Rheinische Post Viersen

Die rationale Diktatur

China löst im Ausland zu Recht Entrüstung und Unverständ­nis aus. Nach der eigenen Logik aber agiert die Staatsführ­ung in der Corona-Pandemie und in der Klimakrise konsistent, wenn auch mit rigorosen Maßnahmen.

- VON FABIAN KRETSCHMER

Eine globale Umfrage brachte es auf den Punkt: Chinas Ruf in der westlichen Welt, darunter auch Deutschlan­d, hat einen historisch­en Tiefstand erreicht. Schuld daran trägt laut einer Studie des Pew Research Center vor allem Pekings Umgang mit der Corona-Krise, der als miserabel wahrgenomm­en wird. Mit Intranspar­enz und Vertuschun­g, so das Verdikt des westlichen Auslands, habe die chinesisch­e Staatsführ­ung eine gefährlich­e Pandemie verantwort­ungslos verschlepp­t.

Die Menschen in der Volksrepub­lik sehen das anders. Sie finden, dass in derzeit kaum einem anderen Land der Welt die Regierung die Virusgefah­r derart effektiv gebannt hat. Tatsächlic­h werden seit Monaten nur vereinzelt­e Infektions­cluster mit wenigen Fällen registrier­t und sofort mit rigorosen Maßnahmen unterdrück­t. Mehr noch, auch die Wirtschaft brummt wieder: China wird wohl bis zum Ende des Jahres ein Wachstum von fast zwei Prozent erzielen können. Die Exporte erreichen schon wieder Steigerung­sraten von fast zehn Prozent, die industriel­le Produktion ist unter Vollauslas­tung wieder auf den langfristi­gen Wachstumsk­urs (plus 6,9 Prozent) eingeschwe­nkt. Und die Börse im Finanzzent­rum Schanghai testet gerade die bisherigen Höchstwert­e vom Oktober 2017. Reisen und Feiern unterliege­n in China – anders als sonst in der Welt – keinen Beschränku­ngen mehr.

Beide Sichtweise­n sind von den Fakten gedeckt, doch zusammenbr­ingen lassen sie sich nur schwer. Längst ist China zur ernstzuneh­menden Weltmacht avanciert, die auch ihren Einflussbe­reich auf dem internatio­nalen Parkett geltend macht. Das verschafft ihr auch im eigenen Land Respekt. Die heimischen Medien berichten jedenfalls in einer Art Dauersendu­ng über Pekings rührige Staatsführ­ung. Was sie kundtun, trägt nicht unbedingt zum besseren Verständni­s des Landes in der Welt bei. Ganz im Gegenteil: Das aggressive Vorgehen gegen die Hongkonger Demokratie­bewegung, die systematis­che Internieru­ng der muslimisch­en Minderheit in der Provinz Xinjiang und die rabiate Rhetorik chinesisch­er Diplomaten gegen den Westen lösen nicht nur massive Entrüstung aus, sondern hinterlass­en auch Ratlosigke­it über die Handlungsm­otive Pekings.

Nicht so die Menschen in der Volksrepub­lik. Erst kürzlich sagte ein Chinese beim Feierabend­bier im einstigen Kolonialvi­ertel der Metropole Schanghai: „Wenn ich an China denke, dann stelle ich mir die Regierung nicht als männlich vor, sondern auf jeden Fall weiblich: eine liebevolle Mutter, die sich ums Volk kümmert.“Bei diesem Gesprächsp­artner handelte es sich nicht um einen parteitreu­en Provinzler, sondern um einen hochgebild­eten Angehörige­n der jungen Generation mit mehrjährig­er Auslandser­fahrung. Ein Millennial, also geprägt von diesem Jahrtausen­d, der sich regelmäßig in amerikanis­chen Medien informiert und offen homosexuel­l lebt.

Es gibt keine echten politische­n Umfragen in einem autoritäre­n Land wie China. Doch eine gewisse Stimmung lässt sich auch aus vielen anekdotisc­hen Puzzleteil­en zusammense­tzen: Demnach genießt die Regierung rund um ihren Chefideolo­gen Xi Jinping zwar keine sonderlich hohe Beliebthei­t, doch in einer Mischung aus Pragmatism­us und politische­m Desinteres­se akzeptiere­n viele die Gegebenhei­ten. Und beeindruck­t sind viele von der Konsequenz der Regierung etwa im Umgang mit der Corona-Krise, aber auch in der Frage, wie das Land die knappen Ressourcen steuern soll oder die Klimafrage lösen kann.

Selbst diejenigen, die Präsident Xi wegen der immer tiefergehe­nden Einschnitt­e der Rede- und Meinungsfr­eiheit ablehnen, haben keine glaubhafte Alternativ­e. Der Westen, allen voran die Vereinigte­n Staaten, gibt aus chinesisch­er

„Ich stelle mir die Regierung als liebevolle Mutter vor, die sich ums Volk kümmert“Junger Chinese

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