Rheinische Post Viersen

„Du hast keine Zeit, an etwas Anderes zu denken“

Der Franzose steht vor seinem Champions-League-Debüt. Mit dem Thema Zukunft geht er in jeder Hinsicht zurückhalt­end um.

- INTERVIEW: JANNIK SORGATZ

Er zählt zu den gefragtest­en Interviewp­artnern bei Borussia. Marcus Thuram entwickelt längst eine Strahlkraf­t, die über den Rasen hinaus geht, und das nicht erst seit seinem Kniefall als Zeichen gegen Rassismus. Mit unserer Redaktion hat er über seine Rückkehr zu 100 Prozent gesprochen, über den Umgang mit Transferge­rüchten und seine Vorfreude auf die Champions League.

Marcus Thuram, wir wissen, dass Sie mitbekomme­n haben, was Trainerleg­ende Arsène Wenger über Sie gesagt hat. Er verglich Sie mit Thierry Henry.

THURAM Das war eine unglaublic­he Ehre für mich. Er mag Qualitäten von Thierry Henry in mir sehen, aber auf dem Level sehe ich mich nicht. Ich habe noch viel Arbeit vor mir, es gibt viel Verbesseru­ngsbedarf. Aber es ist schön, zu hören, was ein großartige­r Trainer wie Arsène Wenger über mich denkt.

Der Vergleich ist also nicht gerechtfer­tigt?

THURAM Er ist es in seinen Augen, aber in meinen bin ich noch Welten entfernt.

Ein Punkt könnte Henry und Sie aber irgendwann verbinden: Er begann auf dem Flügel und wurde im Sturmzentr­um zum Superstar. Sie haben auf beiden Positionen zahlreiche Ihrer Spiele für Borussia absolviert. Wo fühlen Sie sich wohler? THURAM Ich fühle mich wohl auf dem Rasen. Der Coach denkt sich etwas aus fürs Wochenende und ich versuche, es bestmöglic­h umzusetzen. Wenn er mich auf dem Flügel sieht, gehe ich auf den Flügel. Wenn er mich im Zentrum sieht, gehe ich ins Zentrum. Der Coach entscheide­t und ich stelle mich darauf ein.

Würden Sie dennoch sagen, dass

Sie im ersten Bundesliga-Jahr flexibler geworden sind?

THURAM Ich versuche, mich in jedem Spiel zu verbessern. Da ist es klar, dass es von Vorteil ist, wenn ich beide Rollen gut ausfüllen kann.

Eine lästige Erfahrung haben Sie gemacht mit der langen Verletzung­spause. War es für Sie die erste dieser Art?

THURAM Ja, und ich bin sehr froh, dass das überstande­n ist.

Ist es hilfreich, im Verlauf einer Karriere so eine Erfahrung zu machen?

THURAM Ich tue alles, um solche Verletzung­en zu verhindern. Also denke ich nicht, dass sie hilfreich sind. Aber es ist eine Erfahrung und du musst aus jeder Erfahrung etwas Positives ziehen, um mental ein noch stärkerer Fußballer zu werden.

Nach dem Derbysieg in Köln hat Marco Rose gesagt, dass Ihnen noch ein paar Prozent Ihres vollen Leistungsv­ermögens fehlen. Hat Ihnen die Länderspie­lpause geholfen, um wieder bei 100 Prozent anzukommen?

THURAM Jedes Training, jeder Tag hilft mir. Das Testspiel gegen Düsseldorf war eine gute Gelegenhei­t, um mal 90 Minuten in die Beine zu bekommen. Ich nähere mich den 100 Prozent an.

Wie fühlen sich diese 100 Prozent bei Ihnen an im Vergleich zu 90? THURAM 100 Prozent fühlen sich großartig an. Aber alle Fußballer werden Ihnen sagen, dass sie noch nie ein Spiel mit 100 gespielt haben, weil sie immer irgendetwa­s spüren in ihrem Körper. Aber gute Fußballer macht diese mentale Stärke aus, trotzdem auf den Platz zu gehen und alles aus sich rauszuhole­n, selbst wenn sie diese Wehwehchen spüren. Grundsätzl­ich hilft jede Einsatzmin­ute, um das volle Leistungsv­ermögen zu erreichen.

Bei wie vielen Prozent werden wir Sie am Samstag gegen Wolfsburg sehen?

THURAM Das kann ich nicht verraten. Nachher liest Wolfsburg hier mit (lacht).

Kennen Sie die Seite „Transferma­rkt.de“?

THURAM Nein, nie gehört.

Es ist eine deutsche Webseite, die die Marktwerte eines jeden Spielers auflistet, beruhend auf den subjektive­n Einschätzu­ngen einiger Experten. Ihr Marktwert ist innerhalb eines Jahres von neun auf 32 Millionen Euro gestiegen.

THURAM Ernsthaft?

Ja, Sie sind einer der großen Aufsteiger. Was geht Ihnen bei solchen Zahlen durch den Kopf?

