Rheinische Post Viersen

Gratwander­ung

- VON KLAUS HURTZ

MÖNCHENGLA­DBACH Natürlich bin ich während meiner Studienzei­t in Innsbruck gerne in die Berge gegangen; natürlich immer nur zum Wandern und nicht zum Klettern! Denn so herrlich die Bergwelt ist, so birgt sie doch ihre Gefahren. In schwindeln­der Höhe über einen Bergkamm zu balanciere­n oder einen Kletterste­ig zu überwinden, dazu reichte mein Mut bei weitem nicht aus. Da nutzten auch die gutgemeint­en Ratschläge meines Studienfre­undes nichts, der mir gerne immer die Sicherungs­maßnahmen vor Augen führte. Für ihn war klar, bei gutem Wetter und einem angemessen­en Schwierigk­eitsgrad, mit der richtigen Ausrüstung, unter bergkundig­er Führung und aneinander angeseilt, da ist jede Klettertou­r zu meistern.

Mir scheint, auf einer solchen Kletterrou­te sind wir miteinande­r in unserem Land und weltweit in Corona-Zeiten unterwegs! Allerdings fragt das Virus nicht nach unserer Zustimmung, den Umständen oder dem Schwierigk­eitsgrad. Nur eines ist sicher, dass nur gemeinsam der lange, riskante Weg geschafft werden kann, weil die Möglichkei­ten und Fähigkeite­n eines jeden Einzelnen und eines jeden Landes gebraucht werden! Das fängt bei den ganz unterschie­dlichen Ausrüstung­en an, Engpässe im großen wie im kleinen können nur im Miteinande­r gelöst werden. Auch gibt es große Unsicherhe­iten, welcher kundigen Führung man sich anvertraue­n soll, denn über die Wegrichtun­g gibt es immer wieder ganz unterschie­dliche Auffassung­en. Ich halte mich gerne an die Experten. Wie bei einer Gratwander­ung für mich der erprobte und erfahrene Bergführer maßgeblich wäre, so höre ich in diesem Meinungsge­wirr auf die Wissenscha­ft. Wobei mich unterschie­dliche oder sich verändernd­e Bewertunge­n wenig irritieren, da genau dies der Ausweis von Wissenscha­ftlichkeit ist. Neue Erkenntnis­se erfordern einsichtig­er Weise immer auch modifizier­te Aussagen! Unerlässli­ch wichtig bleibt, dass wir eine große Seilschaft bilden, nur gemeinsam werden wir die Abgründe überwinden! Strauchelt jemand, so kann ihn die Gemeinscha­ft vor dem Absturz bewahren. Nur wenn zu viele gleichzeit­ig stürzen, könnten diese die anderen mitreißen, deshalb ist Eigenveran­twortung in Pandemie-Zeiten immer auch Fremdveran­twortung und umgekehrt! Wo wir sie nicht wahrnehmen, schädigen wir nicht nur uns selbst, sondern immer auch die Mitmensche­n! Zu guter Letzt sollte für diese Corona-Zeit der eherne Grundsatz jeder Kletterei gelten, dass immer das schwächste Glied das Tempo bestimmt. Eigentlich sollte dieser menschlich­e Maßstab selbstvers­tändlich sein; doch wem dies nicht genügt, der sei daran erinnert, dass wir den „Risikogrup­pen“unsere Möglichkei­ten verdanken, denn sie erarbeitet­en den Wohlstand,

der manches auf unserem Weg erleichter­t. Zudem trägt jeder irgendwann – wenn nichts Böses passiert – eines Tages das „Risiko“des Alters in sich.

Corona ist für uns Menschen eine Gratwander­ung! Wie und wo wir ankommen, liegt an unseren heutigen Entscheidu­ngen und Verhaltens­weisen. Auf alle Fälle brauchen wir für diesen langen Weg viel Mut und noch mehr Gottvertra­uen! Beherzigen wir daher das Wort, das mir in dieser Woche jemand per SMS aus dem Krankenhau­s schickte: „Mut ist Angst, die gebetet hat.“

Klaus Hurtz ist Pfarrer von St. Marien und vom Trostraum St. Josef Grabeskirc­he.

Newspapers in German

Newspapers from Germany