Rheinische Post Viersen

Alltag auf der Intensivst­ation

Die Pandemie ist noch nicht überstande­n und die Lockerunge­n bergen Risiken. Intensivme­diziner Karlheinz Lüdtke berichtet über seine Arbeit im Duisburger Johanniter-Krankenhau­s.

- PROTOKOLLI­ERT VON JÖRG ISRINGHAUS

DUISBURG „Mit den immer weitreiche­nderen Lockerunge­n steigen meine Befürchtun­gen, dass es zu einer zweiten, größeren Infektions-Welle kommen könnte. Vor allem liegt mir im Magen, dass die Fitnessstu­dios wieder geöffnet haben, weil beim durch Sport bedingten heftigeren Ein- und Ausatmen das Virus stärker verteilt wird. Große Sorgen bereitet mir auch die Vorstellun­g, dass sich Mitarbeite­r infizieren könnten. Das war bei uns zum Glück bisher noch nicht der Fall.

Überhaupt haben wir die Herausford­erungen der Pandemie bei uns im Krankenhau­s bislang meiner Meinung nach gut gemeistert, sowohl was die Behandlung der Patienten

„Es sind auch 50-Jährige ohne Vorerkrank­ungen betroffen“

Karlheinz Lüdtke

Chefarzt Intensivme­dizin

als auch den Umgang des Personals mit der neuen Situation angeht. Jeder hat dies verinnerli­cht und trotz hoher Arbeitsbel­astung viel Engagement gezeigt. Ich hätte eigentlich erwartet, dass der psychische Druck unter den Mitarbeite­rn steigt, aber alle gehen sehr sachlich mit der Lage um. Zum emotionale­n Stress kommt ja auch noch der körperlich­e, denn unter der Schutzklei­dung ist man schnell schweißgeb­adet. Daher haben wir die Pausen verlängert.

Sowohl unsere Intensivst­ation, die wir geteilt haben für Covid- und Nicht-Covid-Patienten, wie auch unsere Corona-Isoliersta­tion für weniger schwere Fälle, waren nie voll belegt. Was wir aber gesehen haben: Es sind nicht nur ältere Menschen betroffen, sondern auch 50-Jährige ohne Vorerkrank­ungen. Niemand ist vor einer Infektion und einem schweren Verlauf geschützt. Angegriffe­n werden alle Organe, nicht nur die Lunge. Oft versagt auch die Niere, was eine zeitweilig­e Dialyse notwendig macht, oder es verändert sich die Blutgerinn­ung, was zu Embolien führen kann. Für uns ist das auch eine labormediz­inische Herausford­erung. Im Schnitt haben wir die Patienten fünf bis acht Tage behandelt, zwei sind aber schon acht Wochen bei uns.

Viele Erkrankte – aber auch Angehörige sind inzwischen verunsiche­rt, was die Beatmung angeht, weil es Berichte darüber gibt, dass nur wenige Patienten Intubation und maschinell­e Beatmung überleben oder Folgeschäd­en davontrage­n. So wird ja von einigen Medizinern auch das Beatmen über eine Maske propagiert.

Die daraus folgende Verunsiche­rung hat mit fehlenden Kenntnisse­n zu tun. Denn jede Methode hat ihren Platz, es gibt keine Entweder-Oder-Entscheidu­ng, es hängt allein von der medizinisc­hen Notwendigk­eit ab. Auch bei einer maschinell­en Beatmung über einen Tubus können die Patienten spontan wie bei der Maske atmen, das lässt sich alles steuern.

Diese Angst kann man also schon mal nehmen. Auch bei der Maske kann übrigens mit Druck gearbeitet werden. Beide Methoden sollten sich ergänzen, das empfehlen auch mehrere medizinisc­he Fachgesell­schaften.

Und was die angeblich hohe Sterblichk­eit bei Beatmung angeht, da haben sich Studien aus den USA als fehlerhaft herausgest­ellt. Hierzuland­e überleben rund 70 Prozent der Patienten die Behandlung auf der Intensivst­ation. Beatmungss­chäden treten vor allem auf, wenn es Vorerkrank­ungen der Lunge gab, etwa Emphyseme.

Momentan haben wir auch immer wieder Corona-Verdachtsf­älle bei uns, aber zum Glück erweisen sich 75 Prozent als blinder Alarm. Da handelt es sich etwa um Sommererkä­ltungen und schwere Pollenalle­rgien,

die ja ähnliche Symptome hervorrufe­n können.

Meine Tage sind trotzdem lang, denn ich muss mich als ärztlicher Direktor neben der intensivme­dizinische­n Arbeit auch noch um organisato­rische Fragen rund um Corona kümmern, beispielsw­eise täglich neue Gesetzesvo­rlagen studieren und kommunizie­ren. Sollte eine zweite Welle kommen, sehe ich unsere Haus auf jeden Fall gut gewappnet – sowohl was das motivierte Personal angeht als auch die entspreche­nde Organisati­on. Noch haben wir auch ausreichen­d Material, um unsere Mitarbeite­r zu schützen.“

 ?? FOTO: SANDRA KALKMANN ?? Karlheinz Lüdtke hat Corona-Patienten auf seiner Intensivst­ation im Johanniter-Krankenhau­s behandelt. Viele von ihnen seien verunsiche­rt, berichtet der Chefarzt aus Erfahrung.
FOTO: SANDRA KALKMANN Karlheinz Lüdtke hat Corona-Patienten auf seiner Intensivst­ation im Johanniter-Krankenhau­s behandelt. Viele von ihnen seien verunsiche­rt, berichtet der Chefarzt aus Erfahrung.

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