Mutter Courage und ihre Tänzer
DÜSSELDORF Und ewig dreht sich die Drehbühne. Auch in der jüngsten Premiere des Düsseldorfer Schauspielhauses ist dieses Teil wieder technischer Dreh- und Angelpunkt. In Sebastian Baumgartens Inszenierung von Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“hält sie die Schauspieler gut zwei Stunden lang auf Trab. Die stellen sich zu Beginn artig mit ihrem wirklichen Namen vor und fügen an, welche Rolle sie spielen werden. Rings um einen Kreis aus brennenden Kerzen dreht sich der schwarze Wagen der Courage. Er trägt die Aufschrift „wszystko“, das ist Polnisch und heißt alles – in diesem Fall alles vom Verkaufsstand bis zum Miniaturbordell. „Zoom – Zoom“blinkt darüber abwechselnd in Rot und Grün. Rosa Enskat verkörpert die Courage anfangs mit viel Temperament, zum Schluss hin immer häufiger verhalten. Der Dreißigjährige Krieg hinterlässt seine Spuren, und am Ende steht nicht nur sie vor einem jener Trümmerhaufen, die von Zeit zu Zeit über die riesige Videowand im Hintergrund der Bühne flimmerten.
„Mutter Courage“handelt von einer Marketenderin, die mit ihren beiden Söhnen, dem mutigen Eilif und dem ehrlichen Schweizerkas, und mit der stummen Tochter Kattrin durch die Lande zieht. Sie will ihre Kinder durchbringen und zugleich am Krieg ihren Schnitt machen. Brecht hat die Erkenntnis, dass beides nicht miteinander vereinbar ist, den Zuschauern vorbehalten. Mutter Courage soll kein Mitleid auf sich ziehen.
Rosa Enskat spielt diese Rolle zwischen grotesken Ungetümen auf der Bühne in Outfits von heute herb genug, um Brechts Forderung zu erfüllen. Die Songs von Paul Dessau klingen hier ziemlich rockig. Als bester Schauspieler erweist sich kurioserweise eine Nebenfigur: Wolfgang Michalek als Koch. Seine wechselnden Grimassen zu erleben, die Rauchwolken, die er von Zeit zu Zeit ausstößt, die Gerissenheit, mit der auch er auf seinen Vorteil bedacht ist – das ist ein Vergnügen am Rande und trifft den Kern des Stücks.
Lea Ruckpaul gewinnt als stumme Kattrin zunehmend Konturen, Henning Flüsloh als Eilif und Jonas Friedrich Leonhardi als Schweizerkas taumeln ebenfalls durch den Krieg, ohne recht zu begreifen, warum ein Verhalten, das ihnen eben noch nützte, plötzlich zum Verderben wird. Während die Courage an ihrem Wagen feilscht, lockt man Eilif ins Heer. Rasch wird er für seine rücksichtslosen Beschlagnahmungen ausgezeichnet, dann aber für dieselbe Tat hingerichtet, als sie zufällig in die Zeit des Waffenstillstands fällt. Der unberechenbare Wechsel der Werte wird auch den Geschwistern zum Verhängnis.
Der Schluss der Inszenierung wird gespenstisch: Die Darsteller tanzen nun uniform in Bodys und auf Rollschuhen über die Bühne, die Kerzen in der Mitte sind erloschen, Menschen hängen an Seilen von der Decke, es wird immer lauter, turbulenter, aber auch nachdenklich: „Der Mensch ist ein Seil über dem Abgrund.“Zu diesem Zeitpunkt hatte man die Botschaft verstanden und sich ein wenig Kürzung gewünscht.
Was „Mutter Courage“für die Gegenwart bedeutet, überlässt der Regisseur den Zuschauern. Ja, wir beobachten, dass jeder nur noch seine eigenen, oft rein materiellen Ziele verfolgt, dass sich Menschen und sogar Nationen oft nicht mehr von einer moralischen Grundhaltung leiten lassen und dass Corona diesen Trend verstärkt. Zum Glück gibt es auch Gegenbewegungen wie die Sorge um den Klimawandel. Solche Hoffnungsschimmer waren Brecht fremd, als er 1939 mutig seine Courage erfand.
Info Nächste Aufführungen im Düsseldorfer Schauspielhaus am 10., 11., 31.10.