Auf den Äckern der EU gelten neue Regeln
Nach einer langen Nacht einigen sich die EU-Minister bei der Agrarreform. Umweltschützer kritisieren „Klientelpolitik“.
BERLIN Für eine Revolution hält Bundesministerin Julia Klöckner den Kompromiss zur Reform der EU-Agrarpolitik selbst nicht – wohl aber für einen „Systemwechsel“. Einen Wandel hin zu einer umweltund klimafreundlicheren Landwirtschaft. Eine Revolution könne auch schiefgehen, sagt die CDU-Politikerin am Mittwoch in Berlin nach ihrer Rückkehr von den mühsamen zweitägigen Verhandlungen in Luxemburg, die sie geleitet hatte. Kritiker des erzielten Kompromisses meinen allerdings: Der Systemwechsel ist bereits gescheitert.
Dabei beschäftigt das Thema die Gremien nicht erst seit gestern: Die EU-Kommission hatte 2018 eine umfassende Agrarreform für die Jahre 2021 bis 2027 vorgeschlagen. Das Budget für die Agrarpolitik ist mit rund 390 Milliarden Euro bis zum Jahr 2027 der größte Posten im EU-Haushalt. Es geht um nichts Geringeres als die Ernährung von 450 Millionen Menschen in der Europäischen Union, den Umgang mit den Tieren, die Belastung der Natur, die Sicherheit für die Bauern.
All das hat viel mit Schöpfung – und deren Bewahrung – zu tun. Die Ausbeutung der Äcker und Tiere und die Gefahren für die Bürger durch Pestizide und Chemikalien in den Böden sollen nun zurückgefahren, die Landwirtschaft soll insgesamt „grüner“werden: Moorschutz, Dauergrünland, Fruchtfolgen, Wasserschutz, Bodenschutz, Lebensmittelsicherheit, Tierschutz, digital präziser Einsatz von Pflanzenschutzmitteln – Klöckners Liste ist lang. Das schütze auch die Landwirtschaft selbst. Viele Landwirte sind von den Zahlungen aus Brüssel abhängig, fürchten aber zu hohe Umweltauflagen.
Nach den Worten von Grünen-Chef Robert Habeck fehlen der Einigung unter deutscher Ratspräsidentschaft jedoch „Weitsicht und Konsequenz“. Aus seiner Sicht gibt es keinen Systemwechsel, weil nun nur 20 Prozent der Direktzahlungen für strengere Ökovorgaben reserviert werden sollen, die „Eco-Schemes“. Das sind Umweltvorgaben, die über die verpflichtenden Anforderungen hinausgehen, die Bauern im Gegenzug für Direktzahlungen erfüllen müssen. Dafür gibt es zusätzlich Geld. In Deutschland ist eine Milliarde Euro dafür vorgesehen.
Die Enttäuschung bei Grünen und Umweltverbänden ist auch deshalb so groß, weil die Erfüllung der „Eco-Schemes“freiwillig ist. Das heißt: Mittel können auch in andere Töpfe verschoben werden, wenn ein Land noch nicht so weit ist. Und: Es ist eine zweijährige Übergangszeit, eine „Lernphase“, für die Ökoregelungen vorgesehen. Zwei verschenkte Jahre, finden die Grünen. Habeck sagte der Deutschen Presse-Agentur, es hätte vielmehr das Ziel sein müssen, direkte Zuschüsse für die Fläche, „egal was auf dem Acker passiert“, ganz abzuschaffen.
Was für Oppositionspolitiker sowie Greenpeace, WWF und BUND aber ein „schwarzer Tag für die Landwirtschaft“und „klassische Klientelpolitik“ist, bezeichnet Klöckner selbst als „Meilenstein“. Denn es werde gar keinen Euro an Subventionen mehr geben, für den es keine Gegenleistung gebe, versicherte sie. Auch die Direktzahlungen, die sich hauptsächlich nach der Größe der bewirtschafteten Fläche richten und damit vor allem Großbetriebe stützen, unterlägen Konditionen zu mehr Umweltschutz. Sie mahnte, Mehrheiten zu akzeptieren. Es könnten nicht alle Maximalforderungen erfüllt werden.
Etliche EU-Staaten hatten die verpflichtenden Ökoregeln zunächst abgelehnt. Hier zog Klöckner die „rote Linie“, wie sie sagte. In der Nacht gelang ihr dann schließlich der erhoffte Kompromiss. Das Europaparlament fordert für die „Gemeinsame Agrarpolitik“bei den Ökoregelungen einen Anteil von mindestens 30 Prozent der Direktzahlungen. Seine endgültige Linie will das Parlament bis Ende dieser Woche festlegen. Anschließend könnten Parlament und EU-Staaten miteinander über die Agrarreform verhandeln.
NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU), sagte unserer Redaktion, ob es bei dem 20-Prozent-Anteil der Ökoregeln bleibt, müssten jetzt die weiteren Verhandlungen zwischen EU-Ministerrat, EU-Parlament und EU-Kommission zeigen. Die zweijährige Übergangsfrist für die Einführung der Ökoregeln sei auch für sie enttäuschend, wenngleich dem Kompromiss geschuldet, sagte Heinen-Esser. Von Deutschland erwartet sie da mehr. „Ganz wichtig“, betonte sie: „Deutschland muss nicht von dieser Frist Gebrauch machen.“