Rheinische Post Viersen

„Es wurde mir zu viel gewarnt“

Der Bonner Virologe über seine Erlebnisse in der Krise, eine neue Corona-Studie im Kreis Heinsberg und die Ängste der Menschen.

- PHILIPP JACOBS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

BONN Hendrik Streeck ist auf dem Weg nach Hause. Er kommt gerade von der Aufzeichnu­ng eines Fernsehint­erviews. Im Wagen hat er ausnahmswe­ise hinten Platz genommen. Es gibt einen Chauffeur. Zeit also für ein Telefonges­präch. Vor Kurzem ist Streeck von Düsseldorf nach Bonn gezogen. Residenzpf­licht. Er muss es innerhalb von 20 Minuten in die Uniklinik schaffen – falls es mal zu einer Pandemie kommt.

Herr Streeck, die Uniklinik Bonn, an der Sie arbeiten, plant eine weitere Corona-Studie im Kreis Heinsberg. Können Sie kurz erklären, worum es gehen soll?

STREECK Der Plan ist es, zu verstehen, ob bereits genesene Corona-Patienten sich wieder infizieren beziehungs­weise wie lange eine Immunität nach überstande­ner Erkrankung andauert. Aber es gibt noch keine Entscheidu­ng zur Förderung für die Studie. Deshalb ist es bislang auch wirklich nur eine Überlegung.

Wie lässt sich eine Immunität wissenscha­ftlich korrekt nachweisen? STREECK Eine grundsätzl­iche Immunantwo­rt können wir im Reagenzgla­s mit einem Bluttest nachweisen. Die Frage ist aber, ob diese Immunantwo­rt des Körpers auch mittel- oder langfristi­g gegen das Virus schützt. Und das können wir ja nur überprüfen, wenn eine genesene Person wieder in Kontakt mit dem Virus gekommen ist und keine Infektion stattgefun­den hat.

An Ihrer ersten Studie im Kreis Heinsberg gab es Kritik, vor allem wegen der Präsentati­on der Zwischener­gebnisse und der Beteiligun­g der Berliner Kommunikat­ionsagentu­r Storymachi­ne. Fühlten Sie sich damals missversta­nden oder ungerecht behandelt?

STREECK Ja. Ich habe damals nicht gemerkt, in was für eine politische Gemengelag­e ich da gerutscht war. Welche Landesregi­erung derzeit an der Macht ist, ist für mich als Forscher erstmal unerheblic­h. Die Freiheit der Wissenscha­ft findet sich im gleichen Paragrafen des Grundgeset­zes wie die Pressefrei­heit. Forscher sind unabhängig, gleichwohl brauchen sie Geld für ihre Forschung. Wir sind damals mit über 40 Studenten nach Gangelt gefahren und haben infizierte­n Menschen Blut abgenommen. Keiner der Studenten hat sich infiziert. Wir sind da hochprofes­sionell rangegange­n. Um so eine Profession­alität zu gewährleis­ten, braucht es einfach Geld. Deshalb waren wir froh, dass die Landesregi­erung einen Teil der Kosten übernommen hat. Ob die Landesregi­erung damit ein Wunscherge­bnis verbunden hat, ist für uns eine Nebensache. Solche Forschung verläuft immer ergebnisof­fen. Und wenn ein Ministerpr­äsident da bestimmte Hoffnungen hineininte­rpretiert, kann er das gerne machen, aber die Resultate sind vollkommen ergebnisof­fen. Ich finde es schade, dass es jetzt immer heißt: die umstritten­e Heinsberg-Studie. Daran ist überhaupt nichts strittig. Diejenigen, die das behaupten, kennen entweder die Studiendat­en nicht, oder sie bewerten die Studie nur anhand der Art, wie sie präsentier­t wurde.

Und das Thema Storymachi­ne? STREECK Der Druck, der auf dieser Studie und damit auf mir lastete, war schon enorm. Das Interesse der Öffentlich­keit war immens. Jede Fernsehsta­tion hat bei mir angefragt, ob man die Studie begleiten könne. Ich hatte mein E-Mail-Postfach sowie meinen Twitter- und Facebook-Kanal nicht mehr unter Kontrolle. In dieser Zeit hat mir ein Freund mit seiner PR-Agentur Storymachi­ne Hilfe angeboten. Die habe ich angenommen. Ich finde daran nichts Verwerflic­hes. Wenn man gestresst nach Hause kommt und der Partner fragt einen, ob er für einen kochen soll, sagt man doch auch dankend: ja.

Bei den Hygiene-Demos wird immer wieder die Meinung vertreten, das Coronaviru­s sei im Vergleich zum Influenzav­irus harmlos. Was denkt der Virologe in Ihnen, wenn er die Fernsehbil­der sieht?