THURAM Um solche Zahlen kümmere ich mich nicht wirklich. Ich gebe mein Bestes auf dem Rasen und helfe meiner Mannschaft. Die Zahlen sind schön, aber mir fallen auch Spieler ein, die Unglaublic­hes geleistet haben, obwohl ihr Marktwert gering war.

Dennoch können wir Ihnen verraten: Von allen französisc­hen Spielern stehen Sie in Sachen Marktwert auf Platz 26.

THURAM Weltweit?

Weltweit. Deshalb die Frage: Wann sehen wir Sie im französisc­hen Nationalte­am?

THURAM Das müssen Sie nicht mich fragen, ich kann nicht in die Zukunft schauen. Aber ich hoffe, dass mich meine harte Arbeit im Training und in den Spielen irgendwann dort hinbringt. Das ist der Traum eines jeden Profis, für sein Land zu spielen.

Ihr Nationalma­nnschafts-Debüt mag ungewiss sein, dafür steht Ihr erstes Champions-League-Spiel kurz bevor. Wie sehr schwirrt Inter Mailand bereits in Ihrem Kopf herum?

THURAM Ich weiß, dass wir gegen Inter spielen werden, aber jetzt konzentrie­re ich mich voll auf Wolfsburg. Wenn wir so viele Spiele haben, dürfen wir nicht zu weit vorausscha­uen, sonst geht der Fokus verloren. Aber am Tag nach Wolfsburg mache ich mir dann Gedanken über Inter Mailand.

Einen kleinen Einblick in Ihre Gedanken müssen Sie uns aber geben: Sie wurden in Italien geboren, ihr Vater Lilian hat für Inters Rivalen Juventus Turin gespielt. Ein spezielles Spiel wird das doch schon sein, oder?

THURAM Natürlich, aber alle Spiele in der Champions League und in der Bundesliga sind besonders. Klar, die Geschichte, die Sie erwähnt haben, ist eine des Spiels gegen Inter. Aber so etwas gibt es immer: Wolfsburgs Jérôme Roussillon kenne ich zum Beispiel sehr gut aus Sochaux.

Wie schwer wird es in dieser Saison, wenn Bundesliga und Champions League sich abwechseln, sich wirklich auf jedes Spiel so zu fokussiere­n, als sei es das allerwicht­igste? THURAM Das fällt einem nicht schwer. Wenn du alle drei Tage spielst, musst du sowieso immer das nötige Mindset behalten. Du hast gar keine Zeit, an etwas Anderes zu denken.

Wir haben gerade über Juventus gesprochen. Das ist einer der großen Klubs, mit dem Sie bereits in Verbindung gebracht wurden. Wie gehen Sie mit solchen Transferge­rüchten um?

THURAM Es gab eines über Juventus und mich? Und es ging wirklich um mich? Nicht um meinen Bruder Khépren oder meinen Vater Lilian? Davon habe ich nichts mitbekomme­n. Aber wenn das so gewesen sein sollte, wäre es eine Auszeichnu­ng für meine Arbeit hier.

Sie dürften davon träumen, mal für einen so großen Verein wie Juventus zu spielen. Sie sind 23 Jahre

alt, Hand aufs Herz: Niemand rechnet damit, dass Sie zehn Jahre in Gladbach bleiben.

THURAM Glauben Sie nicht?

Das dürfte alle sehr freuen, aber es erscheint angesichts Ihres Talents, Ihrer Entwicklun­g und all der anderen Spieler, die Borussia schon für viel Geld verlassen haben, doch sehr unwahrsche­inlich.

THURAM Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Ich weiß, dass ich aktuell einen Vertrag bei Borussia habe, immer 100 Prozent gebe und alles andere werden wir dann sehen.

Oft ist von der „French Connection“die Rede, wenn es um die französisc­hsprachige­n Spieler im Kader geht. Nehmen Sie sich als Gruppe innerhalb der Gruppe wahr? THURAM Nein, wir hängen zwar immer zusammen rum, aber wir sprechen mit allen im Team und mögen uns sehr. Ich denke, es ist normal, dass man die „French Connection“wegen der gemeinsame­n Sprache oft zusammen sieht. Aber sie ist keine Gruppe in der Gruppe.

Als Breel Embolo zum dritten Kapitän gewählt wurde, lag die Vermutung nahe, dass die „French Connection“ihn gepusht haben könnte.

THURAM Sie meinen, wir hätten uns abgesproch­en? (lacht) Nein, das war eine Entscheidu­ng des ganzen Teams und des Staffs, die mich sehr gefreut hat, weil Breel es sehr verdient hat. Er ist ein wichtiger Spieler für uns, deshalb war es nur logisch.

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FOTO: MARTIN MEISSNER/AP Marcus Thuram will in die französisc­he Nationalma­nnschaft. Starke internatio­nale Auftritte mit Borussia würden ihm auf dem Weg dorthin helfen.

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