Die rationale Diktatur
China löst im Ausland zu Recht Entrüstung und Unverständnis aus. Nach der eigenen Logik aber agiert die Staatsführung in der Corona-Pandemie und in der Klimakrise konsistent, wenn auch mit rigorosen Maßnahmen.
Eine globale Umfrage brachte es auf den Punkt: Chinas Ruf in der westlichen Welt, darunter auch Deutschland, hat einen historischen Tiefstand erreicht. Schuld daran trägt laut einer Studie des Pew Research Center vor allem Pekings Umgang mit der Corona-Krise, der als miserabel wahrgenommen wird. Mit Intransparenz und Vertuschung, so das Verdikt des westlichen Auslands, habe die chinesische Staatsführung eine gefährliche Pandemie verantwortungslos verschleppt.
Die Menschen in der Volksrepublik sehen das anders. Sie finden, dass in derzeit kaum einem anderen Land der Welt die Regierung die Virusgefahr derart effektiv gebannt hat. Tatsächlich werden seit Monaten nur vereinzelte Infektionscluster mit wenigen Fällen registriert und sofort mit rigorosen Maßnahmen unterdrückt. Mehr noch, auch die Wirtschaft brummt wieder: China wird wohl bis zum Ende des Jahres ein Wachstum von fast zwei Prozent erzielen können. Die Exporte erreichen schon wieder Steigerungsraten von fast zehn Prozent, die industrielle Produktion ist unter Vollauslastung wieder auf den langfristigen Wachstumskurs (plus 6,9 Prozent) eingeschwenkt. Und die Börse im Finanzzentrum Schanghai testet gerade die bisherigen Höchstwerte vom Oktober 2017. Reisen und Feiern unterliegen in China – anders als sonst in der Welt – keinen Beschränkungen mehr.
Beide Sichtweisen sind von den Fakten gedeckt, doch zusammenbringen lassen sie sich nur schwer. Längst ist China zur ernstzunehmenden Weltmacht avanciert, die auch ihren Einflussbereich auf dem internationalen Parkett geltend macht. Das verschafft ihr auch im eigenen Land Respekt. Die heimischen Medien berichten jedenfalls in einer Art Dauersendung über Pekings rührige Staatsführung. Was sie kundtun, trägt nicht unbedingt zum besseren Verständnis des Landes in der Welt bei. Ganz im Gegenteil: Das aggressive Vorgehen gegen die Hongkonger Demokratiebewegung, die systematische Internierung der muslimischen Minderheit in der Provinz Xinjiang und die rabiate Rhetorik chinesischer Diplomaten gegen den Westen lösen nicht nur massive Entrüstung aus, sondern hinterlassen auch Ratlosigkeit über die Handlungsmotive Pekings.
Nicht so die Menschen in der Volksrepublik. Erst kürzlich sagte ein Chinese beim Feierabendbier im einstigen Kolonialviertel der Metropole Schanghai: „Wenn ich an China denke, dann stelle ich mir die Regierung nicht als männlich vor, sondern auf jeden Fall weiblich: eine liebevolle Mutter, die sich ums Volk kümmert.“Bei diesem Gesprächspartner handelte es sich nicht um einen parteitreuen Provinzler, sondern um einen hochgebildeten Angehörigen der jungen Generation mit mehrjähriger Auslandserfahrung. Ein Millennial, also geprägt von diesem Jahrtausend, der sich regelmäßig in amerikanischen Medien informiert und offen homosexuell lebt.
Es gibt keine echten politischen Umfragen in einem autoritären Land wie China. Doch eine gewisse Stimmung lässt sich auch aus vielen anekdotischen Puzzleteilen zusammensetzen: Demnach genießt die Regierung rund um ihren Chefideologen Xi Jinping zwar keine sonderlich hohe Beliebtheit, doch in einer Mischung aus Pragmatismus und politischem Desinteresse akzeptieren viele die Gegebenheiten. Und beeindruckt sind viele von der Konsequenz der Regierung etwa im Umgang mit der Corona-Krise, aber auch in der Frage, wie das Land die knappen Ressourcen steuern soll oder die Klimafrage lösen kann.
Selbst diejenigen, die Präsident Xi wegen der immer tiefergehenden Einschnitte der Rede- und Meinungsfreiheit ablehnen, haben keine glaubhafte Alternative. Der Westen, allen voran die Vereinigten Staaten, gibt aus chinesischer
„Ich stelle mir die Regierung als liebevolle Mutter vor, die sich ums Volk kümmert“Junger Chinese