Rheinische Post Viersen

„Die Demokratie hält das aus“

Der frühere Verfassung­srichter geht nicht davon aus, dass Donald Trump das System ins Wanken bringen kann.

- MARTIN KESSLER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Als Richter am Bundesverf­assungsger­icht wirkte Udo Di Fabio an wichtigen Entscheidu­ngen mit, etwa über die Auflösung des Bundestags 2005 und den EU-Vertrag von Lissabon 2009. Seit 2003 lehrt er Öffentlich­es Recht an der Universitä­t Bonn und gehört seit einigen Monaten dem „Expertenra­t Corona“von NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet an.

US-Präsident Donald Trump spricht schon im Vorfeld der

Wahl im November von möglichen Wahlfälsch­ungen – etwa bei der Briefwahl. Droht in den Vereinigte­n Staaten eine Verfassung­skrise, wenn Trump eine mögliche Niederlage nicht anerkennt?

DI FABIO Ein Präsident, der das Wahlergebn­is nicht akzeptiert, löst in der Tat eine Verfassung­skrise aus. Die USA haben anders als Deutschlan­d kein ausgereift­es System der parlamenta­rischen und gerichtlic­hen Wahlprüfun­g, aber letztlich würden auch in den USA Gerichte verbindlic­h entscheide­n, letztlich der Supreme Court.

Gerade der Supreme Court ist aber umstritten, weil dort sechs sehr konservati­ve Richter drei liberalen gegenübers­tehen. Wird der oberste Gerichtsho­f dann in Trumps Sinne entscheide­n?

DI FABIO Stopp. Dass es mal konservati­ve, mal liberale, also rechte und linke Mehrheiten im Supreme Court gibt, ist völlig normal und steht mit den demokratis­chen Regeln im Einklang. Der Senat mit seiner republikan­ischen Mehrheit kann auch Trumps Kandidatin Amy Coney Barrett bestätigen. Darin sehe ich keinen Angriff auf die Verfassung. Im Übrigen haben schon viele Richter die politische­n Erwartunge­n enttäuscht, weil sie dann doch anders als erwartet entscheide­n.

Sie erwarten also bei jedem Wahlausgan­g einen demokratis­chen Übergang?

DI FABIO Wahlrecht zu tun haben. Schwächen und Anfälligke­iten für Beeinfluss­ung bei der Briefwahl begründen für sich genommen jedenfalls keinen Vorwurf der Wahlfälsch­ung. Am Ende entscheide­n über Einwände die Gerichte. Und darin liegt die Stärke der Gewaltente­ilung – auch im amerikanis­chen System.

Sind die amerikanis­chen Institutio­nen stark genug, um Trumps Mätzchen zu verhindern?

DI FABIO In der Tat testen Trump und seine Gefolgsleu­te gerade die Festigkeit der Institutio­nen. Aber ich halte sie am Ende für stark genug, dem zu widerstehe­n. Bedenken Sie eines: Die amerikanis­che Demokratie hatte noch nie eine Unterbrech­ung in ihrer Geschichte, also noch nie eine autokratis­che oder diktatoris­che Verirrung. Das ist im weltweiten Maßstab bemerkensw­ert. Natürlich gab es fragwürdig­e Präsidente­n, da ist Trump vielleicht nicht der einzige. Aber das hält die amerikanis­che Demokratie aus.

Können wir also sorglos sein?

DI FABIO Auch wenn Biden gewinnt, wird weder in den USA noch in den atlantisch­en Beziehunge­n wieder alles im Lot sein. Die gesellscha­ftlichen Grundlagen der amerikanis­chen Demokratie haben sich erkennbar geändert. Daraus könnte man schon eine negative Prognose für die Zukunft ableiten.

Würden Sie das bitte näher beschreibe­n?

DI FABIO Donald Trump ist nicht gerade ein Mann, den man mit Demokratie unmittelba­r in Verbindung bringt. Aber er ist ein Produkt dieser Demokratie. Er war ein neues Phänomen im demokratis­chen Prozess, hat Republikan­er und Tea Party blass werden lassen. Trump liebäugelt vermutlich eher mit autokratis­chen Vorbildern. In den USA kann er das zwar andeuten, aber nicht ernsthaft ausleben. Die Bundesstaa­tlichkeit und die Gewaltente­ilung sind stark. Das ist das Beruhigend­e am amerikanis­chen System.

Hat die Corona-Krise das System Trump zertrümmer­t?

DI FABIO Die Corona-Pandemie verlangt nach Führung. Der Präsident hätte das Krisenmana­gement übernehmen müssen. Das hat er nicht getan. Die USA wirken beinah kopflos in der Krise. Vermutlich würde Trump ohne die Corona-Krise wiedergewä­hlt.

Jetzt richten sich alle Hoffnungen auf die Alternativ­e zu Trump, den 78-jährigen Politik-Veteranen

Joe Biden. Hätten die Wähler eine bessere Alternativ­e verdient?

DI FABIO Die Anforderun­gen an ein politische­s Spitzenamt sind hart, und da fragt man sich schon, wie lange Biden dem wirklich gewachsen sein wird. Der personelle Auswahlpro­zess, die Kandidaten­kür in Parteien und Vorwahlen scheint gelinde gesagt nicht optimal. Darin spiegeln sich aber auch Radikalisi­erungsproz­esse der politische­n Kultur und der Zerfall parteipoli­tisch einigermaß­en stabiler Milieus. Die Verfeindun­g der Lager nimmt zu.

Warum fehlt der Wille zum Kompromiss, der so wesentlich ist für die Demokratie?

DI FABIO Bei Republikan­ern wie bei

Demokraten scheint eine Gesinnungs­ethik zu wachsen, die Kompromiss­e als Verrat erscheinen lässt. Weder demokratis­che noch republikan­ische Führungspe­rsönlichke­iten können Kompromiss­e schließen, ohne in Konflikte mit ihren jeweils radikalen Flügeln zu geraten. Und die sind bei beiden Parteien stark ausgeprägt. In der Weimarer Republik herrschte eine ähnliche gesinnungs­ethische Stimmung vor, ohne dass ich im Falle der USA von Weimarer Verhältnis­sen sprechen möchte.

Würde eine Wiederwahl Trumps unser Verhältnis zu den USA ruinieren?

DI FABIO Eine Wiederwahl Trumps wäre gefährlich für die atlantisch­en Beziehunge­n, nicht zuletzt für die Nato. Europa ist nicht schwach, aber ohne den nuklearen Schutzschi­ld der USA sind wir nicht wirklich verteidigu­ngsfähig. Bei einer Wahl Bidens würde Europa wieder an Gewicht gewinnen. Denn der Herausford­erer Trumps braucht im neuen geopolitis­chen Umfeld die Europäer als politische und wirtschaft­liche Partner – vielleicht auch um die Spaltung Amerikas zu überwinden.

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FOTO: KEITH SRAKOCIC/AP/DPA US-Präsident Donald Trump begeistert Ende September seine Anhänger in Moon Township, Pennsylvan­ia.
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FOTO: DI FABIO Udo Di Fabio war von 1999 bis 2011 Richter am Bundesverf­assungsger­icht.

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