Rheinische Post Viersen

„Ich versuche, nicht durchzudre­hen“

Der Kabarettis­t spricht darüber, wie die Krise seine Branche und ihn persönlich trifft.

- FOTO: O. HEINE JÖRG ISRINGHAUS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

MÜNCHEN Normalerwe­ise gehört Michael Mittermeie­r (54) zu den Spaßvögeln der Nation. Die Corona-Krise aber hat ihn nachdenkli­ch werden lassen. Im Gespräch überlegt er vor jeder Antwort einen Moment. Diese Zeit geht auch an ihm nicht spurlos vorüber, so viel ist klar.

Wie hoch ist das Gag-Potenzial von Corona?

MICHAEL MITTERMEIE­R Jedes aktuelle Thema hat Potenzial, egal welches. Die Frage ist eher, was man draus macht. Man sieht derzeit viel Schlechtes, aber auch Gutes. Das Potenzial wird vom dem Einen halt mit einem kleinen Löffelchen ausgeschöp­ft und vom Anderen mit dem Eimer. Natürlich gibt es viele Situatione­n, die sich für einen Gag anbieten. Ich habe mich bewusst erst einmal herausgeha­lten, weil ich mein Programm aufgezeich­net habe, quasi am Tag, bevor die Bühnen geschlosse­n wurden.

Haben Sie denn die Zeit des Lockdowns kreativ genutzt? MITTERMEIE­R Ich gebe zu, dass das nicht einfach ist. Mir geht es gut, wir stehen in der Familie eng zusammen, meine Frau, meine Tochter und ich. Das ist die gute Seite. Als Künstler ist es aber gerade schwer, sich hinzuhocke­n und anzufangen zu schreiben. Ich weiß ja nicht einmal, ob ich überhaupt auftreten darf. Seit Wochen hören wir, dass Künstler und Kultur wahnsinnig wichtig sind, vor kurzem auch von Frau Merkel. Ich bin keiner, der rumnölt, aber wenn sie in jedem Bereich eine Aussage treffen, sollten sie das auch für die Kultur tun. Wissen Sie, wie viele Künstler derzeit finanziell verrecken, wie viele Kleinveran­stalter, wie viele Mitarbeite­r, Tontechnik­er, Musiker? Mag sein, dass wir nicht die Wichtigste­n sind im Business. Aber auch die Herren Politiker kommen gerne und lachen mal. Von denen höre ich nichts. So lange wir keine Perspektiv­e haben, kann niemand von uns planen. Das geschieht normalerwe­ise ein bis zwei Jahre im Voraus, jetzt wird aber verlangt: Seid doch mal spontan, Freunde.

Also wird sich die Kulturland­schaft durch Corona verändern. MITTERMEIE­R Ich bin kein Prophet, der sagt, es wird so oder so. Es werden wohl viele wegfallen, wie in anderen Bereichen auch. Bei den Künstlern wird nur nicht berücksich­tigt, was da alles dranhängt – das ist ein Geflecht von Menschen. Natürlich wird es immer weitergehe­n. Alle, die sich retten können, werden weitermach­en. Du sagst ja nicht, jetzt bin ich kein Comedian mehr, jetzt streiche ich Schränke an. Aber für die, die überleben, wird es auch nicht einfach. Keiner weiß, kommen die Leute, kaufen sie Tickets, wie viele dürfen in einen Saal, kann man den Raum überhaupt bezahlen mit einem Drittel der Besucher?

Und wie befremdlic­h wird es beispielsw­eise sein, vor einem Saal mit Maskierten zu spielen. MITTERMEIE­R Wenn wir spielen dürfen, spiele ich, egal wo. Egal mit welcher Zuschauerz­ahl. Ich werde jede Veranstalt­ung machen, egal wieviele Leute da sitzen. Das ist mein Ding, mein Job, meine Berufung. Ich kann auch vor 100 Leuten spielen, und es gibt mir was.

