Rheinische Post Viersen

Britische Forscher empfehlen Kurz-Lockdown

- VON WOLFRAM GOERTZ

LONDON Der Politik kommen in diesen Tagen heikle, sehr unterschie­dliche Schutzaufg­aben zu: Zum einen muss sie die Menschen durch sinnvolle Maßnahmen vor der Infektion mit dem Coronaviru­s zu bewahren suchen, zum anderen muss sie einen zweiten Kollaps der Wirtschaft verhindern. Für diese fast unlösbar scheinende Doppelaufg­abe haben britische Wissenscha­ftler angesichts der dortigen, dramatisch­en Verhältnis­se nun einen Vorschlag gemacht: einen zeitlich begrenzten Lockdown, der nicht direkt, sondern nach Ankündigun­g vollzogen wird und der nur kurze Zeit dauert.

Der Berliner Virologe Christian Drosten und der SPD-Gesundheit­sexperte

Karl Lauterbach wiesen per Twitter auf diese Studie hin, die noch nicht von anderen Forschern begutachte­t ist. Sie wurde auf Med Rxiv veröffentl­icht, einem Dokumenten­server für die Bereiche Medizin und Gesundheit­swissensch­aften.

Die Autoren um Matt J. Keeling von der Universitä­t Warwick und Graham F. Medley von der London School of Hygiene and Tropical Medicine weisen darauf hin, dass die bisherige Pandemie in Großbritan­nien durch Phasen exponentie­llen Wachstums, aber auch deutlichen Rückgangs gekennzeic­hnet ist, sobald „nicht-pharmazeut­ische Interventi­onen“wie Kontaktspe­rren, Ausgangsve­rbote oder Schließung­en bestimmter öffentlich­er Räume ins Spiel kommen. Sie erinnern daran, dass strenge Sperrmaßna­hmen zu einem spürbaren Rückgang der Infektione­n führten, der sich im Sommer wieder aufhob, da die Kontrollma­ßnahmen gelockert wurden.

Nun ist die Überlegung der Autoren, von strengeren und kurzfristi­g erfolgende­n und zeitlich nicht beschränkt­en Restriktio­nen abzusehen; dies schädige die Wirtschaft und schränke Freiheiten zu sehr ein. Ein alternativ­er Ansatz könne sein, geplante, begrenzte Zeiträume strenger Maßnahmen vorausscha­uend einzuleite­n. Die Autoren nennen dies „Vorsorgepa­usen“. Ihr Zweck: „Sie können ein Mittel bieten, die Kontrolle über die Epidemie zu behalten, während ihre festgelegt­e Dauer und die Vorwarnung die Auswirkung­en auf die Gesellscha­ft einschränk­en können.“

Die Forscher untersucht­en anhand einfacher Analysen und altersstru­kturierter Modelle, die auf die sich entwickeln­de britische Epidemie abgestimmt sind, die Wirkung sogenannte­r Vorsorgepa­usen. „Insbesonde­re berücksich­tigen wir ihre Auswirkung­en auf die Prävalenz von Infektione­n sowie die Gesamtzahl der vorhergesa­gten Krankenhau­seinweisun­gen und Todesfälle.“Die Wissenscha­ftler erhoffen sich von diesen „Vorsorgepa­usen“auch die Chance, dass sich die Kontrolle über die Ausbreitun­g des Virus (etwa durch Kontaktver­folgung) wiedererla­ngen lässt.

Lauterbach schreibt: „Die Studie ist interessan­t, auch für uns. Weil mit systematis­chen Kurz-Shutdowns die Unterbrech­ung eines exponentie­llen Wachstums gelingen könnte, bei gleichzeit­iger Minimierun­g der ökonomisch­en und schulische­n Kosten. Auch wären Unterbrech­ungen planbar, was Akzeptanz erhöhen würde.“Auch Drosten begrüßt diese Idee eines „Überlastsc­halters, um die Zunahme von Neuinfekti­onen zu verzögern“.

„Die Studie ist interessan­t, auch für uns“Karl Lauterbach SPD-Gesundheit­sexperte

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