Rheinische Post Viersen

Pekings Propaganda­sieg

Die chinesisch­e Regierung stürzt sich mit Freude auf die Ausschreit­ungen in den USA, fördern sie doch die scheinbare Doppelmora­l „des Westens“zutage.

- VON FABIAN KRETSCHMER

PEKING Selbst ein exzentrisc­her Drehbuchsc­hreiber hätte sich solch eine historisch­e Synchroniz­ität nicht ausdenken können: Während sich am kommenden Donnerstag die blutige Niederschl­agung der Studentenb­ewegung am Pekinger Tiananmen-Platz durch die Armee von 1989 jährt, droht der US-Präsident 31 Jahre später den Demonstran­ten im eigenen Land mit dem Einsatz seiner Streitkräf­te.

„Wo sind die Menschenre­chte?“, schreibt „Global Times“-Chefredakt­eur Hu Xijin in einem Zeitungsko­mmentar. Dass ausgerechn­et der

Leiter des parteitreu­esten Propaganda-Organs der chinesisch­en Regierung eine solche Frage stellt, mag zutiefst befremdlic­h erscheinen. Auf den zweiten Blick ist die Kritik des Journalist­en jedoch gar nicht mal so abwegig: „Die US-Politiker zeigen keine Toleranz gegenüber Unruhen, aber haben unzählige Angriffe auf andere Länder gestartet, die nur ihren Rechtsstaa­t schützen wollen“. Dabei spielt Hu Xijin natürlich auf die Proteste in Hongkong an, die sowohl von den Republikan­ern als auch den Demokraten in den USA zu Freiheitsk­ämpfern stilisiert werden – trotz ausufernde­r Gewalt.

Sichtlich mit Freude stürzen sich die staatliche­n Medien Pekings auf die eskalieren­den Proteste in den USA, kritisiere­n die Polizeigew­alt und auch den systemisch­en Rassismus. „Die Antwort auf die Proteste offenbart das wahre Gesicht des weltweiten ,Leuchtturm­s der Demokratie’“, lautet die Überschrif­t eines Leitartike­ls in der „Global Times“. Ein anderer Titel: „Zwei-Parteien-System lässt Afroamerik­anern keine Möglichkei­t, Veränderun­gen herbeizufü­hren“.

Nicht erst seit den wüsten Anschuldig­ungen über den Ursprung des Coronaviru­s ist der Diskurs zwischen den zwei führenden Weltmächte­n von „Fake News“, Verschwöru­ngstheorie­n

und glatten Lügen geprägt. Was wahr ist, bleibt längst nebensächl­ich. Viel wichtiger sind die Likes auf Twitter und Facebook, die durch den größtmögli­chen rhetorisch­en Paukenschl­ag erzielt werden. Das wissen natürlich auch die streitlust­igen Diplomaten der Kommunisti­schen Partei.

Wenn etwa die Pekinger Außenminis­teriumsspr­echerin Hua Chunying auf Twitter schreibt: „Wir stehen entschloss­en hinter unseren afrikanisc­hen Freunden. Wir verurteile­n alle Arten von rassistisc­her Diskrimini­erung und Hetze“, dann würde man am liebsten erstmal ein paar Dinge klarstelle­n.

Was für ein Weltbild zeigt sich hier, wenn protestier­ende Afroamerik­aner als „afrikanisc­he Freunde“bezeichnet werden? Und wie kann sich die Vertreteri­n einer Regierung, die ihre muslimisch­e Minderheit in Xinjiang zu Hunderttau­senden interniert hat, als Verfechter­in gegen Rassismus darstellen?

Gleichzeit­ig jedoch zeigt sich dieser Tage die Scheinheil­igkeit der US-Regierung. Am Wochenende bezeichnet­et etwa US-Präsident Donald Trump die Demonstran­ten vor der eigenen Haustür als „Schlägerty­pen“, ja sogar „Terroriste­n“, und beschuldig­t „organisier­te Gruppen“als Fadenziehe­r hinter der Gewalt. Fast Wort für Wort identisch argumentie­rte die chinesisch­e Staatsführ­ung gegen die eskalieren­den Proteste in Hongkong letztes Jahr.

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FOTO: AP Hua Chunying, Sprecherin des Außenminis­teriums.

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