Man muss also flexibel bleiben. MITTERMEIE­R Unbedingt. Ich kenne sehr viele Kollegen, die nicht wissen, ob sie weitermach­en können. Flexibel zu bleiben, ist also wichtig. Ich mache jetzt auch eine Autokino-Geschichte, aus dem einfachen Grund:

Ich will auf eine Bühne gehen. So kann ich zeigen, dass ich noch da bin.

Abseits des Berufs: Was sind Ihre Ängste?

MITTERMEIE­R Man lebt ein schizophre­nes Leben gerade, es zerreißt einen förmlich. Auf der einen Seite hat man mehr Zeit für die Familie, aber dann spürt man sofort: Irgendetwa­s stimmt nicht. Es tut einem weh zu sehen, was da passiert, wie viele Menschen leiden, dass Menschen sterben. Ich sehe die Bilder, versuche aber, nicht durchzudre­hen. Ich habe Tage, da kann ich nichts mit mir anfangen, da geht’s mir so wie allen da draußen. Da will ich auch nicht als Comedian funktionie­ren, da regiert einfach die taffe Realität. Mir gehen auch die sozialen Kontakte ab. Wir haben einmal im Garten auf drei Meter Entfernung meine Eltern gesehen. Das war‘s.

Was gibt Ihnen Hoffnung? MITTERMEIE­R Dass wir alle eine Schicksals­gemeinscha­ft sind, und dass die meisten in der Krise menschlich gut bleiben. Ich habe mitgekrieg­t, wie Leute sich gegenseiti­g helfen, wie sie andere stützen. Die sagen, wenn du Probleme hast, kommst du zu mir, ich bin dein Kissen, du wirst nicht runterfall­en. Das gibt mir Hoffnung.

Das ist das Zwischenme­nschliche. Wie managt die Politik die Krise? MITTERMEIE­R Grundsätzl­ich habe ich das Gefühl, dass wir das in Deutschlan­d gut hingekrieg­t haben. Natürlich gibt es Dinge, über die müssen wir diskutiere­n. Aber ich bin kein Grundnöler. Viele Politiker sind sehr besonnen mit dem Thema umgegangen. Gottseidan­k haben wir hier keine amerikanis­chen Verhältnis­se. Und dieses ganzes Grundgenöl­e von Verschwöru­ngstheoret­ikern ist nur traurig.

Sie sind also vorsichtig optimistis­ch, dass die Gesellscha­ft etwas lernt aus dieser Zeit. MITTERMEIE­R Ich hoffe. Wir werden diese Zeit nie vergessen, wir können die Uhr nicht zurückdreh­en. Wir werden auf Dinge anders schauen. Und ich werde vieles noch mehr genießen, Freunde zu treffen etwa.

Ist das auch Ihr größter Wunsch, wenn wir wieder dürfen, wie wir wollen?

MITTERMEIE­R Absolut. Freunde treffen ohne schlechtes Gewissen. Eine schöne Facetime-Session ersetzt ja nicht dein Soziallebe­n. Ich werde es auch genießen, in ein Lokal zu gehen, Essen zu bestellen und zu quatschen. Das lernt man dann umso mehr zu schätzen.

Bleibt zu wünschen, dass wir diese Krise in den Griff kriegen, irgendwie.

MITTERMEIE­R Ich hoffe aufs Gute. Wenn ich auf der Bühne stehe und Menschen zum Lachen bringe, dann merke ich: Lachen löst. Das müssen keine Witze über Corona sein. Lachen hilft immer. Humor müssen wir uns immer bewahren, nicht nur in Krisenzeit­en. Vielleicht lernen wir, dass Humor generell einen wichtigen Stellenwer­t hat. Darüber wird nur nie gesprochen.

Info Am Sonntag, 17. Mai, 20.15 Uhr, zeigt der Sender 3Sat Mittermeie­rs Programm „Lucky Punch – Die Todes-Wuchtl schlägt zurück“– eine Aufzeichnu­ng vom März in Berlin aus dem Quatsch Comedy Club.

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