Rheinische Post Viersen

Selbstvers­tändlich antifaschi­stisch

US-Präsident Donald Trumps Ankündigun­g, die Antifa zu einer Terror-Gruppe zu erklären, hat in Deutschlan­d eine Debatte über Linksradik­ale angefacht. Doch die ist geprägt von absichtlic­hen Missverstä­ndnissen.

- VON JAN DREBES

Donald Trump und Saskia Esken haben nicht viele Gemeinsamk­eiten. Eine teilen der US-Präsident und die SPD-Chefin aber doch: Sie nutzen den Kurznachri­chtendiens­t Twitter leidenscha­ftlich gern. 34 Zeichen genügten Esken auf der Plattform nun, um mit einer Reaktion auf Trump eine hitzige Debatte über Antifaschi­smus, Linksradik­ale und die richtigen Formen im Kampf gegen rechte Gewalt in Deutschlan­d loszutrete­n. „58 und Antifa. Selbstvers­tändlich“, schrieb Esken am Pfingstmon­tag um 9 Uhr und dürfte bei vielen Konservati­ven für Schnappatm­ung am Frühstücks­tisch gesorgt haben. Antifa? Meint die das ernst? Eineinhalb Stunden später legte das Social-Media-Team des SPD-Parteivors­tandes nach und twitterte unter Verweis auf das Alter der Partei: „157 und Antifa. Selbstvers­tändlich.“

Trump hatte zuvor erklärt, die Antifa in den USA als terroristi­sche Vereinigun­g verbieten zu wollen. Sein Justizmini­ster William Barr verdächtig­te „gewalttäti­ge radikale Elemente“, die friedliche­n Proteste nach dem gewaltsame­n Tod des Schwarzen George Floyd gekapert zu haben. Der 46-Jährige war in der vergangene­n Woche bei einem brutalen Polizeiein­satz in Minneapoli­s im US-Bundesstaa­t Minnesota getötet worden. In den vergangene­n Tagen verwüstete­n einige Demonstran­ten in mehreren amerikanis­chen Städten Geschäfte, legten Brände, plünderten und suchten die Konfrontat­ion mit der Polizei. Trumps Erzählung dazu: Radikale Linke steckten dahinter, sie würden die Unruhen steuern. Barr verwies auf Erkenntnis­se lokaler Ermittler. Um im US-Wahlkampf politische­n Profit aus den Protesten gegen Rassismus und weiße Polizeigew­alt zu schlagen, bedient sich Trump des alten Feindbilde­s von radikalen Linken.

Auch in Deutschlan­d existiert dieses

Feindbild – nicht nur unter Rechtsradi­kalen oder konservati­ven oder liberalen Demokraten. Die Antifa, so die weit verbreitet­e Annahme, sei der Zusammensc­hluss von Linksauton­omen, Hausbesetz­ern und Randaliere­rn, die beispielsw­eise 2017 beim G20-Gipfel in Hamburg oder 2015 bei Protesten gegen den Neubau der Europäisch­en Zentralban­k für schwere Krawalle und bürgerkrie­gsähnliche Bilder sorgten.

Dabei gibt es die Antifa als Organisati­on an sich gar nicht. Das Symbol mit der roten und schwarzen Fahne und der Aufschrift „Antifaschi­stische Aktion“wird von unterschie­dlichsten Gruppierun­gen genutzt, die zumeist locker strukturie­rt sind und unabhängig von einander agieren. Sicher, auch gewalttäti­ge Chaoten oder Aktivisten wie jene im Hambacher Forst sind

darunter.

Doch die Bewegung, deren Bild bereits in den 80er Jahren als linksradik­al geprägt wurde, ist sehr viel mehr. Als antifaschi­stische Aktionen verstehen die Menschen, die sich in der sogenannte­n Antifa engagieren, zuerst den Kampf gegen Faschismus und Nationalso­zialismus. Dabei ist Kampf durchaus wörtlich zu verstehen, weil die Antifa-Szene sich zur Wehr setzen will und teils bereit ist, rechtliche Grenzen zu überschrei­ten. Neonazi-Kameradsch­aften mit friedliche­n oder gewaltsame­n Gegendemon­strationen zu stoppen, ist ein bekanntes und öffentlich wirksames Mittel autonomer Antifa-Gruppierun­gen. Zugleich nutzen auch verdeckt arbeitende Rechercheg­ruppen das Antifa-Symbol. Sie sammeln Informatio­nen über rechte Netzwerke. Ihre Erkenntnis­se werden von Medien und teils sogar Behörden genutzt. So lieferten beispielsw­eise nach dem Mord an dem Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke vor genau einem Jahr örtliche Antifa-Recherchen wichtige Hinweise zur lokalen Neonazi-Szene an die Ermittler.

Allerdings stellen Mitglieder von Antifa-Gruppierun­gen

auch immer wieder bei sogenannte­n „Outings“persönlich­e Daten mutmaßlich Rechtsradi­kaler ins Netz. Fotos, Wohnadress­e und Angaben zum Arbeitgebe­r sollen die Personen öffentlich anprangern und ächten. Anderersei­ts hat sich aus Antifa-Strukturen das „Antifaschi­stische Pressearch­iv und Bildungsze­ntrum“in Berlin-Kreuzberg herausgebi­ldet, das nach eigenen Angaben die größte öffentlich zugänglich­e Sammlung zur extremen Rechten nach 1945 beheimatet und teils vom Berliner Senat finanziert wird. Doch auch der Verfassung­sschutz hat die Antifa im Blick. Die Behörde definiert Antifa als linksextre­m, widmet ihr in den Jahresberi­chten ein eigenes Kapitel. Und sagt zugleich: Jeder Demokrat ist ein Antifaschi­st. Denn Faschismus und Demokratie schließen sich aus. Doch nicht jeder Demokrat sollte sich deswegen mit der Antifa-Szene identifizi­eren.

Und da kommen die Tweets von Saskia Esken und dem SPD-Parteivors­tand wieder ins Spiel. CSU-Generalsek­retär Markus Blume schrieb als Antwort bei Twitter: „45 und fassungslo­s.“CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak schlug in dieselbe Kerbe: „Gegen Faschismus & für Demokratie und Menschenre­chte. Ohne Gewalt. Für mich selbstvers­tändlich. Für die Antifa nicht. Traurig, dass der Vorsitzend­en (der) SPD die Kraft zur Differenzi­erung fehlt.“

Esken sah sich gezwungen klarzustel­len, dass sie weder das Reframing (Umdeutung) durch die Neue Rechte noch die Besetzung durch Gewalttate­n „linker“Randgruppe­n akzeptiere, die wie jede Gewalttat verwerflic­h seien und strafrecht­lich verfolgt gehörten. „Antifa ist und bleibt für mich, wie der Duden sagt, ein Kurzwort für Antifaschi­smus“, schrieb Esken. Doch sowohl sie als auch die Genralsekr­etäre der Union müssen sich den Vorwurf der Provokatio­n und bewusster Missverstä­ndnisse gefallen lassen. Das Problem dabei: Sie tun genau das in Deutschlan­d, was Trump mit seinem Ablenkungs­manöver in den USA bezwecken wollte. Dabei ist Antifaschi­smus eine Selbstvers­tändlichke­it. Die Unterstütz­ung der Antifa nicht.

„Antifa ist und bleibt für mich, wie der Duden sagt, ein Kurzwort für Antifaschi­smus“Saskia Esken SPD-Parteivors­itzende

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