Die Leute gucken schon
Ablenkung ist der größte Feind im Heimbüro. Da hilft nur digitale Kontrolle.
Flach atmen. Kopf runter. Am Stift kauen. Nachdenklich gucken. Ich möchte aussehen, als arbeitete ich hart. Denn ich werde beobachtet, wie ich genau diesen Text schreibe. Ich sitze daheim vor meinem Rechner, seit 20 Jahren fast jeden Tag, seit zwei Monaten noch mehr. Aber ich bin nicht allein. Drei Frauen könnten jederzeit aufblicken, würden sie nicht gerade selbst an ihren Texten doktern. Wir haben uns an ein Experiment gewagt, das Schriftsteller in Großbritannien erfunden haben sollen: kollektives, digitales Schreiben. Per Internet gucken wir uns gegenseitig beim Arbeiten zu.
Simone sitzt in Hamburg, Berit in
Greifswald, Mareike in Salzburg, ich bin in Berlin. Wir haben Kinder, suchen Ruhe zum Schreiben und haben uns daher zu einer Bildschirmkonferenz verabredet. In drei dürren Sätzen haben wir erklärt, woran wir sitzen. Dann Parole Klappe halten, fertig werden.
Kollektive digitale Stillarbeit – das klingt seltsam, aber fühlt sich gut an. Wir kämpfen mit Texten, aber eben nicht allein. Wir spendieren uns reihum wohlwollende Kontrolle, um unsere ärgste Feindin in Schach zu halten: die Ablenkung.
Studenten kennen das Prinzip Stabi. Für die Abschlussarbeit verziehen sich viele in die Staatsbibliothek, weil die Trödelanten in der heimischen WG das soziale Egal praktizieren. In der Bibliothek sind weder Schwätzer noch Smartphones erwünscht, es herrscht produktive Stille. Böse Blicke schon für die, die laut mit Papier rascheln. Nach neunzig Minuten ist die experimentelle Schicht beendet. Alle haben richtig was geschafft und sind begeistert. Wir verabreden uns für die kommende Woche. Jetzt erstmal Mails checken, Kaffee holen und Unsinn bei Twitter lesen.