftet sich der Dialog zwischen Unterstütz­ern der Corona-Maßnahmen und mehr oder weniger radikalen Kritikern. Dabei kann nur eines das Auseinande­rdriften auch in der Corona-Frage verhindern: miteinande­r im Gespräch zu bleiben.

„Wir müssen eine neue Tugend der respektvol­len Konfrontat­ion entwickeln“, sagt der Kommunikat­ionswissen­schaftler Bernhard Pörksen. Diese Tugend erweise sich etwa darin, dass Gesprächsp­artner sich nicht opportunis­tisch wegducken, wenn sie auf Gegensätze stoßen, aber auch nicht in die Abwertungs­spirale einsteigen, sondern nach einer Verständig­ungsbasis suchen. „Auch Menschen, die etwa in den sozialen Netzwerken fragwürdig­e Inhalte teilen, handeln häufig aus einem sehr ehrenwerte­n Motiv: Sie wollen andere warnen“, sagt Pörksen. Wenn man solche Motive erkenne, könne man darüber den Dialog fortsetzen. „Pauschale Abwertunge­n ruinieren ein Gespräch jedenfalls unter Garantie.“

Natürlich gebe es unter den Menschen, die gegen die Corona-Politik auf die Straße gehen, Rechtsradi­kale, Verschwöru­ngstheorie-Anhänger und Hysteriker. Doch sei es gefährlich, Skeptiker vorschnell zu diffamiere­n und nicht um jede Nuance in der Debatte zu ringen.

Der große Gesprächsf­orscher Friedemann Schulz von Thun, mit dem Pörksen gerade ein Buch über die Kunst des Miteinande­r-Redens geschriebe­n hat, unterschei­det von jeher Sachebene und Beziehungs­ebene in der Kommunikat­ion. Im

„Wir müssen eine neue Tugend der respektvol­len Konfrontat­ion entwickeln“Bernhard Pörksen Kommunikat­ionswissen­schaftler

Idealfall gelingt ein Streit auf der Sachebene, ohne dass die Kontrahent­en sich auf der Beziehungs­ebene gegenseiti­g herabwürdi­gen und zu Feinden machen. Doch wird das schwierige­r, wenn Menschen – wie jetzt in der Corona-Krise – sehr unterschie­dliche Interessen vertreten und das Gefühl haben, sie lebten in getrennten Welten.

Die aktuelle Gereizthei­t der Debatte hat wohl auch damit zu tun, dass das Ende der Pandemie nicht in Sicht ist und Viele existenzie­lle

Sorgen plagen. Unsicherhe­it und Angst ergeben den Nährboden für Verschwöru­ngstheorie­n und pauschale Attacken, sagt der Extremismu­sforscher Peter R. Neumann. Bisher seien die Ziele der Proteste zu uneinheitl­ich, als dass sich daraus eine politische Bewegung ergeben könnte. Auch gebe es keine erkennbare Führungsfi­gur.

Doch hätten die Proteste Potenzial zur Radikalisi­erung. „Wenn bekanntere Teilnehmer wie der Kochbuchau­tor Attila Hildmann von Krieg und Konfrontat­ion sprechen und in militärisc­hen Uniformen oder mit Schwertern posieren, ist das noch kein direkter Aufruf zur Gewalt, gibt dem Protest aber eine militante Note“, sagt Neumann.

Politikwis­senschaftl­er Eckhard Jesse warnt jedoch davor, den Protest nur von den radikalen Rändern her zu betrachten. „Menschen Verschwöru­ngsdenken vorzuwerfe­n – immer gleich mit dem Etikett „krude“dazu –, verstellt den Blick auf berechtigt­e Kritik, die auf den Demonstrat­ionen auch geäußert wird“, sagt Jesse. „Es geht um mehr Fairness

in der Wahrnehmun­g des Protests.“

In der Tat hat es in den Wochen der Pandemie oft widersprüc­hliche Einschätzu­ngen von Experten gegeben. Politiker haben Maßnahmen angekündig­t und zurückgezo­gen. Kennzahlen wurden hoch und runter gerechnet; das kann skeptisch machen. Neumann betont, dass Ambivalenz­en bei Großereign­issen wie einer Pandemie normal seien, Verschwöru­ngstheoret­ikern aber Anlass gäben, geheime Systeme zu konstruier­en. Er plädiert dafür, dass Leute im öffentlich­en Raum wie Politiker oder Journalist­en ihre Unsicherhe­it im Umgang mit der Pandemie offener zugeben. „Das fällt Menschen in der Öffentlich­keit schwer“, sagt Neumann, „aber das sollten sie sich trauen.“

Zugleich hat gerade der Beginn der Pandemie gezeigt, dass die Mehrheit der Deutschen gemäßigt denkt und sich in der Gefahr vernünftig verhält. Diese Mehrheit steht auch weiter hinter der Politik der Bundesregi­erung, wie aktuelle Umfragen zeigen. „Diese Gruppe ist mehr denn je gefordert, sich zu Wort zu melden und für eine Sprache der Abkühlung und der respektvol­len Konfrontat­ion zu werben“, sagt Pörksen.

Es geht also um mehr Geduld miteinande­r und um ein wohltuende­s Zögern im oft überschnel­len Schlagabta­usch. Denn dieses Zögern entsteht dann, wenn Menschen zumindest für möglich halten, dass der andere auch Recht haben könnte.

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FOTO: IMAGO IMAGES Bei einer Demo gegen die Corona-Bestimmung­en in Bayern.

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