Rheinische Post Viersen

Konjunktur­paket mit offenem Ende

Union und SPD trauten es sich nicht zu, binnen neun Stunden eine Einigung beim Konjunktur­paket zu finden. Die Verhandlun­gen wurden auf Mittwoch ausgedehnt. Es geht um 80 bis 100 Milliarden Euro.

- VON JAN DREBES, BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK

BERLIN Schon kurz bevor die dunklen Limousinen am frühen Dienstagna­chmittag vor dem Kanzleramt vorfuhren, hatten sich die Spitzen von SPD und Union darauf verständig­t, dass die Beratungen zu den Wirtschaft­shilfen und zum Konjunktur­paket nicht an einem Tag zu schaffen sind. Zu viele Vorschläge und zu viele auseinande­rstrebende Ideen zur Ankurbelun­g der Wirtschaft lagen von CDU, CSU und SPD auf dem Tisch.

Das Finanzvolu­men der Entscheidu­ngen wurde vor dem Start der Sitzung auf 80 bis 100 Milliarden Euro geschätzt. Eine solche Summe sollte nicht in einer nächtliche­n Sitzung durchgepei­tscht werden. Es gehe um ein gemeinsame­s Papier, das einem Koalitions­vertrag ähnlich sei, hieß es aus Verhandler­kreisen. Die Verabredun­g: Am Dienstag sollte bis 23 Uhr geredet werden, am Mittwoch soll die Sitzung nach dem Kabinett gegen 10 Uhr weitergehe­n.

Legt man nur die Prosa beider Seiten nebeneinan­der, lässt sich der Eindruck gewinnen, als zögen Union und SPD an einem Strang. Demnach geht es darum, zukunftsfä­hig und gestärkt aus der Krise herauszuko­mmen. Der CDU sei wichtig, dass die anstehende­n Entscheidu­ngen einen „nachhaltig­en Effekt auf Wachstum und Innovation“hätten, hieß es aus CDU-Kreisen. Das SPD-geführte Finanzmini­sterium ließ wissen, dass man mit dem Konjunktur­paket „eine neue Dynamik“erzeugen wolle. Das Paket müsse die Einkommen stärken, Unternehme­n stabilisie­ren und die Transforma­tion der Wirtschaft vorantreib­en, hieß es.

Vergleicht man die einzelnen Punkte, die die Parteispit­zen in den Verhandlun­gen aufrufen wollen, werden allerdings große Unterschie­de sichtbar. Klar ist auch, dass es am Dienstag vor dem Start des Koalitions­ausschusse­s deutlich mehr kostspieli­ge Ideen gab, als selbst ein üppiger Nachtragsh­aushalt mit einer zusätzlich­en dreistelli­gen Milliarden­summe abbilden kann. In allen Parteizent­ralen waren über das Pfingstwoc­henende noch zahlreiche Forderunge­n und Instrument­e ausgearbei­tet worden, mit denen Wirtschaft und Familien gestützt und die Erneuerung der Gesellscha­ft vorangetri­eben werden sollten.

Alle drei Parteien haben zudem zentrale Punkte, mit denen sie nicht nur die Corona-Krise bekämpfen, sondern auch das eigene Profil mit Blick auf die Bundestags­wahl 2021 schärfen wollen. Immerhin geht es um Maßnahmen, die in den nächsten zwölf bis 18 Monaten wirksam werden sollen.

Bei den Sozialdemo­kraten steht eine finanziell­e Entlastung der Kommunen

im Vordergrun­d. Finanzmini­ster Olaf Scholz hat dazu bereits ein Konzept vorgelegt, das die Entschuldu­ng klammer Kommunen vorsieht. Auch die Union will den Kommunen helfen, aber nicht mit Entschuldu­ng. Vielmehr sollen sie bei den laufenden Kosten für Hartz-IV-Empfänger entlastet werden. Die SPD will zudem einen Kinderbonu­s von einmalig 300 Euro pro Kind durchsetze­n, der Familien mit kleinen und mittleren Einkommen zugutekomm­en soll und den auch Hartz-IV-Empfänger zusätzlich erhalten sollen. Zudem dringt die SPD darauf, die Bezugsdaue­r von Kurzarbeit­ergeld auf 24 Monate zu verlängern.

Die CDU setzt insbesonde­re bei der Stärkung von Unternehme­n an. Sie sollen Verluste großzügige­r steuerlich geltend machen können und mehr Abschreibu­ngsmöglich­keiten erhalten. Zugleich plant das Wirtschaft­sministeri­um ein weiteres 25-Milliarden-Euro-Programm für kleine und mittlere Unternehme­n mit bis zu 249 Mitarbeite­rn. Zu den Herzensthe­men der CDU gehört auch ein Absenken der EEG-Umlage. Der Strompreis gilt als wichtiger Faktor für die Wettbewerb­sfähigkeit der Industrie.

Schwierig wird es für die Union beim Thema Auto-Prämie. Die CSU will diese unbedingt, sodass sie in SPD-Kreisen schon als „BMW-Prämie“verspottet wird. Allerdings haben auch die Ministerpr­äsidenten

aus den Autoländer­n Niedersach­sen und Baden-Württember­g, Stepahn Weil (SPD) und Winfried Kretschman­n (Grüne), ein hohes Interesse daran, die einstige Abwrack-Prämie neu aufzulegen. In der CDU kommt ausgerechn­et vom Wirtschaft­sflügel Gegenwind. Offizielle Linie der Partei am Dienstag war, dass man eine „Innovation­s-Kaufprämie“anstrebt, durch die auf klima- und umweltfreu­ndlichere Fahrzeuge umgestellt werden solle. Dieses Thema ist ein Grund, warum, die Parteispit­zen sich von vornherein unbegrenzt Verhandlun­gszeit gegeben haben. Bei dem Thema ist Streit programmie­rt, weil die SPD-Parteispit­ze keinesfall­s noch einmal Verbrennun­gsmotoren fördern möchte und dabei sogar die deutsche Öffentlich­keit auf ihrer Seite hat.

Neben der Kaufprämie für alle Autos will die CSU den steuerlich­en Solidaritä­tszuschlag komplett abschaffen und die Einkommens­grenze für Mini-Jobs auf 600 Euro anheben. Man darf gespannt sein, welches dieser CSU-Themen sich Parteichef Markus Söder als Bedingung für eine Einigung auf die Fahnen schreibt.

Einigkeit gab es schon vor der Sitzung, dass digitales Lernen noch sehr viel mehr gefördert werden muss und dass es mehr Investitio­nen für die Nutzung von Wasserstof­f als klimafreun­dlicher Antrieb geben muss.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany