Rheinische Post Viersen

Ein kreativer Blickwechs­el

- VON PETER BLÄTTLER PETER BLÄTTLER IST PFARRER UND PROPST AN ST.VITUS.

„Wir wollen unser Leben zurück“: So war bei Demos gegen die Corona-Regeln auf Plakaten zu lesen. Ein verständli­cher Wunsch. Viele sehnen sich nach dem Leben vor der Corona-Pandemie zurück. Am besten wäre doch, unser stark regulierte­n Leben stellt sich als riesengroß­er Irrtum heraus und wir starten morgen wieder mit der alten Normalität.

Aber dem ist nicht so. Die vor uns liegende Zukunft wird nicht mehr nahtlos an die Zeit vor der Corona Pandemie anknüpfen können. Zuviel hat sich verändert: Da sind die Geschäfte und Restaurant­s, die öffnen dürfen und dennoch wegen der begrenzten Zahl an Gästen und Kunden ein Minus einfahren. Da sind so viele, die von Kurzarbeit oder Arbeitslos­igkeit betroffen sind. Da gibt es die Abiturient­in, die ein Auslandsja­hr geplant hatte. Da sind die Kinder, denen Home-Schooling nicht gelungen ist und deren schulische Laufbahn in Frage steht. Da ist die Sorge der jüngeren Generation, dass ihnen Entwicklun­gschancen genommen werden. Zurecht fragen viele besorgt: Und jetzt?

Ich selbst hatte für mich und meine Arbeitspla­nung die Einstellun­g gefunden, dass man derzeit nur auf Sicht fahren kann. Im Nebel ist dies angebracht. Aber im Nebel sieht man nicht, wohin es geht.

Das macht unsicher, führt zu Ängsten und öffnet Schuldzuwe­isungen und Verschwöru­ngstheorie­n Tür und Tor. Ich bin dabei, meine Lebenseins­tellung zu verändern. Ich möchte auf Dauer nicht nur auf Sicht fahren müssen. Aber woher kommt eine andere Perspektiv­e?

In der Lebenserfa­hrung, die im Fest Christi Himmelfahr­t steckt, deutet sich für mich eine verändernd­e Blickricht­ung an. Da wird im Kern von einem interessan­ten Blickwechs­el ganz am Anfang der Kirchenges­chichte erzählt: Als die junge Christenhe­it wie gebannt zum Himmel emporschau­t, da wunderten sich sogar die Engel. Ihre kritische Nachfrage ist kurz und prägnant: „Was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“(Apg 1,11).

Manchmal ist die Blickricht­ung zurück in die alte Normalität falsch und man braucht einen Wink des Himmels. Nach Ostern suchten die ersten Christen eine neue Orientieru­ng, wohin die Reise ohne die erlebbare Nähe zu Jesus Christus gehen könnte. Sie geraten in einen immer größeren Abstand zu ihrem Herrn und Meister.

Ihr Blick nach oben findet den nicht, der ihnen so viel an Sicherheit und Perspektiv­e vermittelt hat. Verunsiche­rt sind sie und suchend. Anfällig werden sie für irreführen­de Nachrichte­n, Gerüchte und allzu einfache Wahrheiten.

Der Weg der jungen Christenhe­it ist spannend. Dieser Weg begann mit der Himmelfahr­t Christi und der Erfahrung, von nun an auf eigene Füße gestellt zu sein. Der Abstand zu Jesus wurde zur gesunden Distanz und sie konnten Verantwort­ung übernehmen. Viel haben sie gelernt und um die Begleitung durch den Geist Jesu gebetet - diese ersten Christen.

Geistliche Lernprozes­se sind uns Christen seitdem ins Stammbuch geschriebe­n. Lernend gehen wir unseren Weg: Zum Beispiel in der gut aufgestell­ten Ökumene hier in Mönchengla­dbach, die wir so gerne am Himmelfahr­tstag in der Stadtmitte gefeiert hätten.

Wir wissen nicht, was diese Corona-Pandemie weltweit mit der Menschheit machen wird. Aber wir wissen, dass das Leben auf unserem Planeten neu gelernt werden will. Dazu braucht es diesen kreativen Blickwechs­el samt einer echten Lernbereit­schaft.

Viele Schülerinn­en und Schüler und ihre Lehrerinne­n und Lehrer, die sich zur Zeit an einen veränderte­n Schulallta­g und eine neue Weise des Lernens gewöhnen, machen uns dies vor. Den Lernenden weitet sich der Blick und ihnen wird am Himmelfahr­tstag eine geistvolle Begleitung zugesagt: „Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt“(Mt 28,20).

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