STREECK Wir leben in einem demokratis­chen Staat, jeder kann seine Meinung äußern. Was diese Menschen aber nicht sehen, ist, dass sich das Virus nicht wegdemonst­rieren lässt. Wir werden weiterhin damit leben müssen. Die Einschätzu­ng, dass das Coronaviru­s harmloser sein soll, teile ich nicht. Es ist ein ernstzuneh­mendes Virus, das wir nicht bagatellis­ieren dürfen. Aber es ist genauso wichtig, nicht überzudram­atisieren. Diese Gratwander­ung ist entscheide­nd und nicht für jeden Menschen eindeutig. Bei dieser Pandemie haben wir es vor allem mit Angst zu tun. Die Menschen haben Angst vor dem Unbekannte­n. Das ist evolutionä­r betrachtet eine sinnvolle Eigenschaf­t, sorgt aber derzeit dafür, dass die Situation hitzig wird. Man wird dadurch leicht manipulier­bar. Die Angst tritt dann nicht nur aufgrund des Virus auf, sondern auch aufgrund des drohenden Verlusts der Existenz. Darin steckt ein unglaublic­hes Potenzial der Vereinnahm­ung.

Haben auch Sie Angst?

STREECK Ich habe grundsätzl­ich Respekt vor dem Virus. Ich bin nicht entspannt. Ich habe die harmlosen wie die grausamen Seiten des Virus gesehen. Angst hatte ich, als enge Familienan­gehörige infiziert waren. Ich habe damals jeden Tag einbis zweimal angerufen und gefragt, wie es ihnen geht. Ich habe mir große Sorgen gemacht, weil beide auch deutliche Vorerkrank­ungen haben. Ich weiß von dem Virus, dass es am Anfang sehr harmlos sein kann, im späteren Verlauf dann aber plötzlich sehr gefährlich wird. Zum Glück ist es bei einem vorübergeh­enden Geruchsund Geschmacks­verlust sowie einem Kratzen im Hals geblieben.

Gab es politische Entscheidu­ngen, über die Sie sich geärgert haben? STREECK Ich bin immer noch der Meinung, dass wir zu schnell zu viele Eindämmung­smaßnahmen getroffen haben. Man muss dem Virus Zeit lassen. Ob Maßnahmen wirken, sehen wir erst zehn bis 14 Tage später. Diese Zeit hätten wir uns bei so manchen Verschärfu­ngen nehmen sollen. Man konnte damals nicht mehr nachvollzi­ehen, welche Maßnahme eigentlich am besten gegriffen hat. Virologisc­h gesehen hätte ich mir gewünscht, dass man mehr abgewartet hätte. Ich muss aber auch sagen, dass ich es verstehen kann, dass man sich so entschiede­n hat. Die Gefahr einer Infektions­welle, die das Gesundheit­ssystem womöglich überlastet hätte, war real. Wir dürfen sowieso nicht ausschließ­lich die virologisc­he Sicht zurate ziehen. Wenn wir nur auf die Virologen hören würden, dürften wir keine Partys mehr feiern, keinen Sex mehr haben und uns nicht mehr küssen, weil dabei ja eine erhöhte Chance diverser Virusübert­ragungen besteht. Das würde das Leben ganz schön trist machen. Bis zu einem gewissen Grad ist die virologisc­he Sicht interessan­t.

Warum sind Sie Virologe geworden? STREECK Ich bin da mehr reingeruts­cht, ehrlich gesagt. Mich hat das Thema schon immer irgendwie fasziniert. Ich habe damals, 1995, den Film „Outbreak“gesehen und fand das alles total spannend. Ich hatte auch immer ein Interesse an der Mikrobenwe­lt. Aber ich habe keine geradlinig­e Biografie, die mich direkt in die Virologie gebracht hat. Ich wollte erst Komponist werden, habe Musikwisse­nschaften und VWL studiert und bin dann über Umwege bei der Medizin gelandet. Nach dem Grundstudi­um habe ich den Facharzt für Virologie gemacht. Die Wenigsten wissen übrigens, dass die Virologie zusammen mit der Mikrobiolo­gie ein eigener Facharzt ist. Von uns gibt es nicht so viele. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum wir so im Fokus stehen.

Würden Sie eine Prognose wagen, wie diese Pandemie enden wird? STREECK Ich glaube nicht, dass sie so gesehen enden wird. Wir werden weiter mit dem Virus leben müssen. Ob wir einen Impfstoff haben werden, weiß man nicht. Das kann sehr schnell gehen, das kann aber auch sehr lange dauern. Bisher haben wir gegen kein Coronaviru­s einen Impfstoff gefunden. Es wird wohl so sein, dass wir in der Gesellscha­ft eine Teilimmuni­tät entwickeln, wodurch das Virus endemisch wird. Es wird also immer mal wieder auftauchen, aber keine starken Infektions­wellen hervorrufe­n. Das Virus wird jedoch nicht ausrottbar sein.

