Pansch-Apotheker sieht sich als Opfer
Der verurteilte Bottroper Pharmazeut legt Verfassungsbeschwerde ein. Seinen krebskranken Opfern fehlen die Worte.
BOTTROP/KARLSRUHE Die Verteidiger von Peter S. geben nicht auf, seine Opfer und deren Hinterbliebene fühlen sich einmal mehr vor den Kopf gestoßen: Knapp vier Jahre nach der Razzia in der Bottroper Großapotheke geht der juristische Streit um den wohl beispiellosen Medizinskandal weiter. Wegen des systematischen Panschens individuell angemischter Krebsmedikamente war S. im Juli 2018 zu zwölf Jahren Haft sowie lebenslangem Berufsverbot verurteilt worden.
Nicht wegen Körperverletzung, Totschlags oder gar Mord – ein oder gar mehrere Verbrechen dieser Art waren dem Angeklagten nicht gerichtsfest nachzuweisen. Das Urteil erging deshalb wegen Kassenbetrugs und Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz. Einen Antrag auf Revision wies der Bundesgerichtshof im Juni dieses Jahres im Wesentlichen ab; seitdem ist das Urteil rechtskräftig, inklusive Einziehung von „Tat-Erträgen“in Höhe von 13,6 Millionen Euro. Doch nun schöpfen die Verteidiger von S. auch ihr letztes Rechtsmittel aus: Sie haben beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde eingereicht. Beobachter halten die Erfolgsaussichten für gering. Sollte S. allerdings recht bekommen, könnte der gesamte Prozess neu aufgerollt werden.
Fragen nach Inhalt und Ziel der Verfassungsbeschwerde ließ ein Verteidiger von S. zunächst unbeantwortet. Sie kann aber per Definition nur den Vowurf beinhalten, der Beschwerdeführer sei durch Gesetzgeber, Behörden oder Gerichte in seinen Grundrechten oder ähnlich hoch gewichteten Rechten verletzt worden.
Was zuerst die „Deutsche Apotheker-Zeitung“berichtet hatte, bestätigte auf Anfrage ein Sprecher des höchsten deutschen Gerichts. Bereits am 3. August sei die fragliche Beschwerde eingegangen. Wann darüber entschieden werde, sei nicht abzuschätzen, es könne sich aber durchaus um mehrere Monate handeln. Mehr als 6000 Beschwerden erreichen das Gericht jedes Jahr. Sie werden in einem mehrstufigen Verfahren geprüft. Erfolgreich sind am Ende etwa zwei Prozent, der Rest wird als unbegründet abgewiesen.
Parallel klagt S. auch gegen die zusätzliche, berufsrechtliche Konsequenz seiner Taten: Die Bezirksregierung Münster hatte die Approbation des Apothekers widerrufen. Das will er nicht hinnehmen.
Die Betroffenen hatten gerade erst eine Art Umgang mit dem Geschehenen gefunden. Sie sind von Krebserkrankungen gezeichnet oder haben Angehörige verloren. Dass die Medikamente für Chemotherapien aus dem Labor von S., die teils unterdosiert waren und teils überhaupt keine Wirkstoffe enthielten, unnötiges Leiden und auch Sterben bewirkt haben, steht für sie fest. Nach Konfrontation mit den Recherchen der „Deutschen Apotheker-Zeitung“kommt bei vielen eine ganze Bandbreite von Emotionen hoch – von Wut über Ohnmacht bis hin zu Spott. „Rechtlich mag ihm das zustehen, doch auf mich wirkt diese Klage wie eine Verzweiflungstat“, sagt Opfer-Sprecherin Heike Benedetti (59). „Fehlt nur noch, dass der Arme sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wendet!“Zugleich bereitet ihr die Rest-Unsicherheit der Verfahren Kopfzerbrechen: „Was mir sauer aufstößt und auch Sorgen macht, ist der Gedanke, er könnte seine Zulassung zurückerhalten, noch einmal in einer Apotheke stehen und das Vertrauen von Patienten ausnutzen. Gruselig.“
Martin Porwoll (49), der vom Kaufmännischen Leiter der Großapotheke zum Whistleblower wurde, den Skandal also aufdeckte, und darüber neben seinem Job beinahe seine Existenz verlor, resümiert: „Auch nach fast vier Jahren kein Wort der Reue oder des Bedauerns an die Betroffenen, sondern nur ein erneuter Versuch, die Verurteilung in Zweifel zu ziehen.“Die juristischen Realitäten, die eine Verurteilung wegen Straftaten gegen das Leben in diesem Fall nicht zulassen, hat er akzeptiert. „Aber allein der Versuch, das lebenslange Berufsverbot anzufechten, muss jeden Betroffenen dieses Verbrechens vor den Kopf stoßen.“
Während der gesamten, 44 Prozesstage umfassenden Verhandlung hatte S. geschwiegen. Die Beweislage war erdrückend: Neben unterdosierten Infusionsbeuteln zeigte Aktenmaterial, dass S. in einem Zeitraum von fünf Jahren viele der angeblich abgegebenen und bei den Krankenkassen abgerechneten Wirkstoffe nie eingekauft hatte.