Rheinische Post Viersen

Sehnsuchts­ort San Siro – Borussias letztes Mal?

Das Giuseppe-Meazza-Stadion soll abgerissen werden. Die monumental­e Architektu­r erkennen Fans auf der ganzen Welt wieder. Am Mittwoch ist Borussia zu Gast.

- VON JANNIK SORGATZ

MAILAND Ein Jogger dreht am Dienstagna­chmittag bereits seine fünfte Runde ums Giuseppe-Meazza-Stadion. Man muss schon ein Freund besonderer Stadionarc­hitektur sein und stabile Gelenke haben, um diese Laufstreck­e zu wählen. Auf drei Seiten grenzt eine Betonlands­chaft an das monumental­e und legendäre Mailänder Stadion, auf der Ostseite wird eine alte Pferderenn­bahn so langsam eins mit der Flora im Stadtteil San Siro.

Benannt ist er nach einer Kirche. Wer bei Google Maps „San Siro Kirche“eingibt, bekommt zuerst das Stadion ausgespuck­t, das seit mittlerwei­le 40 Jahren nach Giuseppe Meazza benannt ist. Im katholisch­en Italien würde allerdings niemand Blasphemie wittern, zu groß ist dieser Ort. Meazza ist Inter Mailands Rekordtors­chütze und spielte während des zweiten Weltkriegs auch zwei Jahre für den AC Mailand. Ob San Siro, das Stadion, seinen 100. Geburtstag im Jahr 2026 in dieser Form noch erleben wird, ist fraglich. Die Planungen für einen Neubau laufen, zwei Entwürfe gibt es bereits, die sich – wie sollte es bei diesen beiden Klubs von Weltrang anders sein – in Sachen Pathos überbieten.

Das Architektu­rbüro Populous war bereits am neuen Wembleysta­dion und am neuen Stadion von Tottenham Hotspur in London beteiligt. Sein Entwurf („Die Kathedrale“) hat sich inspiriere­n lassen vom Mailänder Dom und der Galleria Vittorio Emanuele II., weiteren Sehenswürd­igkeiten der Stadt. Manica und Sportium lassen dagegen zwei Ringe ineinander verschmelz­en, sie symbolisie­ren die beiden Vereine, die im neuen Stadion ihr Zuhause finden sollen. Vereinte Rivalen. Doch die Stadt plant noch mehr: Es soll ein komplett neuer Stadtteil im Stadtteil entstehen, das alte Stadion soll zurückgeba­ut und in eine üppige Grünanlage eingeglied­ert werden.

Die markanten Merkmale des Giuseppe-Meazza-Stadions werden also spätestens in ein paar Jahren verschwind­en. Die rostroten Metallträg­er, das gewellte Glasdach, die elf bis zu 55 Meter hohen Türme, die aussehen, als würden sie rotieren, wenn die Menschenma­ssen sich auf diesem Weg aus dem Stadion bewegen – all das wird verschwind­en. Zur WM 1990 hatte das San Siro einen dritter Zuschauerr­ang erhalten. Dessen Zustand beglückt jedoch längst nicht mehr die Statiker, weshalb selbst vor Corona nicht mehr alle 80.000 Plätze gefüllt werden durften. Das neue Stadion

soll rund 60.000 Fans Platz bieten.

Wembley, Bernabéu, San Siro – es gibt Stadien auf der Welt, die diese Bezeichnun­g gar nicht benötigen, um als solche identifizi­ert zu werden. Sie sind Sehnsuchts­orte des Fußballs. Tausende Borussia-Fans hätten danach gelechzt, hier ein Spiel sehen zu dürfen. Gladbach hat hier 1971 mit 2:4 gegen Inter und 1974 mit 0:2 gegen den AC Mailand verloren. 1979 traf Harald Nickel beim 3:2-Erfolg nach Verlängeru­ng doppelt, erst per „Tor des Monats“aus 35 Metern unter die Latte, dann vom Elfmeterpu­nkt beinahe aus dem Stand. Der FC Bayern gewann 2001 in San Siro die Champions League. Kaum zu glauben, dass 2016 noch einmal das Endspiel im Giuseppe-Meazza-Stadion stattfand. „Als Kind träumst du davon, in solchen Stadien zu spielen“, sagte Marcus Thuram. Borussia tritt am Mittwoch an einem historisch­en Ort an. Es könnte das letzte Mal sein.

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FOTO: JANNIK SORGATZ Das Giuseppe-Meazza-Stadion. Hier spielt Borussia am Mittwoch gegen Inter Mailand.
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FOTO: POPULOUS Die Firma Populous baute bereit das neue Wembleysta­dion. Dieser Entwurf für San Siro wird pathetisch „Die Kathedrale“genannt.
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FOTO: MANICA/SPORTIUM Manica und Sportium lassen zwei Ringe ineinander verschmelz­en, sie symbolisie­ren die beiden Klubs, die im neuen Stadion spielen sollen.

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