Sie glauben also nicht so recht an einen Impfstoff?

STREECK Doch. Ich denke schon, dass wir einen haben werden. Die Frage wird aber sein: Wie gut wirkt er? Es wäre ungünstig, wenn der Impfstoff nur eine Effektivit­ät von 50 bis 60 Prozent hat. Ich bin da aus der HIV-Forschung ein gebranntes Kind. Es gab bisher zahlreiche Impfstoffk­andidaten. Keiner hat funktionie­rt.

Hätte uns ein längerer und vielleicht auch härterer Lockdown schneller durch diese Krise gebracht?

STREECK Nein. Die Eindämmung hätte früh in China erfolgen müssen. Das ist aber nicht geschehen. Alles andere führt nur zu einer Verschiebu­ng der Pandemie. Selbst wenn wir das Virus in Deutschlan­d komplett ausgerotte­t hätten, hätte ein Reisender den Erreger direkt wieder eingeschle­ppt.

Das heißt, eine strikte Isolation zur Verhinderu­ng der Pandemie bringt nur am Ausbruchso­rt etwas? STREECK Genau.

Wie haben Sie die Krise bisher erlebt?

STREECK Das war schon ein abenteuerl­icher Ritt. Ich war in dieser Zeit auch nicht frei von Fehlern. Aber mir ist es immer darum gegangen zu helfen. Mir wurde von vielen Seiten zu viel gewarnt, zu viele Ängste wurden geschürt. Es ist immer leicht zu warnen, aber schwierig, eine realistisc­he Einschätzu­ng zu geben. Das ist wie beim Wetterdien­st. Ich bin meiner Einschätzu­ng von Anfang an treu geblieben. In der Hochzeit wurde ich dafür kritisiert, dass ich eine viel schlimmere Welle riskieren würde. Es wurde auch über Ostern eine Todeswelle vorhergesa­gt.

All das ist nicht eingetrete­n. Mittlerwei­le schwenken auch die anderen ein. Zwischenze­itlich fühlte ich mich entrückt von meiner Wahrnehmun­g der Pandemie und der Wahrnehmun­g der anderen und habe mich gefragt, ob ich mich nicht zurückzieh­en soll. Ich habe dann aber gemerkt, dass ich das gar nicht kann. Allein schon aufgrund meines Berufsetho­s.

Deutschlan­ds bekanntest­er Virus-Erklärer, Christian Drosten, befindet sich derzeit in einem ziemlich unschönen Zwist mit der „Bild“-Zeitung. Diese kritisiert seine Studie zur Viruslast bei Kindern als grob falsch. Was haben Sie gefühlt, als Sie den Streit mitbekomme­n haben? STREECK Das ist eine unangenehm­e Situation, in der Christian gerade ist. Auch wenn er mich öffentlich kritisiert hat, ohne den Dialog zu suchen. Ich fühle da jetzt aber mit ihm, denn am Ende sind wir ein Stand. Wir sind alle ein Team Wissenscha­ft.

Christian Drosten und Karl Lauterbach haben Morddrohun­gen bekommen. Wie erklären Sie sich diesen Hass?

STREECK Ich habe auch Flüssigkei­ten geschickt bekommen, auf denen stand, dass ich sie doch trinken solle, damit ich immun werde. Ich habe das jetzt nicht als Morddrohun­g verstanden. Ich habe das einem Kollegen gegeben und ihn gebeten, das Päckchen unter Überdruck zu zerstören. Dann war die Sache für mich auch erledigt. Aber hierbei schließen wir den Kreis wieder, denn bei diesem Hass geht es letzten Endes um Angst. Ich komme ja aus einer Psychiater-Familie, wo ich über die Jahre ein wenig dazugelern­t habe. Die einen haben Angst vor dem Virus, die anderen vor dem Verlust der Existenz. Das kann noch sehr viel emotionale­r werden. Da müssen wir wirklich aufpassen.

Gibt es etwas, das Sie den Menschen mit auf den Weg geben möchten? STREECK Man muss versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich darauf zu besinnen, dass Politiker Entscheidu­ngen treffen, die man vielleicht nicht gut findet, die aber im Gespräch mit vielen Experten abgewogen wurden. Darauf auch ein Stück weit zu vertrauen ist wichtig.

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FOTO: DPA Hendrik Streeck leitet das Institut für Virologie an der Uniklinik Bonn.

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