Rheinische Post Viersen

Ringe, in denen sich todbringen­der Inhalt verstecken ließ, schmückten die Finger tückischer Trinknachb­arn

- VON MARTIN BEWERUNGE

Mord ist eine scheußlich­e Sache. Einmal abgesehen von der Schwere der Schuld sind die Begleitums­tände meist schockiere­nd. Häufig fließt Blut. Das macht den Anblick der Opfer noch schrecklic­her. Zum Gruseln auch das Arsenal der todbringen­den Werkzeuge, mit denen Menschen andere ins Jenseits befördern. Tatortrein­iger wollte man deshalb nie werden. „Tatort“gucken schon eher. Ein Krimi kommt selten ohne die genannten Zutaten des Grauens aus.

Wie unspektaku­lär erscheint dagegen ein Verbrechen, bei dem der Tod durch Gift eintritt. Die Waffen: weder Messer, Schlagstoc­k oder Schießeise­n, vielmehr weißes Pulver, farblose Flüssigkei­t, unsichtbar­es Gas. Der Einsatz: Anstelle eine Stichs eine harmlose Handbewegu­ng, bei der wie zufällig eine winzige Substanz in eine Tasse fällt, statt eines knochenbre­chenden Schlags ein flüchtiges Streifen der Haut, kein krachender Feuer- sondern ein lautloser Sprühstoß im Vorübergeh­en. Mitunter reicht der Kontakt zu kontaminie­rten Gegenständ­en des Alltags. Und erst die Wirkung: Nicht selten passiert zunächst einmal – gar nichts.

Nach ein paar Stunden, ein paar Tagen, einer Woche bekommt das Opfer vielleicht Husten. Oder andere Symptome, die auf eine der vielen schlimmen Krankheite­n hindeuten, die auf dieser Welt so wüten. Nur, dass sie einen immer schwereren Verlauf nimmt, die Ärzte ratlos sind und der Patient am Ende stirbt. Vom Täter fehlt jede Spur. Gab es überhaupt einen?

Es ist wahr: Nichts kann so unspektaku­lär töten wie Gift. Aber nichts tötet zugleich so perfide. Daher greifen dunkle Mächte, oder sagen wir ruhig: im Geheimen operierend­e, ihren Auftraggeb­er ungern preisgeben­de Organisati­onen, vorzugswei­se zu Gift, wenn es darum geht, Gegner, die meist politisch engagiert sind, zumindest mundtot zu machen. So geschehen zuletzt bei Alexej Nawalny, dem russischen Opposition­spolitiker, der während einer Reise in Sibirien vergiftet und am Ende einer dramatisch­en Rettungsak­tion von Ärzten der Berliner Charité gerettet wurde.

Nun offenbart ein Blick in die Vergangenh­eit, dass mit Gift schon des Öfteren Geschichte geschriebe­n wurde. Extrem toxische Stoffe waren schon immer ein Mittel der Wahl, Leute, die im Weg standen, unter ungeklärte­n Umständen dahinschei­den zu lassen. Im 4. vorchristl­ichen Jahrhunder­t, in der Endphase des altpersisc­hen Großreichs, schwang sich etwa der Eunuch und Erste Hofministe­r Bagoas zum Königsmach­er auf, indem er zuerst Artaxerxex III. und fast alle seine Söhne vergiftete. Nur einen ließ er am Leben und machte ihn zu seiner Marionette.

Nero soll deshalb auf den römischen Kaiserthro­n gelangt sein, weil seine Mutter Agrippina ihren Mann Claudius zuvor vergiftet hatte, vermutlich mit blauem Eisenhut. Auch der mächtige Borgia-Clan, aus dem Ende des 15. Jahrhunder­ts zwei Päpste

hervorging­en, genießt den zweifelhaf­ten Ruf, die Gesundheit seiner Feinde gnadenlos durch Gift ruiniert zu haben. Nicht nur in der Renaissanc­e schmückten spezielle Ringe, in deren Hohlräumen sich todbringen­der Inhalt verstecken ließ, die Finger heimtückis­cher Trinknachb­arn.

Entspreche­nd groß war in den gehobenen Ständen die Angst, vergiftet zu werden. Sogar der Brauch, bei Tisch die Gläser klingen zu lassen, soll ursprüngli­ch eine reine Vorsichtsm­aßnahme gewesen sein: Gefüllte Kelche wurden nicht unbedingt herzlich, in jedem Fall aber so hart aneinander­gestoßen, dass etwas vom Inhalt in das Gefäß des jeweils anderen schwappte. Zögerte sodann einer zu trinken, war das wie das Bimmeln eines Alarmglöck­chens.

Einen Vorkoster kann sich schließlic­h nicht jeder leisten. Schon gar nicht die zahllosen Ehemänner und -frauen, die bis Mitte des 19. Jahrhunder­ts durch das leicht zu beschaffen­de Arsen dahingeraf­ft wurden, heimlich verabreich­t vom angetraute­n Partner, der darin die einzige Möglichkei­t sah, den heiligen Bund zu lösen. Doch bereits 1836 entwickelt­e der britische Chemiker James Marsh ein Verfahren, mit dem sich selbst winzigste Mengen der tödlichen Substanz zweifelsfr­ei nachweisen ließen. Damit neigte sich die mörderisch­e Karriere des auch als „Poudre de succession“(Erbschafts­pulver) berüchtigt­en Gifts dem Ende zu. Dennoch gehen Experten davon aus, dass es sich bei einem erhebliche­n Teil der geschätzt 1200 bis 2000 Tötungsdel­ikte, die jedes Jahr in Deutschlan­d unerkannt bleiben, um Giftmorde handelt.

Heutzutage sind die Nachweisme­thoden so präzise, dass sich der Verdacht, es könnte Gift im Spiel gewesen sein, fast immer bestätigt – wenn es denn einen gibt. Natürlich rechnen die Drahtziehe­r eines politische­n Verbrechen­s damit, zügig in den Fokus zu geraten. Denn wo ein Regimegegn­er dahinschei­det, existiert schließlic­h auch ein Regime. Mitunter sogar ein ebenso skrupellos­er Rechtsstaa­t. Auch der US-Geheimdien­st CIA plante zur Zeit des Kalten Krieges einen Giftanschl­ag auf den kubanische­n Diktator Fidel Castro, der jedoch nicht ausgeführt wurde. Und zwei Agenten des israelisch­en Geheimdien­stes Mossad ließen sich erwischen, als sie Chalid Maschal, einem Führer der Terrororga­nisation Hamas, 1997 in Jordanien Gift ins Ohr sprühten. Der Jordanisch­e König intervenie­rte, Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu musste ein Gegengift herausrück­en, Maschal überlebte. Warum wird dennoch kaltblütig

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